Dorfreport: Hassenhausen Dorfreport: Hassenhausen: Neu erlangtes Gleichgewicht

Hassenhausen - Es ist ein bemerkenswerter statistischer Fakt, den Hassenhausen für sich beanspruchen kann: In dem knapp zehn Autominuten westlich von Bad Kösen gelegenen Ort, dem ältesten Dorf auf der Kösener Höhe, leben aktuell exakt 155 Frauen - und gleichfalls genau 155 Herren der Schöpfung. Darf man sich Hassenhausen also als einen Ort des idealen Gleichgewichts und der perfekten Balance vorstellen? Ja und nein, nicht mehr so ganz und irgendwie doch wieder - so muss wohl die Antwort lauten, wenn man die Schilderungen langjähriger Einwohner zusammenträgt und diese auf einen Nenner bringen will.
Fakt ist: „Hassenhausen war mal ein richtig reicher Ort. Es gibt noch ein Hassenhausen bei Marburg; und als ich kurz nach der Wende mal eine Besuchergruppe aus unserem hessischen Zwillings-Ort durch unser Dorf geführt habe, staunten die nicht schlecht. Wir hatten an die 30 Unternehmen hier, Post, Sparkasse, Bäcker, Fleischer, Kneipen wie die ,Goldene Rose’, ganz früher sogar eine Brauerei“, zählt der in Hassenhausen geborene „Ureinwohner“ Martin Kirste auf. Wobei der heutige Rentner eben auch darauf verweist, dass er in der Vergangenheitsform spricht.
Viele der genannten Institutionen seien inzwischen verschwunden - eine Entwicklung, die aus Anwohnersicht auch mit einem gewissen Bedeutungsverlust durch die Eingemeindung nach Bad Kösen (1992) und schlussendlich nach Naumburg (2010) zusammenhängt. „Erst waren wir das fünfte Rad am Wagen, dann das sechste“, sagt Meinhard Fellenberg, Hassenhausener seit 1945, sarkastisch. Hans-Dieter Braune, dank einer Dokumenten- und Materialsammlung von Staunen machendem Umfang ein Ortschronist allererster Ranges, übt sich gar in Galgenhumor: „Ach was, jetzt sind wir das Ersatzrad.“
„Am schmerzlichsten wird sicherlich eine Dorfschenke vermisst, in der sich das öffentliche Leben abspielen kann“, schätzt Ortsvorsteher Jürgen Grosch, der die Belange der Hassenhausener im Bad Kösener Ortschaftsrat vertritt, ein. Die gute Nachricht: In gewisser Weise hat die Freiwillige Feuerwehr des Ortes das entstandene Vakuum gefüllt - erst recht, seitdem im vergangenen Jahr in Eigenleistung ein schmucker Gemeinschaftsraum auf dem Feuerwehrgelände hergerichtet wurde. Dort treffen sich nunmehr an jedem Freitag die aktiven sowie Alters- und Ehrenmitglieder und auch Nichtfeuerwehrleute zum gemeinsamen Klönen; dann und wann werden sogar Geburtstags- und Familienfeiern im neuen Versammlungsraum der Hassenhausener begangen.
Doch die Bedeutung der - übrigens von Martin Kirstes Urgroßvater Louis Kirste 1876 mitgegründeten - Hassenhausener Feuerwehr für das gesellschaftliche Leben reicht noch deutlich darüber hinaus: „Wir stellen im Jahresverlauf auch eine Menge öffentliche Veranstaltungen und Feste für die Einwohner auf die Beine“, erläutert Wehrleiter Denis Fellenberg und zählt das traditionelle gemeinschaftliche Weihnachtsbaumverbrennen, Osterfeuer, das Kürbisschnitzen im Gerätehaus zu Halloween oder die Kirmes im Herbst auf.
Das spektakulärste und publikumswirksamste Event ist zweifellos das so genannte Schlammfest - das auf eine durchaus dramatische Begebenheit zurückgeht. „In den frühen Abendstunden des 30. April 2000 zog von Bad Kösen ein jämmerliches Gewitter heran, das in der Hassenhausener Flur abregnete. Normalerweise haben wir dank unserer Höhenlage selbst mit Starkregen keine Probleme. Doch damals waren die umliegenden Felder gerade mit Mais und Rüben bestellt, das Wasser fand keinen Halt und floss praktisch wie in Kanälen in unseren Ort. Die Schlammlawine ließ zahlreiche Keller volllaufen; im Hof unseres Nachbarn Joachim Ritter gerieten sogar Autos ins Schwimmen“, erinnert sich Anwohner Gerhard Kannewitz.
Das Drama habe aber auch den starken Zusammenhalt der Einwohner gezeigt. „Mit vereinten Kräften und Technikunterstützung unserer örtlichen Feuerwehr und Agrargenossenschaft haben wir die überfluteten Räume leergepumpt und aufgeräumt. Genau ein Jahr später traf man sich mit einem Kasten Bier an einer Sitzbank, um einander Dank zu sagen; noch ein Jahr später gab’s an gleicher Stelle schon ein Festzelt und Musik“, schildert Maik Kirste den „Werdegang“ des Schlammfestes. Inzwischen wird alljährlich über zwei Tage, den 30. April und den darauffolgenden Tag der Arbeit, gefeiert - bei Tanz, Bier und Bratwurst. „Das Unwetter hat sich also gewissermaßen einen günstigen Termin ausgesucht“, witzelt Meinhard Fellenberg.
Nicht Gewitterregen, sondern „Wirbelwind“ ist das Stichwort, wenn die Rede auf eine der heute strahlkräftigsten Einrichtungen Hassenhausens kommt - die Kindertagesstätte gleichen Namens nämlich. „Die Nachfrage, auch aus weiter entfernten Gemeinden, übersteigt das Angebot deutlich; die 45 Plätze dort sind stets komplett ausgebucht“, weiß Jürgen Grosch. Auf Freiglände und Spielwiese könnten die Knirpse nach Herzenslust herumtollen - und sich schon immer mal auf die herannahende Adventszeit und den Weihnachtsmann vorfreuen.
Apropos Adventszeit: Alle zwei Jahre, in den Jahren mit einer ungeraden Zahl und somit das nächste Mal leider erst 2019, richtet die Agrar GmbH Hassenhausen, mit zehn Beschäftigten der größte Arbeitgeber des Ortes, die so genannte „Stallweihnacht“ aus. In Anknüpfung an die biblische Weihnachtsgeschichte mit Joseph und Maria können im eigens für den Anlass hergerichteten Schafstall gemeinsam besinnliche Stunden verbracht werden - mit Glühwein für die Großen und Märchenvorführungen für die Kleinen. „Besonders gut hat mir auch die Strohcouch, auf der ich gesessen habe“, gefallen“, berichtet die siebenjährige Lilli Fellenberg von der vorigen Auflage.
Beim Thema Weihnachten sind wir quasi automatisch bei der Kirchengemeinde des Ortes gelandet. In Hassenhausens Dorfkirche, die bis zu dessen Abriss im Jahr 1979 von einem imposanten, insgesamt stolze 68 Meter hohen (!) Turm gekrönt wurde, wird zwar nur noch sporadisch Gottesdienst gehalten - etwa zu hohen Feiertagen wie Ostern, Pfingsten oder eben Weihnachten, zu Taufen oder bei Begräbnissen. Gleichwohl beherbergt die Kirche eine kostbare Rarität: ein 1902 eingebautes Instrument der berühmten Zörbiger Orgelbauer-Familie Rühlmann nämlich. Die Orgel wird noch immer gespielt. Und da „Stammorganist“ Helmut Judersleben bereits die Achtzig erreicht hat, lässt sich gegenwärtig Peggy Schwalbe in Freyburg zur ehrenamtlichen Freizeit-Orgelspielerin ausbilden. „In diesem Jahr wurde zudem der altersschwache Blasebalg auf elektrischen Betrieb umgerüstet; zuvor mussten sich da gleich zwei Leute manuell abmühen und wir fast schon ein Sauerstoffzelt aufstellen“, gibt Martin Kirste den Spaßvogel.
Gar nicht lustig finden die Anwohner hingegen die Verkehrssituation Hassenhausens. Kritikpunkt Nummer eins: Wer nicht motorisiert ist und für Besorgungen in andere Orte fahren kann, ist aufgeschmissen. Kritikpunkt Nummer zwei: Namentlich der Lkw-Verkehr auf der direkt durch den Ort gehenden B87 nervt gewaltig - zumindest die unmittelbaren Anlieger. Kritikpunkt Nummer drei: Die Endlosgeschichte um die seit Jahren geplante Umgehungsstraße. „Die vorgesehene Trassenführung ist aus Sicht von uns Anwohnern in jeder Weise komplett unverständlich“, moniert Maik Kirste. „Die Umgehung führt meines Erachtens ohne jede Not, zumal mit der alten Poststraße eine Alternative existiert, über das historische Schlachtfeld von 1806, das wir gern als Flächendenkmal geschützt hätten. Und wegen der nötigen archäologischen Sondierungen wird sie nicht vor 2021 fertig.“