Aken Aken: Pferdehändler schaut den Tieren aufs und ins Maul
AKEN/MZ. - Wer wissen will, wie hoch ein Pferd zwischen Elbe, Havel und Elster im Kurs steht, kann sich Weltreisen sparen. Ein Ausflug nach Aken (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) genügt. Hier lebt und arbeitet der Mann, der schon Tausenden von Pferden aufs und ins Maul geschaut hat. Nicht als Zahnarzt, der Mittvierziger ist Pferdehändler - ein hierzulande seltener Beruf, kaum ein halbes Dutzend Leute ernährt dieser Stand in Sachsen-Anhalt.
Seit 1992, als der Vater dem gelernten Hufschmied das Geschäft übertrug, heißt es bei Kühn: Jedes Jahr ist ein Jahr des Pferdes - anfangs mal mehr, die letzte Zeit eher weniger. Knapp 1 000 Pferde hat er seither an den Kunden gebracht. Im Jahr 2013 könnten noch einmal 50 Abschlüsse dazu kommen, vor allem wegen der Frauen. Denn Kühn glaubt: "Viele junge Frauen sparen lieber auf ein Pferd als auf ein Auto."
Stammgast in Havelberg
Allerdings ist Geld nicht alles. Weltweit gibt es 200 Pferderassen - Shetland-Ponys, Belgier, Holsteiner, Araber... Die Auswahl ist dementsprechend riesig. Und Fehlgriffe von Laien, die auf eigene Faust kaufen, sind nach Angaben von Kühn keine Seltenheit. Oft gehe das Ganze schief wegen simpler Dinge, die nicht beachtet würden. Der Klassiker: Wer einen gedrängten Terminkalender hat, sollte sich nach Ansicht von Kühn den Pferdekauf noch einmal überlegen. Der Grund: "Stress des Reiters überträgt sich auf das Pferd." Das sei vielfach der Anfang vom Ende. Fazit: "So ein Tier braucht vor allem Zeit und Zuwendung." Und es müsse klar sein, wofür das Tier hauptsächlich da sein soll? Mehr für die Dressur, zum Springen oder im Gelände.
Über gute Kontakte verfügt Kühn bundesweit, teilweise auch in die Nachbarländer. Auf einschlägigen Pferdemärkten wie in Havelberg (Landkreis Stendal) ist er seit vielen Jahren Stammgast. Denn aus der Ferne fällt er keine Kaufentscheidung. Immerhin geht es schon bei der Anschaffung eines Tieres oft um 2 000 oder 3 000 Euro. Hinzu kommen Futterkosten, gut und gerne 100 Euro pro Monat für Gras, Silage, Getreide. Kühns A und O: "Ich muss das Tier in Aktion erleben." So empfehle sich ein junges Pferd, das mutig und gerne springt, genügend Kraft mitbringt und auch vom Körperbau dafür geeignet ist, beispielsweise für den Hindernisritt. Wer wie Kühn vom Pferdehandel leben will, muss früh aufstehen. Ab sechs Uhr trifft man ihn im Stall oder auf der Koppel. Sein Arbeitstag auf dem Hof, zu dem noch 80 Hektar Acker für Futteranbau gehören, ist oft zwölf Stunden und länger. Dann die Einkaufsfahrten: Dass er dabei auf das Alter der Tiere achtet, gehört zum kleinen Einmaleins. "Ein Hengst kaut normalerweise mit 40 Zähnen, eine Stute besitzt nur 36."
Und so funktioniert es: leise Zureden, streicheln, dann zwei geübte Handgriffe, schon sieht Kühn das Gebiss: "Dieses Pferd ist knapp fünf Jahre alt." Ein wichtiges Merkmal in diesem Fall sind die jungen, kräftigen Eckzähne, die erst mit viereinhalb Jahren wachsen. Anders sehe es aus, wenn das Pferd einige Jahre älter ist. Dann beginne sich, so Kühn, am oberen Eckzahn eine typische Riefe herauszubilden. Pferde hingegen, die fast 20 Jahre auf dem Buckel haben, erkennt Kühn an den vom langen Gebrauch oval geformten Zähnen.
Mit Ruhe und Bedacht
Was noch zum Pferdelatein dazu gehört: Weniger gut geschlossene Lippen, faltige Augenlider oder gar ein eingesunkener Rücken warnen Kühn. Der Zenit dieser Tiere liegt weit in der Vergangenheit. Und der Zeitstrahl ist begrenzt: Selbst Pferde, die gut gepflegt, ernährt und bewegt sind, sterben meist nach etwa 25 bis 30 Jahren.
Auch den eigenen Pferden - Kühn züchtet Warmblüter - nähert sich der Akener mit Ruhe und Bedacht. "Ein Pferd ist von Natur aus scheu." Anschauen und aufpassen, wie es die Ohren stellt, kann niemals schaden. Eine Erfahrung, die allzu forsche Reiter mitunter übersehen: "Sind die Ohren des Pferdes angelegt, kann es rasch ungemütlich werden." Wobei der Griff in die Trickkiste helfen kann: Eine Möhre oder ein Apfel, auf der flachen Hand vor dem Maul serviert, erweist sich als passendes Gastgeschenk.
Wenn sich Kühn die Tiere anschaut, kommt er meist ohne viele Worte aus. Denn verhandelt wird später - aber immer mit Filzhut auf dem Kopf und dann ausdauernd und mit viel Freude. "Da bin ich in meinem Element", so der Pferdehändler.
Oft steht ein Dutzend Pferde im Stall, angekauft von Züchtern aus ganz Deutschland. Seine Abnehmer wohnen vor allem in Sachsen-Anhalt, aber manchmal auch in Holland, Österreich und Tschechien. Sportpferde, die Spitzenpreise von bis 13 000 Euro erzielen, werden kaum nachgefragt. Robuste Tiere, die auch mal einen Kremser ziehen können, liegen hingegen im Trend.
Lange bevor die Unterschrift unter dem Vertrag fällig ist, schaut sich Kühn das Tier ganz genau an - vor allem wie es sich bewegt. "Das ist die Sprache, die ich verstehen muss." So dient ihm der Schweif als Stimmungsbarometer. Ein Pferd, das ängstlich ist, schlägt ihn heftig. Auch Zähneknirschen signalisiert Ablehnung, Unzufriedenheit, Unwohlsein. Das passiert beispielsweise, wenn in der Neujahrsnacht Böller in der Nähe der Ställe explodieren. Auch deshalb sei er zum Jahreswechsel am liebsten immer im Pferdestall. Wiehern die Tiere leise in ihren Kojen, dann spüre er: "Hier ist die Welt in Ordnung."
Und für alle anderen Lebenslagen rate ihm sein Pferdeverstand: "Menschen geht es wie Pferden. Es gibt Kalt-, Warm- und Vollblüter."