1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Blitz-Fahnder aus Dessau: Blitz-Fahnder aus Dessau: Dirk Lindner kann Gewitter in Sachsen-Anhalt lokalisieren

Blitz-Fahnder aus Dessau Blitz-Fahnder aus Dessau: Dirk Lindner kann Gewitter in Sachsen-Anhalt lokalisieren

Von Ralf Böhme 16.09.2018, 10:00
Blitze-Fahnder und Klick-Millionär Dirk Linder an seiner Wetterstation
Blitze-Fahnder und Klick-Millionär Dirk Linder an seiner Wetterstation Andreas Stedtler

Dessau - Lautlos blinkt die grüne Diode auf. Das ist das Signal: Es blitzt gerade wieder. Jede Entladung am Himmel sendet eine bestimmte Frequenz. „Ich fange sie auf, hier mit diesem kleinen Kasten“, sagt Blitz-Fahnder Dirk Lindner.

Die Daten werden erfasst und sogleich an einen Spezialserver weitergeleitet. Dort erfolgt ein Abgleich mit weiteren Stationen in Europa, sogar ein Satellit ist einbezogen. So lässt sich der Blitz punktgenau orten.

Lokalisierung von Blitzen: Jede Sekunde zählt

Es ist immer ein Wettlauf mit der Zeit. „Jede verlorene Sekunde bedeutet Abweichung.“ Deshalb investiert Linder laufend in neueste Messtechnik. Anders sei ein Blitz, der immerhin mit einem Höllentempo von 300 Metern pro Mikrosekunde durch die Wolken rase, nicht exakt zu lokalisieren.

Schließlich passiere das Ganze nicht vor seiner Haustür. „Bisher hat es noch kein Blitz bis in meinen Garten geschafft“, sagt Lindner. In Sachsen-Anhalt jedoch herrsche in diesem Sommer Unruhe wie nie.

Dirk Lindner: Mehr Blitze in Sachsen-Anhalt als 2017

„Es blitzt viel mehr als 2017“, ist sich der Wettermann nach dem Jahrhundert-Rekord an tropischen Nächten ziemlich sicher. Die exakte Bilanz steht aber noch aus.

Aber das dauert nicht mehr lange. Denn der Dessauer führt quasi Buch darüber. Ihm entgeht seit geraumer Zeit kaum noch ein Blitz, der sich in Sachsen-Anhalt und selbst weit darüber hinaus mit viel Energie entlädt - zuweilen mit schlimmen Folgen.

Auch Blitzeinschläge tragen zu Unwetterschäden in Sachsen-Anhalt bei

Denn auch Blitzeinschläge tragen dazu bei, dass Versicherer im Salzlandkreis die höchsten Unwetterschäden in Sachsen-Anhalt registrieren. Über einen Zeitraum von 15 Jahren von 2002 bis 2016 seien dort jedem betroffenen Hausbesitzer im Durchschnitt 5.800 Euro Schaden entstanden, so der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft.

Magdeburg kommt demnach glimpflich davon: Statistisch beträgt die Schadenssumme dort nur 3.900 Euro. Ärgerlich ist, wenn Eigentümer im Fall des Falles nicht über den passenden Versicherungsschutz verfügen. Beispielsweise haben nur 43 Prozent der Wohnhäuser in Sachsen-Anhalt eine Police, die „erweiterten Naturgefahrenschutz“ garantiert.

Dirk Lindner: Seit 2006 ehrenamtlicher Blitz-Fahnder in Sachsen-Anhalt

Wer wie Lindner eine komplette Wetterstation errichtet, ist natürlich rundum abgesichert. Bereits seit 2006 ist der gelernte Mechaniker ein ehrenamtlicher Blitzfahnder und weiß um die Gefahren.

Was ihn antreibt: „Weil ich mich nicht nur auf die amtlichen Wetterangaben aus Köthen und Wittenberg verlassen will.“ Und weil es Spaß macht. Der Grund: Wenn Lindner die erfassten Daten vergleicht, erlebt der Hobby-Meteorologe immer wieder Überraschungen.

Trotz Regenmangel: In Sachsen-Anhalt gibt es viele Blitze

In dieses Spektrum gehört: Das klassische Gewitter mit Blitz, Donner, Sturm und Regenguss hat mittlerweile Seltenheitswert. Das ist eine Auswirkung eines Sommers der Superlative - infolge lange Zeit nahezu konstanter Wetterlage.

Dennoch, so Lindner, die Anzahl der Blitze habe in diesem Jahr nicht abgenommen. „Das Gegenteil ist der Fall. Was in den vergangenen Monaten gefehlt hat, das war lediglich der Regen.“ Anders als von manchem Experten erwartet, herrscht an Blitzeinschlägen tatsächlich kein Mangel. „Der Sommer brachte viele schwere Gewitter ohne Regen.“

19.000 registrierte Blitze in Sachsen-Anhalt 2017

Seine Messungen belegen zudem die Annahme, als könnten in diesem Sommer in der Summe noch mehr Blitze als 2017 zusammen kommen. Die damalige Bilanz: 19.000 registrierte Blitze, immerhin schon 5.000 mehr als im Jahr zuvor.

Besonders davon betroffen ist laut Lindner der Süden des Landes. Häufiger als anderswo kommt es beispielsweise im Burgenlandkreis zu Blitzen. Mehr als 3 000 Mal zucken sie dort jährlich zur Erde. Das macht mehr als zwei Einschläge pro Quadratkilometer.

In Wittenberg gibt es die meisten Blitze

Aktueller Spitzenreiter ist in dieser Disziplin der Landkreis Wittenberg. Dort liegt dieser Quotient noch einmal ein Stück höher. Statistisch bis hinter die Kommastelle berechnet, kommt Lindner dabei auf einen Wert von 2,1 Blitzen pro Quadratkilometer. Das ist mehr als das Doppelte vom Landesdurchschnitt. Der pendelt seinen Messungen zufolge um den Wert 0,9.

Wer einen Blitz am Himmel sieht, kann sich auf einen Donner gefasst machen. Aber nicht immer ist dann etwas zu hören - Blitze ohne Donner? Das gibt es nicht wirklich. Lautlose Blitze lassen sich damit erklären, dass sich Schallwellen nicht unendlich weit ausbreiten können und das Gewitter noch zu weit weg ist.

Ein Blitz bringt einen plötzlichen und extremen Temperaturanstieg der umgebenen Luft mit sich. Durch die Erwärmung dehnt sich die Luft so plötzlich und so schnell aus, dass die Schallmauer dabei durchbrochen wird und die Luft auf mehr als 1.062 Kilometer pro Stunde beschleunigt. Der laute Knall des Donners ist letztlich nichts anderes als ein Überschallknall. Dieser Knall breitet sich in alle Richtungen aus, die Lautstärke nimmt jedoch mit der Entfernung zum Blitz ab.

Wie weit der Donner zu hören ist, hängt von vielen Faktoren ab - zum Beispiel ob das Himmelsspektakel im Tiefland abläuft, ob das Wetter klar ist und einiges mehr. Selbstverständlich spielt auch die Windrichtung eine Rolle. Meistens schallt der Donner bis zu 25 Kilometer weit, bei günstigen Bedingungen sogar bis zu 50 Kilometer. Wenn aber ein Blitz zu sehen ist, aber kein Donner folgt, passiert das Ganze zu weit weg.

Wenn Sie am Horizont ein Gewitter, aber keine einzelnen Blitze erkennen und erst recht keinen Donner hören können, handelt es sich um das so genannte „Wetterleuchten“. Dabei ist das Gewitter so weit entfernt, dass man zwar die Reflexion der Blitze in den Wolken sieht, aber nichts hört.

Extrem wenig blitzt es dagegen traditionell im Landkreis Mansfeld-Südharz. In dieser Region erreicht die Zahl der Entladungen meist gerade einmal ein Drittel des sonst Üblichen. Das bestätigt auch der deutsche Blitzatlas. Unterm Strich weist die Übersicht den Kreis im Regenschatten des Harzes auf dem 397. Platz von 403 kommunalen Gliederungen aus.

Bundesweiter Vergleich: In Sachsen-Anhalt gibt es mit die wenigsten Blitze

Überhaupt, Sachsen-Anhalt gehört trotz zuletzt knapp 20.000 Trockengewittern insgesamt zu den blitzarmen Regionen in Deutschland. Das zeigt sich auch im Ranking der Bundesländer: Dort ist das Land auf die Plätze 12 oder 13 abonniert. „Das kann sich aber auch schnell ändern. Denn Blitze lassen sich vorab, trotz diverser Modelle, nicht verlässlich berechnen“, erklärt Lindner.

Deshalb macht sich der Dessauer in der Zeit, in der Gewitter absolute Hochsaison haben, oft auf den Weg nach oben. Dann entert der Mann mehrmals täglich seine, wie er sagt, schmale Himmelsstiege. Das Ziel der Kletterübung ist der Dachboden des kleinen Siedlungshauses im Süden der Stadt.

Dirk Lindner beobachtet täglich einige Hundert Blitze

Dort oben öffnet er aber nicht die Luke, um Ausschau zu halten. Nein, hier steht auf wenigen Quadratmetern alles, was nötig ist, um einen Blitz zu entdecken.

Beeindruckend: Fast täglich registriert er einige Hundert Blitze - „eine unheimliche spannende Aufgabe.“ Die Daten, die der ehrenamtliche Mitstreiter an das Netzwerk „Blitzortung.org“ sendet, helfen auch, gefährdete Regionen vor Unwettern zu warnen.

Dirk Lindner steht in Kontakt zu anderen Blitz-Fahndern aus ganz Europa

Über Gewitter und andere Wetter-Erscheinungen tauscht sich der Dessauer mit Blitz-Ortern auf dem ganzen Kontinent aus. Deutsch und Englisch - mit beiden Sprachen komme man schon weit. Vor allem in Spanien, Frankreich, der Schweiz und Österreich verfügt Lindner über gute Kontakte. „Blitze kennen keine Ländergrenzen.“

Blickfang sind die beiden großen Antennen. Die Drähte sind über schräg verschobene Holzkreuze gespannt. „Es sind zwar Eigenbauten, aber das Ganze funktioniert“, sagt der gelernte Betriebs-, Mess-, und Steuertechniker. Ratschläge und gedanklichen Austausch für sein Antennen-Projekt habe er in einschlägigen Internet-Foren gefunden.

Blitze haben eine Stromstärke von 20.000 Ampere

Mit den im Grunde schlichten Konstruktionen, die ein wenig an große Wäscheständer erinnern, fängt Lindner die Impulse der elektromagnetischen Entladungen bei Gewittern in weitem Umkreis auf.

Dass bei ihm selbst über große Entfernungen etwas ankommt, dafür sorgen nicht zuletzt die Stromstärken der Blitze - im Schnitt sind es 20.000 Ampere. „Die Hochspannung in den Wolken baut sich aber unvorstellbar schnell ab“, so Lindner. Innerhalb einer Mikrosekunde - das ist der millionste Teil einer Sekunde - sei alles vorbei. Donner und Doria. (mz)