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Bohlenstube in Wernigerode Bohlenstube in Wernigerode: Essen wie ein Patrizier

Von RALF BÖHME 14.10.2011, 17:57

Halle (Saale)/MZ. - Passt das überhaupt zueinander? Ja, diese Frage könnte sich ein Gast schon stellen, wenn auf der Karte steht: Jakobsmuschel mit Blutwurst zu 22,50 Euro die Portion. Ungewöhnlich - Zartes aus dem Meer und Deftiges vom Metzger. Ob das wohl gut geht? Soviel vorab: Wenn es so geschickt arrangiert ist, wie in der historischen Bohlenstube in Wernigerode, dann werden vermutlich selbst verwöhnte Feinschmecker mit der Zunge schnalzen.

Der Grund: Die gewagte Kombination, ursprünglich eine Anleihe aus dem Schottischen, reizt nämlich so ziemlich alle Geschmacksnerven.

Klein und fein

Ergänzt um milde Birnenstückchen und die pure Süßkartoffel erlebt der Gaumen dabei aber keine krassen Gegensätze, sondern ein vielmehr überraschendes Zusammenspiel: kurzum eine kulinarische Entdeckung und Bestandteil eines Erlebnis dazu, dass einen schönen Tag krönen kann.

Dazu trägt bei, dass man sich der (fast) ungeteilten Aufmerksamkeit von Küche und Service sicher sein kann. Kein Wunder, denn die Bohlenstube aus dem 15. Jahrhundert ist tatsächlich eine Stube, klein und fein. Gerade einmal vier Tische mit insgesamt 14 Stühlen passen in den Raum hinter der unter Denkmalschutz stehenden Fachwerk-Fassade des Gothischen Hauses.

Es ist keineswegs übertrieben: Der einstige Palast des reichen Patriziers Wilhelm Reifenstein ist ein Geheimtipp für Gourmets mit ganz viel Sinn für Romantik. Unter anderem deshalb: Einen besseren Ausblick auf den Bilderbuch-Markt der bunten Stadt am Harz gibt es einfach nicht. Mancher mag hier sogar auf Hochzeitsgedanken kommen, denn das Standesamt im märchenhaften Rathaus ist gleich nebenan.

"Wie in der Partnerschaft muss aber auch auf dem Teller die Mischung stimmen", so Küchenchef Ronny Kallmeyer. Das scheint überhaupt das Erfolgsrezept des Hauses zu sein. Und dabei geht es nicht einmal um Raffinesse, sondern um den gewitzten Einfall und die in jeder Hinsicht saubere Zubereitung. Darauf stimmt bereits die Vorspeise ein: Meeräsche und Lamm, umfasst von frischen Mandarinen, Rosmarin und einem Hauch von Roten Beeten (16 Euro). Vielleicht stört sich dieser oder jener am salzigen Grundton des Mittelmeer-Fisches, doch sonst gibt es an dieser Variante kaum etwas zu mäkeln. Die Zähne müssen nicht viel arbeiten: Sowohl das Fleisch als auch das wahrlich kaiserliche Obst erweisen sich als überaus zart und aromatisch. Ein glückliches Händchen, das besitzt der Koch offensichtlich auch beim Würzen. Rosmarin - übrigens die Heilpflanze des Jahres - rundet die geschmackliche Harmonie ab. Natürlich ist das keine Erfindung aus Wernigerode.

Scheinbare Kleinigkeiten

Der Münchner Sterne-Koch Alfons Schubeck schwört seit Jahren auf das Kraut für Körper, Seele und Geist - trotzdem: Auch in diesem Punkt müssen sich die Gastgeber in der Bohlenstube nicht verstecken. Oft sind es scheinbare Kleinigkeiten, die über das Wohlbefinden des teuren Gastes entscheiden. Und weil das Team auf Details akribisch achtet, serviert die junge Kellnerin eben immer mit weißen Handschuhen. Und das Geschirr ist in der selben Grundfarbe gehalten wie die mattgrünen Bohlen an Decke und Wänden. Das Silberbesteck blitzt im Schein der zwölf großen weißen Kerzen, die das Zimmer in einen wohligen Lichtschein tauchen. Dass bei diesem Ambiente dezent klassische Musik erklingt, vorzugsweise aus der Zeit des Barock, erweist sich als die beste Wahl. Da schmeckt - je nach persönlicher Vorliebe - ein Hibiskusblüten-Sorbet (8,50 Euro) oder auch ein Harzkäslein mit Löwenzahnblüten und Fichtenspitzen (9,50 Euro) gleich noch einmal so gut.

Die nur allzu angenehme Qual der Wahl erlebt man beim Blättern in der überaus umfänglichen Weinkarte, die natürlich nach Art des Hauses in festes, schweres Leder eingebunden ist. Neben einer Reihe von Angeboten, die auf besonders zahlungskräftige Kenner zugeschnitten sind, dominieren darin die guten Klassiker.

Empfehlenswert ist beispielsweise ein Dornfelder Ursprung aus der Pfalz. Dieser Tropfen eignet sich vielleicht nicht für Trinkgelage, aber für das nun bald folgende Hauptgericht ist er wie geschaffen. Sein voller Geschmack, der an eine wundersame Komposition von Waldbeeren und Tabak erinnert, ergänzt die dann folgende, doch recht üppige Portion vom Harzer Höhenvieh mit etwas Kürbis und Haselnuss für 34 Euro.

Stopp, Harzer Höhenvieh - davon hat man doch schon gehört. Aber was und wann? Das Personal, egal, wen man fragt, hilft einem auf die Sprünge. Ja, es stimmt, beinahe wäre diese Art von Rindviechern im Harz ausgestorben. Dass es nicht dazu gekommen ist, dankt die einheimische Landwirtschaft und Gastronomie einer Samenbank. Ohne die guten Dienste dieser Einrichtung könnten die Feinschmecker heutzutage nicht den vorzüglich zubereiteten Braten genießen. Seine Farbgebung rechtfertigt ein großes Foto in einem der exklusiven Kochbücher. Kürbis und Haselnuss sind die winzigen, aber wohl unverzichtbaren geschmacklichen und optischen Beigaben. Respekt, Herr Küchenmeister, besser geht es kaum!

Viel Zeit mitbringen

Wer bei diesem Menü zur Eile drängt, dem entgeht etwas. Denn Genuss braucht Zeit. Wie sonst soll sich die unabdingbare Konzentration auf den Geschmack einstellen? In der Bohlenstube ist alles so bemessen, dass der Gast mindestens drei, besser aber vier Stunden einplant. Tipp an alle unruhigen Zeitgenossen: Einmal eine Pause machen, einmal sich Zeit nehmen wie die fröhlichen Menschen in südlichen Gefilden. Das ist ein Grundelement der Hausphilosophie und somit die Grundbedingung für einen unvergesslichen Abend.

Bohlenstube im Gothischen Haus

Adresse: 38855 Wernigerode, Marktplatz 2

Telefon: 03943 / 67 50

Öffnungszeiten:

Mittwoch bis Sonntag ab 18 Uhr

14 Punkte im Gault Millau

Menüs ab 56 Euro

offene Weine ab 7,90 Euro, Wein im Schnitt 30 Euro