Abzocke im Schneeballsystem Abzocke im Schneeballsystem: Alptraum statt viel Geld
Peißen/MZ. - Die Anzeigen klingen viel versprechend: 550 Euro verdienen mit leichten Fahrtätigkeiten am Wochenende. Dass sich dahinter aber oft üble Abzocke versteckt, erlebt Gabriele Emmrich von der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt seit Jahren zu Hauf. "Ich habe eine Schublade voller Unterlagen und Beschwerden - und das ist nur die Spitze des Eisbergs", sagt sie. Ein Firmenname, der immer wieder auftauche: PPV - Produkt-Promotion-Vertrieb.
Genau diese Firma hat die Staatsanwaltschaft Halle im Visier. Gegen sie werde wegen Verdachts der "progressiven Kundenwerbung" - besser bekannt als illegales Betreiben eines Schneeballsystems - ermittelt, teilten Landeskriminalamt (LKA) und Staatsanwaltschaft am Samstag mit. Wenige Stunden zuvor hatten 40 Beamte die Tagungsräume eines Hotels in Peißen durchsucht, die die Firma laut LKA für eine Präsentationsveranstaltung gebucht hatte. Die laufen nach Angaben der Ermittler stets ähnlich ab: Interessenten werden zu einem Mitarbeitervertrag überredet, mit dem "zwingend die Buchung eines so genannten ,persönlichkeitsfördernden Seminars' der Firma IPE - Institut zur Persönlichkeitsentwicklung - verbunden ist". Kosten: 4 150 Euro plus 150 Euro Bearbeitungsgebühr. Selbst verdienen kann erst, wer auch neue Mitarbeiter anwirbt.
Es bestehe der Verdacht, dass sich die Hauptbeschäftigung der Firma darauf beschränkt, immer wieder neue Mitarbeiter zu gewinnen, die das Seminar bezahlen, so LKA-Sprecher Frank Frenkel. Die Masche funktioniert - obwohl sie nicht neu ist. Seit Jahren warnen Polizei und Verbraucherschützer vor PPV ebenso wie vor einer "Monumentum Marketing" aus Großkugel oder einer "Colloseum Vertriebsgesellschaft" aus Dessau und jeweiligen Seminarveranstaltern unter anderen Namen. Erst im Februar wurden Colloseum-Räume in Dessau durchsucht. Danach, so Frenkel, habe die Firma ihre Tätigkeit eine Zeit lang auf Nordrhein-Westfalen konzentriert. "Schon zwei Wochen nach der Razzia tauchten neue Anzeigen in Zeitungen auf."
Herbert Schenke aus Thüringen hat selbst eine "Präsentationsveranstaltung" von PPV in Leipzig erlebt. "Das war wie eine richtige Gehirnwäsche", erinnert er sich. Das LKA spricht von einer "euphorischen Atmosphäre" - Schenke schildert, was das in seinem Fall hieß. 10 000 Euro monatlicher Verdienst seien versprochen worden und aus dem Hintergrund hätten "vermutlich bezahlte Mitarbeiter" gerufen: "Viel mehr, bis zu 60 000." Verlockungen, die bei Menschen in schwierigen sozialen Situationen auf fruchtbaren Boden fallen. "Sie suchen einen Strohhalm und greifen ihn", sagt Emmrich. Die Verbraucherschützerin hat viele Opfer erlebt, vom Studenten bis zum Rentner. "Mit Dummheit hat das nichts zu tun." Mitunter würden Betroffene sogar regelrecht unter Druck gesetzt, bis sie zahlen.
Ein Opfer war auch Heike Kühnel. "In einer Atmosphäre, in der 50 bis 60 Menschen den Arm heben und unterschreiben, in der immer wieder suggeriert wird, man könne es schaffen. Da sagt man sich: Du musst, einen anderen Job kriegst du nicht mehr." Kühnel hat für das Seminar gezahlt. "Danach hat sich keiner mehr um mich gekümmert." Heute ist sie eine der Initiatorinnen der Selbsthilfegruppe "Maulwürfe", die sich gegen PPV engagiert. Von 150 Mitgliedern spricht sie "und viel mehr Adressen von Opfern deutschlandweit". Einige hätten geklagt und einen Teil des Geldes wiedererhalten, viele aber blieben auf den Kosten sitzen.
Gegen Firmen wie PPV laufen laut Verbraucherschutz und LKA seit Jahren verschiedene Verfahren - für "progressive Kundenwerbung" à la Schneeballsystem drohen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren. "So richtig abschrecken lassen sie sich davon aber wohl nicht", so LKA-Sprecher Frenkel. Dafür sei das Geschäft wohl zu profitabel.
Die am Samstag festgenommenen Mitarbeiter, eine 50-jährige Frau und ihr 23-jähriger Sohn, sollen nach Angaben des LKA zu den führenden Köpfen von PPV gehören. Die Firma war gestern für eine Stellungnahme nicht erreichbar.