Anlage im Harz Anlage im Harz: In den Tiefen der Rappbodetalsperre
Wendefurth - Als ob die Steine weinen. Aus dem grau-braunen Schiefergestein sickert Wasser. Am Boden fließt es zu einem Rinnsal zusammen. „Das kommt durch den enormen Druck des Wassers“, erklärt Joachim Schimrosczyk. Rund 100 Millionen Kubikmeter pressen gegen Fels und Staumauer. Oder anschaulicher: Die Wassermenge von 700 Millionen gefüllten Badewannen. Der Vize des Talsperrenbetriebes Sachsen-Anhalt steht im Inneren der Rappbodetalsperre. In 96 Metern Tiefe führt Gang A direkt an den Fels, an den die Staumauer gebaut wurde. Auch durch die meterdicken Betonmauern dringen kleinste Wassermengen. Das Tropfsteinhöhlen-Ambiente bei vier Grad Celsius ist nach seinen Worten aber kein Grund zur Sorge. „Diese Mauern sind für die Ewigkeit gebaut“, sagt Schimrosczyk. „Hier haben die Baumeister ganze Arbeit geleistet.“
Wasserversorgung für Hunderttausende von Menschen
Mitten im Oberharz liegt die Rappbodetalsperre. Von der Krone bis zur Sohle misst sie 106 Meter und ist damit Deutschlands höchste Staumauer. Die Talsperre versorgt große Teile des südlichen Sachsen-Anhalts mit Trinkwasser - unter anderem auch die Großstadt Halle. Dafür, dass die Anlage die Wasserversorgung für Hunderttausende von Menschen sichert, ist sie vergleichsweise unbekannt.
Die ersten Pläne zur Talsperre wurden bereits Ende des 19. Jahrhunderts ausgearbeitet. Ein riesiger Stausee, weit größer als der jetzige, sollte zum Hochwasserschutz und der Stromerzeugung dienen. Aufgrund einer ungesicherten Finanzierung wurde das Projekt gestoppt und erst Ende der 20er Jahre wieder aufgenommen.
Arbeiten begannen 1938
Die Baumeister waren Architekten, Ingenieure, Planer und Bauarbeiter, die nach einem verheerenden Hochwasser 1926 die Konzeption eines Talsperrensystems aufnahmen. Die sogenannte Mehrzweckanlage sollte dem Hochwasserschutz, der Stromerzeugung und der Wasserversorgung dienen. 1938 begannen die Arbeiten. Dazu gehörte, einen unterirdischen Stollen anzulegen, der Wasser von der Bode zum Stausee leitet. Weiter wird dieser von Hassel und Rapp-bode gespeist. 600 Arbeiter, darunter auch französische Kriegsgefangene, begannen mit den Aushubarbeiten an der Staumauer. 16 Meter tief sollten die Fundamente im Fels verankert werden. Kriegsbedingt wurden 1942 aber die Arbeiten eingestellt.
Erst im Jahr 1952 wurde der Bau weitergeführt. Die DDR-Führung nannte das Projekt einen „Großbau des Sozialismus“ - und zeitweise war die Rappbodetalsperre auch die größte Baustelle des Landes. „Zwei Millionen Tonnen Beton wurden allein für die Errichtung der Staumauer verwendet“ sagt Schimrosczyk. Als „Kies“ für den Beton dienten handballgroße Steine. Bis zu tausend Arbeiter waren an dem Bau beteiligt - sieben verunglückten dabei tödlich. Nach sieben Jahren Bauzeit wurde die Rappbodetalsperre 1959 fertiggestellt. Über die 415 Meter lange Staumauer führt eine öffentliche Straße, so dass jeder das Bauwerk betreten kann.
Nur ein einziges Mal ist Wasser durchgedrungen
Der Damm ist aber kein massiver Block, er ist vielmehr durchzogen von Gängen, Schächten, Treppen und Messstationen. Die Tour mit Schimrosczyk beginnt in einem schwach beleuchteten Gang 15 Meter unter der Straße. Der Ingenieur erklärt, dass sich die Staumauer in 30 Segmente gliedert. Wo diese verfugt sind, befinden sich kleine Schächte. Durch ein Gitter kann der Besucher in die Tiefe blicken. „Mit einem kleinen Aufzug werden diese ständig kontrolliert, denn an den Fugen könnte am ehesten Wasser eindringen“, so Schimrosczyk. In den vergangenen 56 Jahren ist dies bisher nur einmal passiert. Der Vorfall ereignete sich 1986. Wasser spülte sich an einer Stelle durch die zwei Meter dicke Mauer. Schnelles Handeln war nötig. „Über einen Schacht wurde in die Stelle Beton gepumpt und so versiegelt“, erklärt Schimrosczyk. Auch von außen hätten Taucher die Stelle nochmals bearbeitet.
Um einen eventuellen Wassereintritt schnell zu lokalisieren, ist das gesamte Bauwerk von Messstationen durchzogen. Diese sind teilweise so empfindlich, dass auch schwere Erdbeben in anderen Erdteilen registrieren werden. Die Daten aus der Staumauer werden über gesicherte Leitungen direkt in die 20 Kilometer entfernte Leitstelle nach Blankenburg gesendet.
Von dort wird auch die Wasserentnahme überwacht. Herzstück der Talsperre ist die Rohwasser-Anlage. Über sechs in unterschiedlicher Tiefe eingelassene Rohre strömt das Wasser in die Staumauer. Im Inneren, dem Servo-11-Raum, regulieren große blaue Zylinder den Fluss, der ins Wasserwerk Wienrode geleitet wird. „Das System funktioniert seit Jahrzehnten fehlerfrei“, sagt Schimrosczyk.
Geburtsfehler des Stausystems
Damit dies so bleibt, wurden in den vergangenen Jahren mehr als 22 Millionen Euro investiert, sagt er. Vor allem die Wasserleitungen wurden modernisiert, genauso wie die Straße auf der Staumauer. Seit der Fertigstellung ist die Rappbodetalsperre nur einmal an ihre Grenzen gestoßen. Beim Aprilhochwasser 1994 trat das Wasser über den Kronenüberfall. Es traf dann tiefer liegende Orte wie Treseburg und Thale.
Der Umlaufstollen, der Wasser rechts um die Staumauer leiten kann, konnte die Wassermassen nicht mehr bewältigen. Dem liegt, wenn man so will, ein Geburtsfehler des Stausystems zugrunde. Während die Zuflüsse Kalte Bode, Rappbode und Hassel eine Vorsperre mit einem Hochwasserschutzbecken besitzen, gibt es eine solche Anlage für die Warme Bode nicht. Das Wasser von den Harzer Bergen fließt direkt in die Rappbodetalsperre.
Diese befindet sich „in den besten Jahren“, wie viele Festredner zum 50-jährigen Jubiläum 2009 betonten. Für Schimrosczyk heißt das: „Auch in den kommenden 50 Jahren wird sie sicher Trinkwasser liefern.“