1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zeitz
  6. >
  7. Reise in die Schützenstraße: Reise in die Schützenstraße: Dieses Foto erzählt ein Stück Zeitzer Geschichte

Reise in die Schützenstraße Reise in die Schützenstraße: Dieses Foto erzählt ein Stück Zeitzer Geschichte

Von Petrik Wittwika 10.02.2019, 09:01
Die Bürodamen von „Wünsch & Pretzsch“ haben sich 1934 zusammen mit dem achtjährigen Helmut Epperlein im Kontor der Firma versammelt.
Die Bürodamen von „Wünsch & Pretzsch“ haben sich 1934 zusammen mit dem achtjährigen Helmut Epperlein im Kontor der Firma versammelt. Archiv Wittwika

Zeitz - Was haben die Schriftstellerin Irmgard Heilmann, der international gefeierte Tänzer Wilfried Schumann oder Eduard Tretrop, der Erbauer der Zeitzer Drahtseilbahn, gemeinsam? Alle drei verbrachten oder wirkten zumindest einen wichtigen Teil ihres Lebens in der Schützenstraße.

Und  die wird derzeit im Vorsaal des Stadtarchivs Zeitz im Südflügel von Schloss Moritzburg stadtgeschichtlich Interessierten noch bis 29. März 2019 als Fotodokumentation mit Begleittexten auf insgesamt zwanzig Ausstellungstafeln nähergebracht. Es gibt viel zu entdecken auf dieser geschichtlichen Reise.    

Wer ist der kleine Junge auf dem Foto?

Als feststand, dass in diesem Jahr zum Tag der offenen Tür im Stadtarchiv die Schützenstraße anlässlich des achten Streifzuges durch das alte Zeitz im Mittelpunkt stehen wird, kam mir sofort ein Foto in den Sinn, das 1934 im Kontor der Kinderwagen- und Holzwarenfirma Wünsch & Pretzsch entstanden war und neben den längst verstorbenen Bürodamen des Unternehmens einen kleinen, freundlich in die Kamera lächelnden Knaben zeigt.

Die Rede ist vom 1926 geborenen Helmut Epperlein. Jedenfalls erinnerte ich mich dunkel, dass ich seinen Namen vor einigen Jahren schon einmal gehört hatte, als meine Tante von ihrer, wie sie selbst immer zu sagen pflegte, „unbeschreiblich schönen Zeit“ im Büro von Wünsch & Pretzsch schwärmte.

Helmut Epperlein ist der letzte „Wünsch & Pretzsch“

Helmut Epperlein war der Sohn von Edwin Epperlein aus Elterlein im Erzgebirge, dem langjährigen und von seiner Belegschaft hoch geschätzten Geschäftsführer von Wünsch & Pretzsch und jenem zweitgrößten Kinderwagenhersteller von Zeitz, der in der Schützenstraße am Übergang zum Schützenplatz ansässig war.

Es gehört mit zu den schönsten Erlebnissen, die sich im Vorfeld der Ausstellungseröffnung ergaben, dass die Suche nach dem kleinen Jungen von damals auf regelrecht wundersame Weise von Erfolg gekrönt war. Jedenfalls fand mit dem inzwischen 92-jährigen Professor im Ruhestand ein reger Austausch statt. Er ist sozusagen der letzte „Wünsch & Pretzsch“.

Kinderwagen-Fabrik wurde 1996 brutal abgerissen

Als Zeitzeuge konnte er längst verlorengeglaubtes Wissen über die väterliche Firma beisteuern. Auch hatte er selbst mit großem Interesse die Entwicklung dieses Industriestandortes nach 1990 verfolgt, die bekanntlich nach dem brutalen, aus denkmalpflegerisch-städtebaulicher Sicht bis heute hoch umstrittenen Abbruch der Fabrik Anfang 1996 in einer seit Jahrzehnten wild bewachsenen Grube endete. Aber was ist eigentlich das Besondere der Schützenstraße, weshalb ihr jetzt sogar eine eigene  Ausstellung im Zeitzer Stadtarchiv gewidmet wurde?

Mit ihren bauhistorisch beeindruckenden und in herrschaftlichen Dimensionen funktional errichteten Wohn- und Geschäftshäusern steht die Schützenstraße wie keine andere Magistrale am Ausgangspunkt der großen Veränderungen, die Zeitz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer bedeutenden Industriestadt formten.

Schützenstraße vermittelte großstädtisches Flair

Sie war und ist das steinerne Spiegelbild der aufstrebenden Gesellschaft, die es aus den zu eng gewordenen Stadtmauern  hinausdrängte: Vor dem einstigen Wendischen Tor sollte sich das neue Gesicht des modernen Zeitz entfalten.

Großstädtisches Flair vermittelte die Schützenstraße, weshalb sie in gewisser Weise mit dazu beitrug, dass Zeitz viel mehr als nur eine herkömmlich-provinzielle Kleinstadt wahrgenommen wurde. Gleichzeitig diente sie als Vorbild für die Ausdehnung der Stadt rund um die August-Bebel-Straße mit ihren zahlreichen Nebenstraßen. Großzügig, im bewussten Gegensatz zu den mitunter sehr engen Gassen und dicht bebauten Altstadtstraßen, konzipierten die Baumeister und Stadtplaner die Schützenstraße als Allee mit breiten Fußwegen, um das bloße Laufen scheinbar zum Flanieren zu kultivieren. (mz)

Die Bürodamen von „Wünsch & Pretzsch“ haben sich 1934 zusammen mit dem achtjährigen Helmut Epperlein im Kontor der Firma versammelt.
Die Bürodamen von „Wünsch & Pretzsch“ haben sich 1934 zusammen mit dem achtjährigen Helmut Epperlein im Kontor der Firma versammelt.
Archiv Wittwika