Bad Harzburg Bad Harzburg: 14 Jahre durch die Hölle
BAD HARZBURG/MZ. - Es sind die von der Beisetzung ihrer Tochter. Direkt hinter ihr steht auf den Bildern ein Mann, der vier Jahre lang im Hause Rimbach ein- und ausgegangen ist. Es ist Andreas S., der ehemalige Freund ihrer Tochter. Es ist der Mann, der vergangene Woche unter dem Verdacht verhaftet wurde, die 19-jährige Heike Rimbach 1995 in Lüttgenrode (Landkreis Harz) ermordet zu haben. "Er hat damals mit uns geweint", sagt Maria Rimbach fassungslos. Hat all die Jahre danach nur drei Straßen weiter gewohnt, noch gegrüßt.
Es war der 28. August 1995, der das Leben der aus Bad Harzburg stammenden Familie aus den Angeln hob. Da fand Maria Rimbachs Mann die Leiche seiner Tochter - das älteste von drei Kindern - auf dem Dachboden der alten Schäferei in Lüttgenrode, in die die Familie 1993 gezogen war. "Heike wurde nicht einfach ermordet, sie wurde hingerichtet", sagt Maria Rimbach. Gewürgt. Erstochen. Mit einem Eisenhaken geschlagen, bis der Schädel brach. Dann auf dem Dachboden mit einem Hanfseil erhängt.
Alles war anders danach. Ihre in Lüttgenrode aufgebaute Firma hat die Familie aufgegeben. Sie ist zurückgezogen nach Bad Harzburg. Geburtstage wurden nicht mehr gefeiert - es war Heike, die zuletzt das Catering übernommen hatte. Weihnachten wurde für Maria Rimbach zum Gräuel. Der 25. Dezember ist der Geburtstag ihrer Tochter. In einem kleinen Schrank in der Wohnung liegen nach wie vor Sachen von Heike: Kleidung, Schmuck, Unterlagen aus der Berufsschule. Maria Rimbach bringt es nicht fertig, sie wegzuwerfen. Der Traum ihres Mannes, seine Tochter eines Tages zum Altar zu führen: ausgeträumt. Seit 14 Jahren. Jahre, die die Familie gezeichnet haben. Heute sind beide Eltern schwer krank.
Wenn die Mutter von der langen Zeit der Ungewissheit spricht, ist auch Verbitterung zu spüren. Für die Polizei stand schnell fest, dass der Täter aus dem näheren Umfeld der angehenden Fleischverkäuferin stammen musste. Nur wenige Menschen kannten den Tagesablauf im Hause Rimbach, wussten, dass Heike am Tag ihres Todes allein zu Hause war. So geriet die gesamte Familie in den Fokus der Ermittlungen. Von der ersten Minute an habe sie aber Andreas S. im Verdacht gehabt, sagt Maria Rimbach. Wenige Monate vorher hatte sich das Paar getrennt. Ein Bekannter gab S. ein Alibi - ein falsches, wie die Staatsanwaltschaft heute sagt.
"Man hat uns einfach nicht glauben wollen", sagt Maria Rimbach. Immer wieder kommt dieser Satz, mal wütend, mal einfach nur traurig. Die Ermittler hätten sich regelrecht auf die Familie eingeschossen. "Das war eine schwere Belastung", sagt auch Thomas Kämmer, Jurist aus der Wismarer Kanzlei Prahl, die die Familie seit diesem Jahr vertritt. Maria Rimbach selbst nennt das "Höllentrip". Immer wieder ist sie Polizei und Staatsanwalt auf die Füße getreten. Hat neue Ermittlungen gefordert, Beschwerden geschrieben. Ihre Hartnäckigkeit kam nicht immer gut an, weiß sie. "Aber es war das einzige, was ich noch für meine Tochter tun konnte." Marc Benecke, einer der bekanntesten Kriminalbiologen Deutschlands, hat ihr nach Einsicht in die Akten Mut gemacht. Im Internet traf sie auf Menschen, die ihr halfen. Aber auch auf "Hobby-Kriminologen", die sich selbst ins Licht rücken wollten - "auf Kosten unseres toten Kindes".
Sie habe die Hoffnung auf eine Klärung des Mordes nie aufgegeben, sagt Maria Rimbach. Hoffnung, die 2008 neue Nahrung erhielt. Mit der Polizeistrukturreform wurde der Fall von Halberstadt nach Magdeburg abgegeben und neu aufgerollt. Wenn sie vom neuen Chefermittler Gerhard Behne spricht, stiehlt sich ein dankbares Lächeln in die Züge von Maria Rimbach. "Er war phantastisch." Ein Foto aus den Akten brachte die Wende. Ein Glitzern auf einem damals sichergestellten Schuh von S., das die Ermittler sahen und prüfen ließen. Das Glitzern war ein Fehlschlag. Dafür fanden sich mikroskopisch kleine Faserspuren vom Tatort. Und dank neuer DNA-Technik winzige Blutspuren. Heikes Blut. Für die Ermittler stand fest: Andreas S. muss der Täter sein. Das reichte für einen Haftbefehl.
"Wir konnten es erst nicht glauben. 14 Jahre - und urplötzlich passiert dieser Augenblick wirklich", sagt Maria Rimbach. Trotzdem bleibt sie vorsichtig. "Der Fall ist nicht endgültig geklärt." Das sei er erst mit einem Gerichtsurteil. "Die Trauer geht nie weg, aber dann kann ich abschließen. Ich will, dass er uns sagt warum", so die Mutter. Warum ihr Kind sterben musste. Wie er einfach weitermachen, eine Familie gründen konnte.
Noch schweigt S., sagt Jurist Kämmer. Er gebe nichts zu, bestreite aber auch nicht. "Die Chance, ein sehr frühes Geständnis abzulegen und damit im eigenen Interesse ein konstruktives Signal an die Familie zu senden, hat er verpasst." Möglicherweise kann der damals 20-Jährige nur nach Jugendrecht verurteilt werden. Kämmer betont, dass sich ein "taktisches Geständnis nach wochenlanger Akteneinsicht" dann nicht substanziell strafmildernd auf den Antrag der Nebenklage auswirken werde.
21 Bände dick ist die Akte, die S.' Anwalt gerade durchsieht. 21 Bände aus 14 Jahren Ungewissheit für die Familie von Heike Rimbach.