Bergbau im Mansfelder Land zu DDR-Zeiten Bergbau im Mansfelder Land zu DDR-Zeiten: Harte Arbeit ohne Zukunftsperspektive

Mansfeld/Sangerhausen - Nur wenige sind in diesem Jahr zum Schacht gekommen. Die Alten sind heraus geputzt, die schwarzen Trachten werden stolz gezeigt. Es sind nur einige Dutzend grauhaarige Männer mit kantigen Gesichtern. Die meisten lachen und erzählen sich Geschichten von früher oder tratschen über die Gebrechen von heute. Ein Fanfarenzug spielt zum dritten Mal an diesem Vormittag den Steiger-Marsch, die Wiederholung stört hier niemanden. Es ist ihr Lied, ihre Hymne, Musik aus der Vergangenheit.
Es gibt Bratwurst und Bier, aber gefeiert wird nicht, denn es gibt dafür keinen Anlass. Vor 25 Jahren fuhr die letzte Produktionsschicht der Kumpel in den Untergrund des Sangerhäuser Reviers. Der Röhrig-Schacht in Wettelrode ist ein symbolischer Ort, der nur andeuten kann, welche Kämpfe unter Tage durchstanden werden mussten. Es waren Kämpfe mit dem Berg, mit der Technik, mit der Politik.
Es war auch ein Kampf gegen die Zeit. Selbst der DDR-Wirtschaftsführung war früh klar, dass in den Revieren rund um Mansfeld und Sangerhausen irgendwann das Kupfererz zur Neige gehen würde. Noch in den 1960er Jahren prognostizierten Geologen eine Produktion bis zum Jahr 2027. 20 Jahre später berechneten sie das Ende der Schächte und Stollen für das Jahr 2012. Kurz vor dem Ende der sozialistischen Planwirtschaft, 1987, mussten die Bergleute dann schon 1995 mit dem Ende ihrer Arbeit rechnen. Doch es ging noch schneller.
Fünf Kilometer südlich sitzt Mark Lange in einem kleinen Büro in Sangerhausen und redet überzeugend, das ist sein Job. Das Telefon klingelt oft. Der 43-jährige ist Chef der Gesellschaft für Standortmarketing im Landkreis Mansfeld-Südharz. Lange ist sportlich, trägt kurze graue Haare, weißes Hemd und Krawatte, er will die Region vermarkten, möglichst an Investoren, die viele Arbeitsplätze bringen. Der ehemalige Banker hat die Region Mansfeld-Südharz einer Analyse unterzogen und kommt zu dem Schluss: „Dieser Landkreis hat es schwerer als viele andere.“ Doch er will nicht jammern, sondern zupacken, Dinge organisieren - er hat einen Blick für die Stärken. „Wir müssen selbstbewusster werden“, sagt Lange und schwärmt von den Bergen um den Süßen See und nennt sie „Toskana des Ostens“. Dabei ist hier eigentlich der Nabel Deutschlands.
Identitätskrise trotz großer Geschichte
Der erste deutsche Kaiser, Otto der Große, soll im Jahr 912 in Wallhausen geboren sein. Einiges spricht dafür, ein Beweis fehlt, der Gegenbeweis aber ebenso. Schon in dieser Zeit wurde im Mansfeldischen höchstwahrscheinlich das Erz aus der Erde geholt. Ein halbes Jahrtausend später prägt ein anderer Sohn das, was später Deutschland heißt. Der Eisleber Martin Luther trägt die direkte Sprache der ostmitteldeutschen Mundart durch seine Bibelübersetzung in die Welt. Nord- und süddeutsche Dialekte hatten sich in ihr schon vereint, es wird der Ursprung des Hochdeutschen. Luther hatte dem Volk aufs Maul geschaut. Noch heute ist die Mansfeldische Mundart direkt, schroff und klar in der Botschaft.
Den Menschen hier ist diese historische Dimension durchaus klar, aber trotzdem fehlt das Selbstbewusstsein, das der Marketing-Chef Lange fordert. „Es gibt hier eine große Identitätskrise. Das liegt am Zusammenbruch des Bergbaus, früher hat sich alles nur darum gedreht“, sagt Lange. Auch ein viertel Jahrhundert nachdem die Schächte geschlossen wurden, wirkt das nach. Die Abwanderung ist immer noch hoch. Die Arbeitslosigkeit spielt eine große Rolle, die Quote im Landkreis ist mit rund 13 Prozent die höchste in Sachsen-Anhalt. Die Hälfte der mehr als 9 000 offiziellen Arbeitslosen sind auf Dauer sogenannte Langzeitarbeitslose.
Die Arbeitsagentur bezeichnet die Situation als „angespannt“. Einer, der sich dafür einsetzt, dass das verbliebene Stück Identität der Region erhalten bleibt, ist Erich Hartung. Man sieht ihm nicht an, dass er früher als „Treckejunge“ das Kupfererz aus gerade einmal 50 Zentimeter hohen Gängen zog. „Auch den jungen Leuten muss bewusst bleiben, dass die Basis unseres Reichtums der Schweiß unserer Vorfahren ist“, sagt Hartung. Er hat solche Sätze wohl schon oft gesagt, seit 13 Jahren leitet er das Schaubergwerk in Wettelrode.
Inzwischen gibt es hier mehr als nur eine historische Show mit Seilfahrt und ohrenbetäubenden Lärm unter Tage. „Erlebniszentrum Bergbau“ steht auf den Schildern und Prospekten. „Wir versuchen etwas zu bieten, das über den Bergbau hinaus geht“, erklärt der 62-Jährige. Es gibt Konzerte oder Kabarett im Schacht, ein modernes Museum, Sonderführungen oder Besteigungen der riesigen Abraumhalden, die die weiche Landschaft immer wieder dominieren.
In der DDR genoss Hartung als Bergmann wie tausende seiner Kumpel zahlreiche Privilegien. Ein gutes Gehalt entschädigte für die harte Arbeit. Wohnung, Auto oder Farbfernseher bekamen die Bergleute leichter und schneller als andere. Das rief auch Neid hervor. „Aber die Arbeit hat einen immer mit Stolz erfüllt“, sagt Hartung. Nachdem das Mansfelder Revier schon im Jahr 1969 still gelegt wurde, konzentrierte sich der Abbau auf das Revier um Sangerhausen. „Es war eine eingeschworene Gemeinschaft, trotzdem hatte jede zweite Familie etwas mit dem Bergbau zu tun.“
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Hartung selbst arbeitete sich nach oben, wurde Brigadeleiter, absolvierte ein Fernstudium, wurde Steiger, Oberfachsteiger. „Wir haben uns immer Gedanken gemacht, wie man die Technologie verbessern kann, um noch mehr Erz zu fördern“, erzählt der heutige Museumsleiter.
"Man wird den Bergbau nicht so einfach los"
Dabei war der Kupferabbau schon seit Jahrzehnten defizitär und wurde hoch subventioniert. Zuletzt soll die Produktion einer Tonne reinen Kupfers fast zehnmal so viel gekostet haben, wie der Verkauf einbrachte. Die Energiekosten waren enorm, das einbrechende Wasser bereitete zunehmend technische Probleme, außerdem wurden immer mehr Erzkonzentrate aus den „sozialistischen Bruderstaaten“ und Kupferschrott aus der BRD zur Verhüttung gebracht. Doch das Kombinat „Wilhelm Pieck“ mit seinen zehntausenden Arbeitern sicherte der DDR Metalle aller Art und brachte wichtige Exportgüter. Das Kombinat galt als Vorzeigebetrieb und wurde größer und größer. „Es war klar, dass der Bergbau irgendwann zu Ende gehen würde. Aber um die Zukunft hat sich keiner Gedanken gemacht. Es gab ja Pläne, wie es nach 1995 weitergehen sollte“, sagt Hartung. Blechproduktion, die Instandhaltung von Eisenbahnen und sogar Computertechnik sollte den Kumpel Arbeit über Tage sichern. Mit dem Fall der Mauer kam das abrupte Ende. Zurück blieb ein riesiges Loch.
„Es gab eine großes Jammern und Wundenlecken, viele Leute haben einen Schuldigen gesucht und ihn in der Wende gefunden“, sagt Mark Lange. Er, der die Stärken sieht, hebt die logistische Lage des Landkreises in der Mitte Deutschlands hervor. Investoren fänden hier günstige Flächen, Arbeitskräfte und Top-Autobahnen. Gerade hat die fertiggestellte A 71 den Süden und damit die Region um Erfurt näher gerückt. Gleichzeitig gibt es hohe Konkurrenz. Halle, Leipzig und Erfurt haben ebenfalls Industriegebiete, außerdem Hochschulen. „Bei uns fehlt dadurch die Innovationskraft, wir brauchen deshalb arbeitsintensive Industrie“, sagt Lange. Echte Industrieflächen, wo rund um die Uhr produziert werden kann, sind Mangelware oder liegen nicht an der Autobahn, Gewerbegebiete gibt es viele. Es seien lange Zeit Fehler in der Kreispolitik gemacht worden, sagt Lange. „Wir müssen künftig nicht besser sein als die anderen, sondern anders“, sagt Lange.
Der Landkreis Mansfeld-Südharz ist in vielen Köpfen noch gespalten. Seit 2007 ist es ein künstliches Gebilde aus den Regionen rund um Mansfeld und um Sangerhausen. Die alten Bergbau-Reviere werden nun zusammen verwaltet. Es ist auch eine Form der Identitätskrise. Museumschef Erich Hartung legt am Röhrig-Schacht viel Wert auf die hohe Qualität der Führungen für die Touristen aus der Stadt. „Bei uns machen das nicht irgendwelche Studenten, sondern echte Bergleute, die wissen wovon sie reden.“ Hartung selbst soll bald in den Ruhestand gehen, 45 Jahre Arbeit sind dann vorbei. „Ich werde hier weitermachen als geringfügig Beschäftigter. Man wird den Bergbau nicht so einfach los“, sagt er. Sein Nachfolger soll frischen Wind in das Erlebniszentrum bringen. „Es wird neue Ideen geben, da bin ich mir sicher“, sagt der Ex-Bergmann. Vielleicht verschwinden irgendwann sogar die riesigen Halden, die die Vergangenheit ständig präsent halten. Internationale Konzerne nehmen die Berge von Abraum immer mal wieder in Augenschein. Vielleicht lohnt es sich irgendwann, die Massen aufzuarbeiten. Vielleicht. Für die Region um Mansfeld und Sangerhausen gilt ein Bergmannsspruch wohl ganz besonders: Vor der Hacke ist es dunkel. Vielleicht kommt da nur taubes Gestein, vielleicht aber wieder etwas glänzend Wertvolles. (mz)

