Dorfreport Dorfreport: Das hartnäckige Dutzend

Roßbach - Es ist allwöchentlich das gleiche Ritual: Jeden Sonntagvormittag um elf kommt in der Roßbacher Kneipe „Zur Hupe“ ein Stammtisch zum Frühschoppen zusammen, der ohne Weiteres als die „Regierung“ des fünf Kilometer nordwestlich von Naumburg gelegenen Weindorfes bezeichnet werden kann. Die zwölfköpfige Runde schubst und schiebt jede Menge Aktivitäten und Projekte in Roßbach an - jüngst zum Beispiel die vom ortsansässigen Elektriker Christopher Pohl in hingebungsvoller Friemelei bewerkstelligte Außenbeleuchtung der imposanten St.-Elisabeth-Kirche im Ort, die jetzt zum „Advent in den Weinbergen“ in voller Pracht erstrahlte. „Wahrscheinlich dachten viele Touristen, hier bei uns ist das Weltkulturerbe und sind gar nicht bis zum Dom weitergefahren“, juxt Jürgen Spielberg, als Ortsbürgermeister gewissermaßen Chef der Roßbacher „Regierung“. „Es braucht diesen ,harten Kern’ als Impulsgeber und Lokomotive. Ist erst einmal der Anstoß gegeben, bringen sich dann immer noch viele weitere Anwohner mit in die Vorhaben ein“, betont Winzer Volker Frölich, der wie sein Vater Rudolf zu dem „Hartnäckigen Dutzend“ gehört.
Diesmal begrüßt die Stammtisch-Runde in der „Hupe“ mit großem Hallo einen Gast, den sie augenzwinkernd als „den einzigen Roßbacher, der in Weimar lebt“, vorstellt. Zur Erklärung: Der in der Tat in Weimar wohnhafte Karlheinz Thiersch ist vor sechs, sieben Jahren bei einem Naumburg-Besuch eher zufällig auch in Roßbach gelandet und hat sich - an die Hand genommen vom einheimischen Original „Onkel“ alias Friedrich Karl Dams - in Landschaft und Leute verliebt. „Solch eine Atmosphäre von Einander-Zugewandtsein findest du in der Stadt einfach nicht; hier trägt niemand die Nase hoch, wie ich das in Weimar leider zunehmend beobachten muss“, unterstreicht Thiersch, der überhaupt einen veritablen Werbebotschafter für Roßbach hergeben würde.
Weitere Kostprobe gefällig? „Roßbach kostet dich Jahre deines Lebens“, sagt er mit unbewegter Miene in Anspielung auf die - wie könnte es in einem Weindorf aber auch anders sein - ausgeprägte Trink- und Genussfreude vor Ort - „aber dafür hast du wunderschöne Jahre“, prustet er lachend los. So weit reicht die Begeisterung des Weimarers für Roßbach, dass er dort jüngst sogar ein kleines Häuschen erworben hat. „Ohne Zustimmung der ,Regierung’“, wie „Hupen“-Wirt Uli Rothe gleich frotzelt. „Wie man sieht, sollte man hier nicht nur trinkfest sein, sondern auch den speziellen Humor und diese kleinen Sticheleien vertragen“, entgegnet Karlheinz Thiersch feixend.
Voller Ernst hingegen zählt das Roßbacher „Urgestein“ Rudolf Frölich die vielen Dinge auf, die für ihn seinen Wohnort so angenehm und lebenswert machen: „Meine familiäre Bindung an dieses Fleckchen Heimat brauche ich nicht eigens zu erwähnen, vom landschaftlichen Idyll mit umliegenden Weinbergen und Saaleaue vor der Nase gewiss auch nicht weiter schwärmen - das liegt sowieso auf der Hand. Darüber hinaus besitzen wir aber eben auch die Nähe zur Stadt Naumburg mit ihrem Bahnhof, sind in 45 Minuten am Flughafen Leipzig, haben gleich vier verschiedene Autobahnen in Reichweite - und wohnen dennoch ruhig und dörflich“, hebt Rudolf Frölich hervor.
Immer besser ließen sich in Roßbach auch Leben und Arbeiten miteinander. Quasi im „Sog“ des nach der Wende wieder zur Blüte geführten Weinanbaus mit den „Flaggschiffen“ Herzer sowie Frölich-Hake sei auch eine erkleckliche touristische Infrastruktur mit Gastronomie und Unterkunftsmöglichkeiten entstanden - Roßbach bringt es bei 300 Einwohnern auf sage und schreibe 120 Gästebetten! Und in den typischen großen Innenhöfen der historischen Gebäude beiderseits der Dorfstraße haben sich etliche Gewerbetreibende neu angesiedelt - die Möbelmanufaktur „Shapewood“ beispielsweise oder - für ein Weindorf natürlich besonders einschlägig - die traditionelle Handwerks-Böttcherei von Carsten Romberg und Sohn Alexander.
Ein solch attraktives „Gesamtpaket“ weckt allerhand Begehrlichkeiten. „Bei mir gehen nach wie vor jeden Monat bestimmt zwei oder drei ernsthafte Anfragen ein, ob man hier in Roßbach nicht noch ein Eigenheim bauen könne“, berichtet Ortsbürgermeister Jürgen Spielberg. Dem sei aus vielerlei Gründen von Natur-, Landschafts- sowie Gewässerschutz aber ganz klar ein Riegel vorgeschoben. Und selbst Erwerb oder Pacht eines bestehenden Häuschens sei beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, denn: „Auch wenn das anderswo aus der Mode gekommen ist: Hier bei uns in Roßbach werden die Gehöfte in den allermeisten Fällen von der nachfolgenden Generation der Eigentümerfamilie übernommen, bleiben also auch die jungen Leute im Ort wohnen und gehen nicht weg“, betont Jürgen Spielberg.
Genau das dürfte wohl auch der ausschlaggebende Grund für den großen Zusammenhalt im Weindorf sein. In der vom Bürgermeister-Sohn Alexander Spielberg geführten Kirmesgesellschaft, die alljährlich am dritten Septemberwochenende die große Sause veranstaltet, begegnen sich 16- und 74-Jähriger auf Augenhöhe. Auch unter den 25 Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr sind viele junge Leute, geht gegenwärtig ein Generationswechsel vonstatten. „Es ist einfach so, dass sich die Leute hier zum einen füreinander und zum anderen gemeinsam für ihren Ort verantwortlich fühlen“, bringt es Uli Rothe auf den Punkt. „Exemplarisch kann man das immer zu Pfingsten erleben - und zwar am Tag nach der berühmten Weinmeile zwischen Bad Kösen und Roßbach, auf der jedes Jahr Tausende Weingenießer entlangpilgern. Spätestens um elf Uhr vormittags und damit noch bevor irgendein Stadtwirtschaftsfahrzeug aufkreuzt, haben wir Roßbacher unseren Ort wieder tipp topp aufgeräumt und herausgeputzt.“
Auch das so genannte „Mauerbier“, auf dass sich etliche Anwohner an lauen Sommerabenden an öffentlichen Plätzen treffen, steht für den Zusammenhalt. „Einmal kam zufällig der damalige Landrat Harry Reiche vorbei und hat sich - mit einer Flasche Sekt aus dem Kofferraum seines Dienstwagen - kurzerhand dazugesellt“, erinnert sich Winzer Volker Frölich.
Sekt und Bier - das sind gewissermaßen die Stichworte, wenn wir jetzt abschließend unsere Aufmerksamkeit noch einmal gesondert auf den „Regierungssitz“ des „Hartnäckigen Dutzend“ lenken - die weit über Roßbach hinaus längst Kult-Status genießende Kneipe „Zur Hupe“ von Wirt Uli Rothe. Der hatte sich 1988, also noch zu DDR-Zeiten, in einem leerstehenden Roßbacher Gehöft nahe der B180 mit einem Betrieb zur Kfz-Hohlraumkonservierung selbstständig gemacht. Mit der Wende und dem Einzug der modernen Westautos war die Nachfrage nach dieser Dienstleistung aber schlagartig passé. Also bauten Uli Rothe und seine Frau Christine die Räumlichkeiten zu einer urigen Lokalität um und Schritt für Schritt aus und blieben in gewisser Weise ja sogar der „Hohlraumkonservierung“ treu - wenn nunmehr auch mittels Alkoholika und beim Menschen.
Zur Wiederkehr des „Hupe“-Eröffnungstages gibt es jedes Jahr am 29. September eine große Fete; am darauffolgenden 30. begeht der Wirt stets seinen Geburtstag - gemeinsam mit seinem Mitstreiter Rudolf Frölich und dem jungen Paul Taube aus dem Ort. „Wegen dieser Datumsübereinstimmung haben wir Paul zu jedem Geburtstag so viele Euro wie erreichte Lebensjahre zugesteckt. Nächstes Jahr wird er 18; ab dann kann er umgekehrt an uns zahlen“, ulkt Uli Rothe.