Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Ärger im Wolfsland
GOLLBOGEN/MZ. - Große Flocken Schafwolle liegen noch überall auf dem Gras. Das Blut ist gefroren. Die Räuber waren in der Nacht zum Sonntag über den wackeligen Zaun gesprungen. Sie hetzten die 200 Schafe über die riesige Weide, rissen 25 von ihnen. Niemand hörte etwas, die sieben Häuser des kleinen Ortes Gollbogen (Kreis Anhalt-Bitterfeld) sind knapp einen Kilometer entfernt. Dort wohnt Schäfer Marcus Jungnickel. Er sei nicht zimperlich, sagt der 23-Jährige. Doch dieser Anblick der toten Schafe hat ihn geschockt.
Ein Schock, der auch die Debatte um die Rückkehr der Wölfe wieder anfacht. Dass der Angriff auf die Schafherde auf deren Konto und nicht auf das wilder Hunde geht, steht mit 90-prozentiger Sicherheit fest, sagt Andreas Rößler, Chef des Amtes für Naturschutz und Forsten des Landkreises. "Dafür spricht die große Zahl der gerissenen Schafe, aber auch der typische Abstand der Reißzähne in den Bisswunden. Außerdem wurden einige Tiere geschleppt", sagt er. Dazu braucht es Kraft: Die trächtigen Schafe wiegen bis zu 120 Kilo. Es waren sicher sogar mehrere Wölfe, sagt Rößler.
Der Amtsleiter ist inzwischen Experte in Sachen Isegrim. Nedlitz, wo vor zwei Jahren ein Schaf von einem Wolf gerissen wurde, liegt ebenfalls in seinem Bezirk. Rößler spricht vom "Wolfsland". Der Truppenübungsplatz Altengrabow (Landkreis Jerichower Land) liegt rund 30 Kilometer von Gollbogen entfernt. Dort lebt ein Rudel Wölfe. Elf Tiere, darunter neun Welpen.
Naturschützer freut die Rückkehr des lange in Deutschland ausgestorbenen Raubtiers. Jungnickel dagegen ist sauer. "Was ist mit uns? Wie sollen wir uns schützen?" Er schätzt, dass er pro gerissenem Tier 200 Euro verliert. Das Land hat zwar einen Entschädigungsfond für Wolf-Attacken aufgelegt. Ob er aber den vollen Schaden ersetzt bekommt, ist noch nicht klar. Dagegen könnte der niedrige, marode Drahtzaun sprechen, der die Weide einfriedet. Dass es eine Zahlung für Jungnickel geben soll, deutete das Land an. Grundsätzlich müssten Schäfer dafür in einer Wolfsregion aber Vorsorge leisten, so Ministeriumssprecher Detlef Thiel.
"Wie soll ich einen richtigen Zaun um die 16 Hektar große Weide bezahlen? Das ist doch Quatsch", sagt indes Jungnickel. Die Größe der Weide sei wichtig: "Immer wieder werden uns Schafe geklaut. Mit viel Platz für die Tiere ist das wenigstens nicht zu einfach." Jungnickel hat sich auch nach Herdenschutzhunden erkundigt. "Aber da kostet wohl einer 3.000 Euro." Zwei wären nötig.
Über EU-Mittel werden laut Ministerium sowohl Elektrozäune (mindestens 90 Zentimeter hoch) als auch die Anschaffung von Herdenschutzhunden gefördert - mit je 80 Prozent. Allerdings, so kritisiert der Landesschafzuchtverband, kommt die Vorsorge in Sachsen-Anhalt nur schwer in die Gänge. Die Region, in der Schutzmaßnahmen überhaupt gefördert werden, stehe nach hitzigen Debatten und Nachbesserungen durch das Ministerium erst seit Mitte Februar fest. Und über den Richtlinien prange noch das Wort "Entwurf" - gut zwei Jahre nach der Ankunft der Wölfe. Die Skepsis der Schäfer gegenüber der Rückkehr des Raubtiers sei groß, sagt Verbandsgeschäftsführer Hans-Jörg Rösler. "Sie wissen, dass es keinen hundertprozentigen Schutz gibt und Prävention kostet Geld, dabei leben Schäfer schon so am Existenzrand." Und die Förderung sei eben zu schleppend und mit zu viel Bürokratie verbunden, um Akzeptanz für den Wolf zu erzeugen. Bislang gibt es noch keinen einzigen Antrag auf Gelder, räumt das Land ein. "Die EU-Regeln sind streng. Wir sind darüber auch nicht glücklich, hoffen aber, dass das Verfahren jetzt in Gang kommt", so Thiel.
Das wäre wichtig, betont Gesa Kluth vom Wildbiologischen Büro "Lupus", das unter anderem die Wolfsforschung in der Lausitz und in Altengrabow betreut. Mit Angriffen auf Nutztiere müsse in Wolfsregionen immer gerechnet werden. "Man kann dem nur entgegenwirken, indem man seine Schafe schützt", sagt sie. In der Lausitz, wo mehrere Rudel leben, werde das inzwischen konsequent getan. Folge: "In den letzten zwei Jahren ist der Schaden deutlich zurückgegangen." 2007 und 2008 hatte ein Wolf dort selbst geschützte Herden angefallen, weil er gelernt hatte, über Zäune zu springen.
Derzeit sind die Fronten zwischen Wolfsfreunden und -gegnern in Brandenburg verhärtet, nachdem innerhalb weniger Monate über 70 Tiere gerissen wurden. "Das beruhigt sich, wenn der Schutz etabliert ist", sagt Kluth. In der Lausitz sähen die Menschen das Thema inzwischen entspannt. Der Wolf werde sogar zum Tourismusmagneten - mit geführten Wolfswanderungen.