Behindertensport Behindertensport: Gemeinsam nach London?
ZEITZ/MZ. - Genauer gesagt im Ruderboot. Und das hat etwas mit einem anderen Quereinsteiger zu tun, der unbedingt zu den Paralympics im Sommer kommenden Jahres nach London will. Tino Kolitscher hat es in nur einem halben Jahr bis in die Nationalmannschaft im Handicap-Rudern geschafft. Er war vor sieben Wochen auch bei den Weltmeisterschaften in Bled dabei. Als Ersatzmann zwar nur, aber immerhin.
Kolitscher ist 36 Jahre alt und blind; mit Sandra Germain verbindet ihn eine jahrelange sportliche Partnerschaft. "Ich war seine Begleitläuferin auf den Leichtathletik-Sprintstrecken. Und ich habe Tino beim Neuanfang im Rudern vor allem im Fitness-Bereich unterstützt", erzählt Germain.
Der Crash-Kurs war so erfolgreich, dass Kolitscher die besten Kraft- und Ausdauerwerte der Nationalmannschaft hat, mit denen er jedoch die noch auffälligen Technikmängel nicht ausgleichen kann. Das allerdings ließe sich in den verbleibenden Monaten bis London beheben, sagt jedenfalls Thomas Böhme, der verantwortliche Bundestrainer im Handicap-Rudern. Also wurde schon in Bled ein straffer Trainingsplan ausgearbeitet. "Die letzten schönen Herbsttage sind wir auf der Saale in Halle unterwegs. Dann folgt ein langes Wintertrainingslager. Bis zu den entscheidenden Qualifikationsrennen im Frühjahr wollen wir den Rückstand aufgeholt haben", sagt Sandra Germain, die dafür im Sommer in Ratzeburg extra ihren Bootsführerschein gemacht hat.
Die neue sportliche Leidenschaft der Domstädterin spielt sich ausschließlich in ihrer Freizeit ab, da es keinerlei Fördermittel gibt. Immerhin hat aber das Landratsamt Saalekreis, wo sie als Sachbearbeiterin im Jugendamt beschäftigt ist, schon signalisiert, dass man ihr mit bezahlten Freistellungen für Trainingslager und Wettkämpfe entgegenkommen will.
Als Schülerin war Sandra Germain, 1980 in Naumburg geboren, gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder Thomas zu den Leichtathleten des TV Friesen Naumburg gekommen. Ihre Übungsleiter waren damals Conny Tietz und Mario Brandt. In ihrer Trainingsgruppe, zu der neben anderen Robert und Kathleen Schöppe (seit elf Jahren Elite-Gewichtheberin), Christian Rabold und die Schauptner-Geschwister gehörten, widmete sich Sandra Germain speziell dem Mehrkampf, entwickelte später ihre Fähigkeiten immer mehr in Richtung Wurfdisziplinen. Talent und schulische Leistungen rechtfertigten den Wechsel ans Sportgymnasium und in die Speerwurf-Trainingsgruppe des SV Halle von Bundestrainerin Maria Rietschel.
Sandra Germain konnte ihre Bestweite als 22-Jährige bis auf 50,72 Meter steigern, was 2002 Rang 23 in der deutschen Rangliste bedeutete. Eine langwierige Verletzung an ihrem Wurfarm setzte der Speerwurf-Karriere ein Ende. Sie wechselte auf der Basis ihrer Schnellkraft und Sprintwerte zum Bobsport, wurde im Zweierbob von Cathleen Martini (SC Oberbärenburg) eingesetzt, musste sich hier aber immer wieder mit der starken Konkurrenz weiterer Bremserinnen im Team auseinandersetzen. Im Jahr 2004 gewann Cathleen Martini mit ihren beiden Beifahrerinnen Yvonne Cernotta und Sandra Germain, die sich in den Läufen im Bob abwechselten, in Sigulda (Lettland) einen Weltcup-Wettbewerb, der gleichzeitig als Europameisterschaft ausgetragen wurde.
Die Mutter von Sandra Germain, Brigitte Germain, lebt heute noch in Naumburg am Flemminger Weg. Bruder Thomas Germain, im Baugewerbe tätig, hat mit seiner Familien den Lebensmittelpunkt vor einigen Jahren in die Nähe von Überlingen am Bodensee verlegt.