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Beben im Juni 2014 Beben im Juni 2014: Erdbeben aus Tschechien erschüttert auch Mitteldeutschland

Von Katrin Löwe 01.06.2014, 22:02
Ein Erdbeben in Tschechien war auch im Vogtland und im Erzgebirge zu spüren.
Ein Erdbeben in Tschechien war auch im Vogtland und im Erzgebirge zu spüren. DPA/ARCHIV Lizenz

Halle (Saale)/Novy Kostel/Auerbach/MZ - Plötzlich klirren die Gläser im Schrank. Ein Ruckeln der Couch bereitet dem Mittagsschlaf ein abruptes Ende. Selbst die Wände scheinen zu wackeln. Und im Süden Sachsen-Anhalts, vor allem im Raum Weißenfels/Zeitz, aber selbst in Halle, beginnt das große Rätseln: Eine Täuschung im Halbschlaf? Ein riesiger Lastwagen, der durch den Ort donnert? Die schlecht justierte Waschmaschine des Nachbarn, die rumpelt und rumpelt? Oder doch die ungestümen Kinder, die durch die oberen Etagen springen?

Nichts von allem, stellt sich am Samstagmittag schnell heraus: Ein Erdbeben hat Mitteldeutschland durchgerüttelt und nicht nur die Internet-Gemeinde in helle Aufregung versetzt. Auch in manch abendlicher Kneipenrunde wird das Beben Gesprächsthema Nummer eins. Obwohl das Epizentrum in Tschechien nahe der deutschen Grenze lag, waren die Auswirkungen der Erdstöße um 12.37 Uhr bis in rund 200 Kilometer Entfernung zu spüren.

Mulmige Erinnerungen an 1996

Bei manchen im Raum Halle dürften da mulmige Erinnerungen an 1996 hochgekommen sein: Ein Gebirgsschlag in Teutschenthal (Saalekreis) führte damals zu Erdstößen der Stärke 4,5 bis 5. Auf einer Fläche von 2,5 Quadratkilometern waren im ehemaligen Kalibergbau in 700 Meter Tiefe mehrere Hohlräume eingestürzt. Die Erschütterungen reichten bis nach Thüringen und Sachsen. Trotz der Wucht wurde niemand verletzt, allerdings wackelten vor allem in Halle-Neustadt viele Plattenbauten. Auch diesmal wollen Einwohner des halleschen Stadtteils bis in obere Stockwerke ein Ruckeln gespürt haben.

Das freilich war nichts gegen die Ängste, die die Bewohner der Region nahe des Beben-Zentrums in Novy Kostel (Tschechien) gehabt haben müssen. „Es war so stark, dass die Menschen aus den Häusern gerannt sind“, berichtete ein Augenzeuge im tschechischen Fernsehen. „Mir haben die Knie gezittert“, sagte ein anderer. In der Gemeinde Stribrna bei Cheb (Eger) stürzten Kamine ein und Mauern bekamen Risse, wie die örtliche Feuerwehr mitteilte.

Stärkstes Beben in Mitteldeutschland seit fast 30 Jahren

Während hierzulande von einem Beben der Stärke 4,4 - dem stärksten in Mitteldeutschland seit fast 30 Jahren - die Rede ist, sagte Josef Horalek vom Geophysikalischen Institut der Akademie der Wissenschaften in Prag: „Man kann auch sagen: Das war eines der stärksten Beben der letzten hundert Jahre.“ Die Tschechen gaben seine Stärke am Sonntag sogar mit 4,6 an.

Bereits genau eine Woche zuvor, am 24. Mai, hatten Beben bis zu einer Stärke von 3,8 die Grenzregion zwischen Deutschland und Tschechien erschüttert. Die Seismologen nahmen zunächst noch an, dass es sich dabei um ein Hauptbeben und viele Nachereignisse handelte - ein Irrtum, wie sich an diesem Samstag herausstellte.

Wo die Erde in Deutschland am stärksten gebebt hat und wie die Anwohner reagierten, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

In Deutschland waren die Auswirkungen am stärksten im grenznahen Vogtland zu spüren. Dass die Erde manchmal wackelt, wissen die Menschen in dieser Region. Aber dieses jüngste Beben dürfte ihnen doch einen gewaltigen Schrecken eingejagt haben. „Es war plötzlich so, als befände man sich auf einem Schiff, das in eine riesige Welle geraten ist. Dann gab es einen dumpfen Knall“, erzählte Sybille Luhn aus Auerbach.

Angst war da, auch nach dem Knall

Dann fügte sie hinzu: „Die Bewohner rannten auf ihre Balkone. Keiner konnte sich erklären, woher der Knall kam. Da war schon Angst da - auch noch eine ganze Zeit nach dem Knall. Wir lauerten, ob sich das Szenario wiederholen würde. Ein Nachbar hat dann versucht, die ganze Sache zu beruhigen.“

Täglich ereignen sich weltweit mehr als 270 Erdbeben mit einer Magnitude größer als 3. Etwa zehnmal im Jahr werden nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe Beben mit einer Stärke von über 7 gemessen. Als bislang stärkstes Erdbeben der letzten 100 Jahre gilt das von Chile im Jahr 1960. Es hatte eine Stärke von 9,5. Eine Schätzung des United States Geological Survey (USGS) geht von etwa 1655 Toten, 3000 Verletzten und zwei Millionen Obdachlosen aus.

Die katastrophalsten Auswirkungen hatte in den vergangenen 100 Jahren mit rund 228000 Todesopfern das Sumatra-Beben im Jahr 2004 (Magnitude 9,1). Über 1,7 Millionen Küstenbewohner rund um den Indischen Ozean wurden durch die Erschütterungen obdachlos.

Zuletzt gab es Anfang Mai dieses Jahres ein Beben der Stärke 6,0 in Tokio. Es war das schwerste seit der Katastrophe vor drei Jahren. In Japan hatte 2011 ein Beben der Stärke 9,0 einen riesigen Tsunami ausgelöst, der 18000 Menschen in den Tod riss und zur Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima führte. Japan wird jedes Jahr von mehreren relativ schweren Erdbeben erschüttert, da in der Region mehrere tektonische Platten aufeinander treffen.

Auch aus den Orten Gersdorf, Lichtenstein, St. Egidien und Hohenstein-Ernstthal des Landkreises Zwickau kamen Berichte von Erschütterungen. „Das war vielleicht zwei Sekunden lang deutlich zu spüren. Es war sehr ungewöhnlich“, sagte Mario Legies, Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Gersdorf. „Die Möbel haben gewackelt. Das war schon ziemlich heftig“, so die Hohenstein-Ernstthalerin Tina Jonack.

Zumindest im Vogtland müssen sich die Einwohner in den kommenden Tagen wohl auf noch mehr einstellen: Experten haben bereits spürbare Nachbeben bis Stärke 3 vorausgesagt.

Die Auswirkungen der Erdstöße
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