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"Die beste Note war eine 5" Handwerksbetriebe klagen über Nachwuchsmangel und schlechte Bewerber: "Die beste Note war eine 5"

Von Rainer Küster 08.11.2018, 08:01
Patrick Bräutigam arbeitet seit 2007 im Malerfachbetrieb Schäfer. Jüngerer Nachwuchs ist in der Firma in Hohenmölsen nicht in Sicht.
Patrick Bräutigam arbeitet seit 2007 im Malerfachbetrieb Schäfer. Jüngerer Nachwuchs ist in der Firma in Hohenmölsen nicht in Sicht. Peter Lisker

Hohenmölsen/Lützen - In vielen Unternehmen enden gegenwärtig die Bewerbungsfristen für das im Sommer beginnende Ausbildungsjahr. Weichenstellung für das spätere Berufsleben, hieß es noch vor wenigen Jahren. Heute ist das anders. Die Weichen scheinen in Richtung Verwaltung, Industrie oder Studium festgerostet. Um sie zu lösen, braucht es junge Handwerker, aber die sind nicht in Sicht.

Udo Junghanns hat die Hoffnung aufgegeben. In seinem Hohenmölsener Sanitär- und Heizungsunternehmen könnte er einem Auszubildenden gute berufliche Perspektiven bieten. Auch seine sieben Mitarbeiter würden sich über Verstärkung freuen. Deshalb hat Junghanns Anzeigen geschaltet und die Werbetrommel gerührt. Das Ergebnis hat ihn ernüchtert. „Eine einzige Bewerbung, die beste Note war eine 5“, winkt der Handwerksmeister ab.

Dramatischer Handwerkermangel: Liegt der Fehler schon bei den Schulen?

Gründe für diese Entwicklung gebe es viele, meint Junghanns. Einige mögen auch in der Handwerkerbranche hausgemacht sein, aber die Hauptursache sieht der Firmenchef in der Schulausbildung. Womit er nicht nur Zensuren meint. „Früher gab es noch den Unterrichtstag in der Praxis, UTP. Ob der nun in einer LPG stattfand oder in einem Handwerksbetrieb, sei dahingestellt. Aber da wurden den jungen Menschen zumindest Grundlagen und Werte vermittelt.“

Heute werde es versäumt, wenigstens die Interessen von Jugendlichen zu wecken. Sie kämen meist erst dann zu einem Handwerker, wenn alle anderen Bewerbungen abgelehnt wurden. „Und dann stellen sie fest, dass eine Rohrzange keine Handyhalterung hat!“

Malermeister aus Hohenmölsen sucht erst gar keine Lehrlinge mehr

Ähnliche Erfahrungen hat auch Axel Schäfer gemacht. Der Chef des gleichnamigen Malerfachbetriebes in Hohenmölsen sucht schon gar keine Lehrlinge mehr. „Gern würde ich junge Menschen ausbilden. Aber ich bin zuletzt dreimal damit auf die Nase gefallen.“

Schäfer setzt jetzt lieber auf Seiteneinsteiger. „Die kommen aus dem Berufsleben und wissen zumindest schon mal, was Arbeit ist“. Und plötzlich kommen auch Axel Schäfer die drei Buchstaben über die Lippen, die schon Junghanns gebraucht hat. „Früher hatten wir UTP. Aber heute sind die Schulen nicht mehr in der Lage, Berufsbilder praxisnah zu vermitteln. Ganz klar, dass junge Menschen dadurch keinen Zugang mehr zum Handwerk haben.“

Nachwuchsmangel: Handwerkerbetriebe müssen Weg an die Schule suchen

Heiko Fengler ist Ausbildungsberater bei der Handwerkskammer (HWK) Halle. Auch er glaubt, dass bereits in der Schule versäumt wird, Grundlagen zu schaffen. „Die meisten Abgänger wollen nicht ins Handwerk, weil sie es nicht kennen“, vermutet er.

Schnuppertage, Praktika oder Tage der offenen Tür in Handwerksbetrieben könnten das nur bedingt ersetzen. Im Grunde genommen haben sich die Wege heute umgekehrt. Nicht mehr der Bewerber komme zum Betrieb, sondern der Handwerker müsse zur Schule. „Wer nicht direkt an die Schule vor Ort geht und dort gezielt wirbt, hat ein Problem“, meint Fengler.

Die HWK habe dafür sogar Material ausgearbeitet, so beispielsweise die Präsentation „Unternehmen machen Schule“. Die kann der Handwerker direkt bei der Kammer beziehen und in der Schule einsetzen.

„Die Handwerksbetriebe haben ihre Schmerzgrenzen längst nach unten bewegt“

„Die Handwerksbetriebe haben ihre Schmerzgrenzen längst nach unten bewegt“, weiß Fengler. Er verweist auf die Friseure. „Hier wurde die Ausbildungsvergütung um 50 Prozent erhöht.“ Andere Unternehmen locken mit der Finanzierung des Führerscheins, übernehmen die Fahrtkosten zur Berufsschule oder die Unterbringung im Internat.

Aber nicht einmal finanzielle Anreize würden ausreichend Wirkung erzielen. So gebe es in der Baubranche inzwischen Ausbildungsvergütungen, deren Höhe mit der von Industriebetrieben vergleichbar sind und dennoch ist der Einbruch hier besonders dramatisch. „In früheren Jahren hatten wir da allein in unserem Bezirk mehr als eintausend Bewerbungen. In diesem Jahr haben wir mit dem heutigen Tag gerade einmal 94!“

Also alles verloren? - Nein sagt ein Unternehmen in Lützen

Dass es auch positive Erfahrungen gibt, weiß Susann Kerger aus Lützen. In ihrem Unternehmen für Fahrzeugbau schließt ein Auszubildender im Februar seine Lehre ab. „Wir sind mit ihm sehr zufrieden“, sagt sie und hofft, dass das angesichts der Lage in anderen Betrieben nicht nur ein Glücksfall war.

„Unsere Erfahrungen sind bislang jedenfalls so gut, dass wir wieder einen Ausbildungsplatz ausschreiben werden“, so Kerger Es gibt sie also noch, die alte Hoffnung und ein paar junge Menschen, die mit ihren Händen arbeiten wollen. (mz)