Bernburger Unternehmen in Bayern Bernburger Unternehmen in Bayern: Flucht ins Wirtschaftswunder

Bernburg - Seine Kontakte nach Bernburg hat er über all die Jahre nie abreißen lassen. Neulich ist er mal wieder dort gewesen. 55 Jahre Abitur an der Oberschule „Karl Marx“. „Dabei“, sagt Peter Feser in seinem weichen fränkischen Singsang, „war ich da ja schon gar nicht mehr dabei.“ 1958, zwei Jahre vor dem Abi, war er mit seinen Eltern in den Westen geflohen, fort aus Bernburg, aus der Heimat, aus der DDR. 16 war er damals, „ich habe die Werkstatttür abgeschlossen“, erinnert er sich. Sein Bruder Udo, zehn Jahre älter, hatte schon vorher sein Heil im Westen gesucht.
Die SED hatte ihren Vater degradiert, vom selbstständigen Unternehmer zum Betriebsleiter. 1929 hatte Walter Feser in Bernburg eine Motorrad-Werkstatt gegründet, später kamen die Reparatur und der Verkauf von Autos dazu. 1957 musste er sich in die Produktionsgenossenschaft des Handwerks eingliedern lassen. Der Staat wollte keine privaten Unternehmer mehr - schon gar nicht solche wie Feser, die offen sagten, was sie dachten. Und Walter Feser wollte nicht mehr mit diesem Staat.
„Unser Ursprung ist Bernburg“
In der Geschichte der Familie Feser bündelt sich wie in einem Brennglas deutsch-deutsche Geschichte. Ohne das Kapitel Bernburg, ohne die Flucht damals, gäbe es heute nicht die Feser-Graf-Gruppe. Der viertgrößte Autohändler Deutschlands nach Umsatz, 36 Autohäuser, 1.800 Beschäftigte, darunter fast 400 Lehrlinge. „Unser Ursprung ist Bernburg“, sagt Uwe Feser, 55. Der Enkel von Walter Feser ist heute einer der geschäftsführenden Gesellschafter des Unternehmens.
Nach der Wende sind sie zurückgekehrt zu ihrem Ursprung. Schon im Januar 1990 waren Udo und Peter Feser in Bernburg - und sich schnell einig: Sie wollten dort wieder ein Unternehmen aufbauen. Uwe Feser, der Sohn und Neffe, damals schon einige Jahre im Unternehmen, war anfangs skeptisch, das räumt er heute offen ein. Der Osten? Sofort! „Natürlich haben wir vom Mauerfall profitiert“, sagt er. Aber Bernburg? Sie hätten auch einen Vertrag als VW-Händler in Erfurt bekommen können. Doch die Familientradition gab den Ausschlag für Sachsen-Anhalt, Vater und Onkel setzten sich durch. Wenige Monate später eröffneten sie mit einem lokalen Partner ein Autohaus, heute vertreiben sie die Marken VW und Audi.
Es war die Zeit, in der Feser schon im Westen gewachsen war. Nach der Flucht 1958, via Berlin zu Verwandten in Bayern, hatte Walter Feser seine Kontakte zur Autoindustrie genutzt. VW suchte einen Vertriebspartner in Schwabach bei Nürnberg. Feser griff zu. 1960 baute er neu - die zweite Gründung nach Bernburg. Westdeutschland, Wirtschaftswunderland - das Geschäft brummte. In den 1970er Jahren wurden sie auch Audi-Händler, wuchsen weiter mit Übernahmen von Konkurrenten, denen der Nachwuchs fehlte, mit Fusionen. Im Jahr 2000 folgte der Zusammenschluss mit einem Wettbewerber zur Feser-Graf-Gruppe. In Sachsen-Anhalt hat die Gruppe mittlerweile auch ein insolventes Autohaus in Magdeburg übernommen.
In einem Land also, dem die jungen Leute davonlaufen. Fachkräftemangel, über den Unternehmer und Politiker gerne klagen? Uwe Feser sieht das entspannt. Seine Antwort heißt: Ausbildung. „Man muss sich die Leute schon heranziehen“, sagt der Chef, „fertig gibt es keinen.“ Sein Ziel: Wer bei ihm lernt, soll bleiben, sich weiterentwickeln, sich hocharbeiten. „Wer mit der Firma groß geworden ist, identifiziert sich stärker mit ihr.“ In Schwabach, erzählt Peter Feser, haben sie gerade den Geschäftsführer eines ihrer Autohäuser in den Ruhestand verabschiedet. Vor 50 Jahren hatte der Mann als Lehrling im Lager angefangen. „Wir haben überhaupt keine Probleme, Auszubildende zu bekommen“, sagt Uwe Feser, „auch in Sachsen-Anhalt nicht.“
An die Wurzeln erinnert ein großes Schwarz-Weiß-Foto, aufgenommen in den 1930er Jahren. Es zeigt Walter Fesers Werkstatt in der Hohen Straße in Bernburg und hängt in einer alten Fabrikhalle in Schwabach, ein kleines Privatmuseum. Dort haben die Fesers rund 80 alte Autos ausgestellt, die Bedeutung haben für die Firmengeschichte, die hier immer auch Familiengeschichte ist - vom „Wanderer W 4“ von 1921 bis zum VW Golf Cabrio, Baujahr 2000.
Manche von den Oldtimern fahren die Feser-Brüder noch heute bei Rallyes, an denen sie regelmäßig teilnehmen - Udo mit seinen 83 Jahren am Steuer, Peter, zehn Jahre jünger, auf dem Beifahrersitz. (mz)