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Dorfreport  Dorfreport : "Is doch schieene hier"

Von Andreas Löffler 15.11.2020, 12:40
Herbstlich bunt eingerahmt nur noch schöner: Der 44-Seelen-Ort Schimmel, der auf halbem Wege zwischen Eckartsberga und Bad Bibra liegt (rechts im Bild die Dorfkirche).
Herbstlich bunt eingerahmt nur noch schöner: Der 44-Seelen-Ort Schimmel, der auf halbem Wege zwischen Eckartsberga und Bad Bibra liegt (rechts im Bild die Dorfkirche). Löffler

Schimmel - Da ist dieser Spruch, der bei unseren Begegnungen mit Einwohnern des 44-Seelen-Dorfes Schimmel immer wieder auftaucht: „Mächen, wo willste denn nur hinne - in Schimmel is doch schieene“, wiederholt Frank Vollmar im unnachahmlichen Dialekt der Alteingesessenen die Worte seines Großvaters Konrad, mit denen dieser dereinst die eigene Tochter, sprich Frank Vollmars Mutter, vom Weggang aus dem Ort abgehalten hatte. Und wann immer der heute 61-Jährige seines Großvaters legendäres Zitat in der Folge noch einmal zum Besten gibt, ist ihm das bestätigende Kopfnicken der Umstehenden gewiss.

Dorfgemeinschaftshaus - Kraftzentrum des Ortes

Dass Schimmel von seinen Bewohnern (und nicht nur von diesen) so geschätzt, eben für „schieene“ oder hochdeutsch: schön gehalten wird, hat ganz zentral mit dem Wirken des ortsansässigen Dorfgemeinschaftsvereins zu tun. Der ist 2009 im Zuge der altersbedingten Auflösung der Freiwilligen Feuerwehr gegründet worden, vereinigt heute sage und schreibe 24 der 44 Einwohner und hat das ehemalige Feuerwehr- und heutige Dorfgemeinschaftshaus zum „Kraftzentrum“ des Ortes um- und ausgebaut. Nahezu jeden Tag finden sich in dem inzwischen mit Küche und Sanitärtrakt ausgestatten Gebäude einige Leute zum Klönen zusammen.

„Und wenn Licht brennt, kommen immer noch welche dazu“, berichtet Manfred Ehrhardt - übrigens auch aus den umliegenden Dörfern wie Pleismar, Wischroda oder Braunsroda, wie heute sein einstiger Schulfreund Siegfried Fritzsche. Gastfreundschaft und Geselligkeit werden in Schimmel groß geschrieben - eine Erfahrung, die auch jene Autofahrerin machte, die vor Jahren mit ihrem Fahrzeug im Ort liegengeblieben war. Bevor man ihr beim Flottmachen des Autos half, wurde sie erstmal in die Runde der Einheimischen eingeladen. Das Dorfgemeinschaftshaus fungiert nicht nur als eine Art Ersatz für die Dorfkneipe, sondern auch als eine Informationsdrehscheibe „schneller als das Internet“, wie Frank Vollmar witzelt: „Wer das Neueste erfahren will, macht hier Station.“

Gemeinschaftsleben im Ort erhalten

Auch runde Geburtstage und sogar Weihnachten sowie Silvester werden in dem Domizil gemeinsam gefeiert - und Ehejubiläen wie etwa die Diamantene Hochzeit der Eheleute Wolfgang und Edith Bornschein. Für die hatte die Dorfgemeinschaft eigens ein Fest ausgerichtet, „obwohl wir gar nicht im Verein sind“, wie Wolfgang Bornschein staunt. Für Chef Rolf Graul und seine Mitstreiter vom Dorfgemeinschaft e.V. ist das letztlich ein nebensächlicher Fakt: „Wir wollen das Gemeinschaftsleben hier im Ort erhalten - ganz egal, ob mit oder ohne Glied“, betont er augenzwinkernd den integrativen Ansatz.

In der kalten Jahreszeit, das sei schlussendlich noch erwähnt, finden im Dorfgemeinschaftshaus auch die Gottesdienste der zwar kleinen aber immer noch eigenständigen Kirchengemeinde statt. Der Grund: Schimmels Dorfkirche verfügt über keine Heizung, aber immerhin über eine spielfähige Orgel - genauer gesagt: sie verfügt wieder über eine spielfähige Orgel. Denn das Instrument war nebst Altar und Kanzel bei einem Schwelbrand im Juni 2015 durch Hitze und Ruß schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Nach zweijähriger Sanierung bis zum Jahr 2017 erstrahlt die Inneneinrichtung des Gotteshauses wieder in neuem Glanz oder - je nachdem, wie man will - in ganz altem Glanz.

Zur Erklärung: Angesichts der nach dem Brand ohnehin erforderlichen Sanierung hatte der Denkmalschutz auf die Wiederherstellung des ganz ursprünglichen Zustandes gepocht - und somit auch auf die Rücknahme der über die Jahre und Jahrzehnte vorgenommenen kosmetischen „Retuschen“. Das führte dazu, dass das vormals hell getünchte Kircheninnere nun wieder in den originalen jagdgrünen und rostbraunen Farbtönen daherkommt und ein bisschen „aussieht wie eine Bauerntruhe“, wie Viktoria Janka findet.

Warum Schimmels Dorfkirche, die keine eigene Namensbezeichnung hat, dann und wann scherzhaft als Baron-Münchhausen-Kirche tituliert wird, gibt derweil der 84-jährige Wolfgang Bornschein zum Besten. Der Legende nach sei vor Hunderten von Jahren das den Ort umgebende Tal derart eingeschneit gewesen, dass nur noch die Kirchturmspitze aus dem Schnee ragte. An diese habe Baron Münchhausen vor nächtlicher Rast sein Pferd gebunden. Als am nächsten Morgen der ganze Schnee weggetaut war, habe der Schimmel am Kirchturm gehangen - und sei das Dorf zu seinem Namen gekommen.

Verjüngungskur: Junge Leute ziehen aufs Land

Während dies gewiss ins Reich der Fantasie verwiesen werden kann, ist in der Gegenwart und aktuell ein sehr greifbares Phänomen zu beobachten: Schimmel wird - wieder - jünger. „Es gab Zuzug durch junge Leute aus Artern sowie aus Erfurt“, berichtet Ingrid Hesse. Große Grundstücke mit Garten, eine Gemeinschaftskläranlage und - geradezu gigantisch für einen Ort dieser Größe - eine anliegende, superschnelle DSL-Leitung mit 50.000 Kilobit pro Sekunde: „Das sind Gründe, die das Dorf heute auch attraktiv für Jüngere machen“, betont Thomas Müller. Der 61-jährige selbstständige Landwirt ist 1986 zugezogen - „aus dem Westen“, wie er herumflachst, weil damit „bloß“ das zwei Kilometer entfernte Frankroda gemeint ist.

So, als hätte er sich den Spruch „Wo willste denn nur hinne - in Schimmel is doch schieene“ zu eigen gemacht, ist Thomas Müllers Sohn Mario mit seiner Partnerin und den Kindern Jonas und Emma gleich im Ort geblieben. Der Zimmermann hat direkt neben seinem Vater gebaut.