Das Rätsel Herbst Bunter Blauwal-Regen von den Bäumen - Und dann wird's richtig hässlich
Für die einen ist es die schrecklichste Jahreszeit, für die anderen die schönste. Wenn die Blätter fallen, steht der lange, dunkle Winter vor der Tür. Dann gilt es, die nächsten 89 Tage, 20 Stunden und 37 Minuten zu überstehen.
Halle/MZ. - Es beginnt, wenn der Sommer endet. Kaum sinken die Temperaturen, nehmen das Sträucher und Bäume als untrügliches Signal. Die guten Zeiten sind vorbei, jetzt muss sich vorbereitet werden auf die Hälfte des Jahres, in der es weniger Licht geben wird, weniger Wasser, weniger Wärme und weniger Farben. Der britische Musiker und Komponist Justin Sullivan schwärmt in einem Liedtext so: „Alles ist schön, denn alles stirbt“. Hölderlin hingegen schrieb in seinem „Herbsttag“ von den „Schatten auf den Sonnenuhren“. Aber das große Grau, es kommt unaufhaltsam und es nimmt der Welt alle Farben.
Der Herbst ist die Zeit des Jahres mit den meisten Namen. Im Gegensatz zu Sommer, Frühling und Winter ist die dritte Jahreszeit unter mehreren Begriffen bekannt. Der älteste Begriff „Autumn“ ist wohl eine Form des von den Etruskern genutzten Wortes „auctumnus“, er könnte aber auch aus dem bis 2.500 Jahre vor der Zeit gesprochenen Indo-Europäischen stammen, das mit einem ähnlichen Wortstamm „kalt“ und „trocken“ beschrieb.
Der deutsche „Herbst“ hingegen hat dieselbe Wurzel wie das englische „harvest“, das Ernte bedeutet: Aus dem lateinischen „capere“ für pflücken und dem griechischen „karpós“ für „Frucht“ wurde die Bezeichnung der Erntezeit. Die verwandelte sich dann im Mittelhochdeutschen in „Herb(e)st“, Holländer sagen „Herfst“, Schotten „Hairst“.
Doch mit der Wanderung der Menschen vom Land in die Städte ging die Bedeutung des Begriffs verloren – gut zu sehen im englischen Raum, wo „harvest“ heute wieder nur für Ernte steht. In Großbritannien wurde „harvest“ im Mittelalter ebenso durch „autumn“ ersetzt wie das bis dahin in Nordengland gebräuchliche „backend“. In die USA aber brachten die Siedler trotzdem vor allem „fall“ mit, ein Wort, das womöglich wirklich vom Fallen der Blätter inspiriert wurde.
Doch wieso wollen Bäume ihr Laub überhaupt loswerden? Dahinter steckt Selbstschutz: Blätter werden nicht mehr gebraucht, sobald die Photosynthese eingestellt ist. Fehlt es an Licht, erschwert das die Photosynthese, mit der Bäume, Gräser und Sträucher das Kohlendioxid der Luft und Wasser in Traubenzucker und Sauerstoff umwandeln.
Benötigt wird dazu Chlorophyll, ein dem menschlichen Blutfarbstoff Hämoglobin entfernt verwandter Stoff, der den grünen Anteil des Sonnenlichts reflektiert, so dass Blätter im Sommer grün erscheinen. Im Herbst aber sinkt die Photosynthese-Rate, es wird weniger Chlorophyll gebraucht und produziert.
Dadurch reflektieren Blätter weniger grünes Licht, nach und nach dominieren rote, gelbe und orangene Reflexionen das Bild. Schuld daran sind Stoffe wie Karotin und Xanthophyll, die roten, gelben oder sogar violetten Naturfarbstoffe in den Blättern, die später ausbleichen.ie sind das Schönste an einer Jahreszeit, die den Ruf hat, feucht, windig und kühl zu sein, voller Nebel und Raureif wie ein Versprechen auf Monate, in denen es manchmal nicht mehr hell zu werden scheint.
Tote Last
Doch Blätter sind nun eine tote Last und eine Gefahr für den Baum, der fürchten muss, von Stürmen härter getroffen zu werden und über die riesige Blattfläche – bei einer Durchschnittsbuche etwa 1.500 Quadratmeter – Wasser zu verlieren. Am Blattstiel bildet sich deshalb ein Trenngewebe, das verkorkt und dafür sorgt, dass ein Windstoß reicht, um Blätter fallen zu lassen.
Die Natur liefert den Laubbläser, der die Kronen kahl fegt – solar getrieben. Weil die Sonne im Herbst immer flacher über dem Horizont steht, wachsen die Temperaturunterschiede zwischen Süden und Norden. Daraus resultieren Luftdruckdifferenzen, die für Herbststürme sorgen. Das Bundesamt für Seeschifffahrt hat für die Sturmsaison eigens ein „Sturmjahr“ von Juni bis Juli erfunden. In den Daten der letzten 80 Jahre zeigt sich bislang noch keine Klimaerwärmung: In der Nordsee gibt es seit Ende der 40er Jahre pro Sturmjahr zwischen 20 und 50, in der Ostsee zwischen 20 und 45 Stürme.
Bevor es so weit ist, bringt der Wechsel vom Blühen und Gedeihen zur Vorbereitung auf einen langen Winter aber beeindruckende Naturschauspiele mit sich. Von den Bäumen fallen die Blätter, ganze Wälder färben sich gelb und rot und schließlich in zahllosen Tönen von Braun. Der „Indian Summer“ ist in Teilen der USA und Kanadas beinahe schon als eigene Jahreszeit anerkannt, weil der im Kinderlied von Peter Hacks gerühmte „Herbst auf der Leiter“ ganze Wälder in fast allen Farben des Regenbogens streicht.
150.000 Blauwale
Die Dimensionen dessen, was da zu Boden segelt, sind kaum vorstellbar. Etwa die Hälfte der 90 Milliarden Bäume, die in Deutschland auf fast zwölf Millionen Hektar stehen, werfen ihr Laub in der Zeit zwischen Anfang September und Ende November ab. Und da kommt einiges zusammen: Die Last, die sich von Ästen und Zweigen löst, wiegt zusammengenommen fast 30 Millionen Tonnen − so viel wie 150.000 Blauwale.
Dann ist es erst einmal wieder vorüber. Es wird dunkler, noch kälter, feuchter und schließlich kommt der Winter. Tröstlich dabei: Die Jahreszeiten wirken zwar beim ersten Blick auf den Kalender gleich lang. Doch die unterschiedlich schnelle Bewegung der Erde um die Sonne sorgt dafür, dass Frühling und Sommer in Wirklichkeit länger sind als Herbst und Winter. In diesem Jahr dauert der Winter zum Beispiel knapp 89 Tage und der Herbst auch nur 89 Tage, 20 Stunden und 37 Minuten.
Tröstliche Aussichten: Frühling und Sommer 2025 werden zusammen ganze acht Tage länger sein.