Bei Familie von Carlowitz Bei Familie von Carlowitz: Lockruf des Waldes

Brunkau - Brunkau? Selbst wer auf der B189 von Magdeburg in Richtung Stendal häufig unterwegs ist, dürfte den Abzweig zu diesem Örtchen kaum wahrnehmen. Dabei ist das Winz-Dorf in der Welt bekannt, wird gar als „Silicon Valley der Altmark“ gerühmt. Weil hier eine Firma hochbegehrte Hightech-Produkte herstellt. Gegründet von einem Tüftler, der schon zu DDR-Zeiten „so etwas wie ein Daniel Düsentrieb war“, wie Wilhelm von Carlowitz lächelnd einen Vergleich zum Erfinder aus der Walt-Disney-Welt zieht. Nach der Wende habe der Mann, der in der realsozialistischen Zeit ohne Chance, weil ihr offenbar voraus war, mit seinen Produkten weltweit Abnehmer gefunden. Das Unternehmen floriert, weshalb nicht selten Lkws aus fernen Ländern über die sonst so stillen Straßen von Brunkau donnern.
Voller Anerkennung spricht Wilhelm von Carlowitz über diese Erfolgsgeschichte. Er hat sie ja tagtäglich vor Augen. Denn die Weltfirma sitzt just als Untermieter in einem Teil des historischen Vierseitenhofs, den er mit seiner Frau Astrid jahrelang mühevoll restauriert und zum Familiensitz hergerichtet hat. Hier, mitten im märkischen Wald. Eigentlich erstaunlich für ein Paar, das selbst Jahrzehnte in der weiten Welt unterwegs war. Er für eine Bank. Sie als Gymnasiallehrerin für Germanistik und Romanistik. „Eine gute Berufswahl. So konnte ich immer mitziehen, wenn mein Mann mal wieder versetzt wurde und fand jeweils auch Arbeit“, sagt Astrid von Carlowitz über jene bewegten Zeiten. Luxemburg, Brüssel, London, Paris - nur einige Stationen.
Das verlorene Paradies
Ja, sicher sei das eine interessante Zeit gewesen, sagt Wilhelm von Carlowitz. Aber, wirft seine Frau ein, „wir haben immer nur in Mietshäusern gewohnt. Das hier ist endlich etwas Eigenes, das man gestalten kann“. Der Hof mit den schön restaurierten Backsteinbauten, die mal Scheunen und Ställe waren; das Wohnhaus, dessen LPG-Plattenbau-Vergangenheit nicht mal mehr zu ahnen ist; der Wald ringsum. Den hatten sie schon 2001 und lange vor dem Hof kaufen können. „Damals war der Alteigentümerstatus noch nützlich. Teile davon hatten ja meinem Vater gehört“, sagt Astrid von Carlowitz, die als Jüngste von sieben Geschwistern der Familie von Engelbrechten zu Kriegsende geboren wurde. Im nahen Lüderitz, „was der Sippe schon 921 von Heinrich dem Vogeler belehnt worden war. Später wurden die allerdings üble Raubritter“, lacht sie über die wilde Seite der Vorfahren. Die Familie war bis zur Enteignung und Vertreibung 1945 in der Region ansässig. „Doch die Zeit im Westen war von Erzählungen aus der Heimat geprägt. Sie erschien uns wie das verlorene Paradies. Kein Wunder, dass vier von uns Geschwistern wieder hier gelandet sind.“
Das zustimmende Nicken ihres Mannes deutet auf ähnliche Gefühle. Wenn auch die Heimat der Carlowitz’ im sächsischen Falkenhain liegt. Da kam Wilhelm als Jüngster von fünf Geschwistern zur Welt. Auch dort wurde enteignet. Doch anders als bei der üblichen Westflucht wurde Naumburg zur ersten neuen Heimat. Da machte er auf einem kirchlichen Gymnasium Abitur. Was aber ausschließlich ein Theologie-Studium ermöglichte. Welches er in Ost-Berlin begann. „Von der Studentenbude konnte ich direkt auf die Mauer sehen. Meine Geschwister waren alle schon drüben. Klar, dass ich da auch hin wollte.“ Der erste Versuch ging schief. „Nur ein Monat Gefängnis, weil ich noch minderjährig war“, erinnert er lakonisch. Der zweite, über die tschechische Grenze, hat geklappt. Der Start im Westen verlief keineswegs glatt. Das Abi musste neu abgelegt werden. Umso erfolgreicher wurde der weitere Weg nach dem Studium der Volks- und Betriebswirtschaft.
Von New York nach Dresden
Doch dann, als die inzwischen um drei Söhne gewachsene Familie gerade in New York war, kam ein Anruf: Wir brauchen Sie in Dresden! „Das war ja mein Wunschtraum. Am liebsten wäre ich gleich mit der Wende in den Osten gegangen. Unser Jüngster hat geheult, aber für mich war alles klar.“ In Dresden unterstützte Carlowitz den Aufbau des Finanzwesens, war als CDU-Landtagsabgeordneter, bei den Johannitern, als Honorarkonsul des Königreichs Belgien tätig. Das vielfältige Wirken wurde mit dem Verdienstorden der BRD gewürdigt - „und unser Jüngster kann ein prima Sächsisch“, witzelt er.
Das mit Brunkau sei dann der Glücksfall gewesen, wenn sie auch jahrelang erstmal pendeln und provisorisch im ehemaligen Pferdestall hausen mussten. Der Hof, die Rückkehr zum geliebten Wald. „In unserer Familie sind ja alle seit je her Land- und Forstleute. Meine Brüder haben mir mit Rat und Tat geholfen.“ Sinnvolle Waldwirtschaft - das überdauere Generationen. Weshalb er sich in seinem „neuen“ Beruf vehement für eine naturgemäße, nachhaltige Forstwirtschaft einsetzt. Das war schon die Idee seines Vorfahren Hans Carl von Carlowitz. Der gilt mit seinem im 17. Jahrhundert formulierten Prinzip, dass immer nur so viel Holz geschlagen werden sollte, wie durch planmäßige Aufforstung nachwachsen könne, als Erfinder der Nachhaltigkeit in den Wäldern.
„Ein ewiger Kreislauf, so wichtig für uns Menschen, dass der intakt bleibt“, betont Wilhelm von Carlowitz. „Ich bin jeden Tag im Wald. Zum Auswählen der Bäume, die gefällt werden müssen, zum Pflanzen, Verschneiden, Brennholz sägen. Wir heizen ja den ganzen Hof umweltfreundlich mit unserem Holz.“ Die Nähe zur Natur, das Mitgestaltenkönnen fasziniert das Paar: „Für uns kam das Glück der Wende auch ganz persönlich. Unsere Söhne, die Schwiegertöchter und acht Enkel sind oft hier. Die lieben den Wald wie wir, sorgen für seine Zukunft“, resümiert Carlowitz. Seine Dankbarkeit „als alter Naumburger“ bringt er auch als Domherr der „Vereinigten Domstifter zu Naumburg und Merseburg und des Kollegiatsstiftes Zeitz“ ein. Als Finanzexperte berät er die altehrwürdige Institution, die über Jahrhunderte die Kunst- und Kulturschätze der Region erhalten und ihnen vor allem im letzten Vierteljahrhundert zu neuem Glanz verholfen hat. Der ewige Kreislauf. Wie im Wald, so im Leben. (mz)


