Christiane Vulpius Christiane Vulpius: Goethes dickere Hälfte

halle (saale) - Ich feiere gerne Feste und bin gern dabei, wenn’s lustig hergeht . . . Sollen die Weimarer doch reden!“ So lässt die Autorin Christine Brückner ihre Namensschwester Christiane von Goethe leichthin daherplaudern in ihrem Stück „Ich wär Goethes dickere Hälfte“. Der szenische Monolog gestaltet sich zur tragik-komischen Lebensbeichte über ihre Beziehung zu dem Dichterfürsten und ihre komplizierte Stellung im höfischen Weimar. Zu erleben ist das passend zum Jubiläumsgeburtstag am kommenden Montag, wenn im Bad Lauchstädter Goethe-Theater die Schauspielerin Johanna Spitzer in die Rolle der Christiane schlüpft. Das Ganze spielt im Vorzimmer des Palais der Charlotte von Stein, der so feinen wie prüden Dame, die lange Zeit bekanntlich die Zuneigung Goethes für sich beanspruchte. Der war als Günstling des Herzogs Carl August mit 26 Jahren aus der stolzen Freien Reichsstadt Frankfurt am Main ins verdruckste Weimar gekommen und hatte mit dem acht Jahre Jüngeren ein paar jugendlich-flotte Jahre verbracht. Mit der fast sieben Jahre älteren Frau von Stein (unglücklich verheiratet, sieben Kinder) hatte er seine Herzensdame im Geiste erkoren. Rein platonisch, das Gegenteil haben bis heute auch die gewieftesten Archivalienforscher nicht beweisen können.
So ganz anders war die Liebe, die unseren, den leiblichen Genüssen ohnehin zugeneigten Nationaldichter mit seiner Christiane über mehr als ein Vierteljahrhundert verbinden sollte. Getroffen hatte er sie kurz nach seiner Rückkehr von jener Italienreise, die ihn neben vielerlei anderen sinnlichen Erfahrungen auch erstmals zu denen der körperlichen Liebe verholfen haben soll. „Ich ging im Walde so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn“, fasste Goethe in einem seiner populärsten Gedichte 25 Jahre später die Erinnerung an das erste Zusammentreffen mit jener Frau zusammen, die fürderhin zur privaten Bestimmung seines Lebens werden sollte. Überschrift: „Gefunden“! Das Fundstück: ein, sein Schatz.
Die denkwürdige Begegnung ereignete sich am 12. Juli des Jahres 1788, der Überlieferung zufolge im Weimarer Park an der Ilm. Auf den verschlungenen Wegen kam ihm diese Christiane Vulpius entgegen. Tochter aus armer Familie, wenngleich mit gebildeten Theologen-Vorfahren. Ein Bittgesuch ihres Bruders wollte die 23-Jährige dem Geheimrat überreichen. Der war einflussreich und überdies ein schöner Mann. Doppel-Treffer mitten ins Herz! In seines wie in ihres. Dass noch in derselben Nacht Christiane Goethes Geliebte wurde, gilt als wahrscheinlich.
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Hat sie geahnt, die unverbildete, eher derbe Schöne aus dem Weimarer Kleinbürgertum, die als Kunstblumenbinderin zum Unterhalt ihrer Familie beitrug, was mit der Bindung an diesen Mann auf sie zukam? Wohl kaum. Dass Goethe sie bald in sein Haus aufnahm, sie ihm den Haushalt führte, wäre als kurzfristige Affäre wohl kaum als Skandal vermerkt worden. Auch der herzogliche Freund Carl August hatte schließlich außereheliche Verhältnisse. So mit der Schauspielerin Caroline Jagemann. In Kindertagen Nachbarin der kleinen Vulpius, die von ihr so beschrieben wird: „Ein sehr hübsches, freundliches, fleißiges Mädchen; aus ihrem apfelrunden Gesicht blickten ein paar brennend schwarze Augen, ihr etwas aufgeworfener, kirschroter Mund zeigte, da sie gerne lachte, eine Reihe schöner, weißer Zähne, und dunkelbraune volle Locken fielen ihr um Stirn und Nacken.“
Oh, ja, ansehnlich, wenn auch nicht im klassischen Sinne schön war sie wohl, Goethes Christiane. Lebenszugewandt, praktisch, umsichtig in der häuslichen Wirtschaft, ihrem Erwählten treu ergeben bis zur Selbstverleugnung. Denn zumindest während der 18 Jahre „wilder Ehe“ blieb sie als seine „kleine Freundin“, sein „Naturwesen“, bereitwillig im Hintergrund, wenn etwa Besuch kam. Was die klatschsüchtige Weimarer Gesellschaft jedoch keineswegs davon abhielt, die unstandesgemäße Frau an Goethes Seite mit Häme zu überziehen.
Charlotte von Stein beklagte Goethes „dummes häusliches Verhältnis“. Frau von Schiller mokierte sich über „Goethes dicke Hälfte“. Bettina von Arnim wird die Schmähung Christianes als „tolle Blutwurst“ nachgesagt. Und was die duldsame Geliebte alles noch zu ertragen hatte. Die Last des großen Haushalts, Garten und Landwirtschaft, fast ständig Gäste, dazu die Launen des seinem Werk hingegebenen Mannes, seine häufigen Abwesenheiten, Krankheiten, die Fürsorge für den einzigen Sohn August, vier weitere Kinder, die tot geboren oder nur kurz am Leben blieben – das alles in einer Umgebung voller Missachtung und Verleumdung: Sie muss schon eine sehr starke Frau gewesen sein. Denn unterkriegen ließ sie sich bei all dem nicht. Gehalten vor allem auch von der unbeirrbaren Liebe zu dem Mann, der sie erwählt hatte und der treu zu ihr hielt. „Ich habe Deine Liebe und bin überzeugt, dass Du mich sehr liebst. Dies soll mich immer, wenn die Menschen mich betrüben, wieder zufrieden und froh machen“, schreibt sie ihm. Und Goethe weiß, was er an ihr hat, die ihm als „allzeit fröhlicher Hausschatz“ den Rücken freihält. Es verband sie nicht zuletzt eine anhaltend erotische Anziehung. Unbeschwerte Liebeslust, die der Dichter in Verse wie diesen fasste: „Uns ergötzen die Freuden des echten nacketen Amors und des geschaukelten Betts lieblich knarrender Ton“.
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Wobei: „Äugelchen“ nebenher, kleine Flirts, waren erlaubt. Wenn Goethe unterwegs war oder Christiane in ihrem geliebten Bad Lauchstädt weilte. Dorthin fuhr sie immer wieder gerne zur Kur, ins Theater – und zum Tanzen. „Es ist“, heißt es in Eckart Kleßmanns kenntnisreicher Biografie, „als sei Christiane hier, fernab der ihr nach wie vor feindlich gesonnenen Gesellschaft Weimars, so richtig aufgeblüht.“ Sie selbst schreibt an Goethe: „Doch wegen der Äugelchen kannst Du außer Sorge sein. Wie Du gibt es keinen Mann in der ganzen Welt.“
Keine Frage: Es war Liebe, eine tiefe Gemeinschaft zwischen diesen so unterschiedlichen Menschen. Für die Weimarer Gesellschaft blieb es ein missgünstig beäugtes Rätsel. Auch noch, nachdem Goethe im Oktober 1806 endlich ihrem Lebensbund den Status einer kirchlich eingesegneten Ehe gibt. Christianes tapferes Verhalten beim Eindringen Napoleonischer Soldaten in das Haus am Frauenplan gab den Anstoß dafür. So wurde auch der nichtehelich geborene Sohn August legitimiert, Christiane abgesichert. Goethes Mutter hat sowohl die Heirat wie die ganze Person Christianes gebilligt: „Du kannst Gott danken! So ein liebes-herrliches unverdorbenes Gottesgeschöpf findet man sehr selten“, schrieb sie aus Frankfurt. Genau das ist ja, was Goethe so entzückte. Christianes unverstelltes Wesen, das In-sich-Ruhende, ihre Nähe zur Natur wie auch ihre fröhliche, unbekümmerte Sinnlichkeit. Nie habe sie sie „von anderen Böses sprechen hören“, würdigt die Dichterin Elisa von der Recke die lautere Haltung der so oft Geschmähten nach deren Tod. Als Christiane am 6. Juni 1816 nach schwerem Leiden vermutlich an Nierenversagen stirbt, ist Goethe, seit je alles Krankhafte, Tödliche strikt meidend, zwar ebenso wenig bei ihr wie bei ihrer Beerdigung. Doch gibt er seiner tiefen Trauer Ausdruck in Briefen: „Leere und Totenstille in und außer mir“, heißt es da, und „Leugnen will ich nicht, daß mein Zustand an Verzweiflung grenzt“. Und er setzt seine ganze Verlassenheit in Verse:
Du versuchst, o Sonne, vergebens,
Durch die düstren Wolken zu
scheinen.
Der ganze Gewinn meines Lebens
Ist, ihren Verlust zu beweinen.
So ist es auf dem schlichten Grabstein der Christiane von Goethe, geb. Vulpius, auf dem Jakobskirchhof zu Weimar zu lesen. (mz)
