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"Es ist nicht mehr normal" "Es ist nicht mehr normal": Akuter Lehrermangel bringt Schule in Reuden in eine Notlage

Von Yvette Meinhardt 29.10.2019, 07:00
Zirka 250 Schüler lernen in der Sekundarschule Reuden.
Zirka 250 Schüler lernen in der Sekundarschule Reuden. René Weimer

Reuden - Unterricht in der Aula, übervolle Klassen, fehlende Lehrer und auf der anderen Seite wachsende Verhaltensauffälligkeiten und erhöhter Förderbedarf bei den Kindern und Jugendlichen - an Schulen der Region gibt es viele Probleme. Eltern der Sekundarschule Elsteraue wandten sich Hilfe suchend an die MZ. Allein in der vergangenen Woche wurde in 49 Stunden in der Reudener Schule der Unterricht nicht so gehalten werden wie geplant. 19 Stunden fielen ersatzlos aus, in den anderen gab es Vertretungen.

Ausfall von Deutsch, Englisch, Bio: Personalnot an den Schulen spitzt sich zu

„Das ist nicht mehr normal“, sagt Elternsprecherin Tini Gerster. In der 10. Klasse fällt seit Anfang des Schuljahres für einen Teil der Schüler das Fach Technik komplett aus. In den beiden heutigen 9. Klassen wurde das Kernfach Englisch im vergangenen Schuljahr gemeinsam unterrichtet. So saßen ein Jahr lang 46 Mädchen und Jungen in der Aula. Nächstes Jahr müssen sie alle eine schriftliche Abschlussprüfung schreiben. In der 8. Klasse fielen vergangene Woche Deutsch und Russisch aus, in der 5. Klasse waren es zum Beispiel Geografie, Biologie und der Förderunterricht in Deutsch.

Dabei waren nicht mal alle Schüler im Haus, denn eine 9. Klasse absolvierte ein einwöchiges Praktikum in Betrieben, die 7. Klassen weilten in zwei Tage in Wittenberg. Die Personalnot an den Schulen spitzt sich zu. Da ist Reuden kein Einzelfall. Hier unterrichten aktuell 22 Lehrer, drei Pädagogen fehlen. In der einzigen Sekundarschule in der Elsteraue gibt es nach Aussage der Eltern beispielsweise keinen Musiklehrer mehr. Ein Kollege aus Droyßig hilft seit Jahren aus und unterrichtet die Abschlussklassen. Der Rest fällt aus. Eine Englisch-Lehrerin ist schon seit Monaten krank. Chemie unterrichtet eine einzige Frau in den Klassen 7 bis 10.

Unterrichtsversorgung in Reuden liegt gerade noch bei 80 Prozent

Nur eine Hauptschulklasse hat eine andere Lehrerin. Schätzungsweise drei bis fünf Lehrer gehen zum Halbjahr und zum Ende des Schuljahres in den wohlverdienten Ruhestand. Schon heute gibt es kaum noch Förderangebote und nur wenige Ganztagsangebote. Dabei war man in Reuden so froh, sich „Ganztagsschule“ zu nennen. „Schon zum Anfang des Schuljahres wurde uns von der Schulleitung gesagt, der Grad der Unterrichtsversorgung liegt gerade noch bei 80 Prozent, krank werden darf da niemand“, erzählt Tini Gerster.

Für die MZ war es nicht möglich mit Lehrern oder Schulleitung zu diesem Thema ins Gespräch zu kommen. Die Zeitung solle sich an das Landesschulamt wenden, so die Auskunft. Das tat die MZ am vergangenen Mittwoch. Die Antwort aus Halle lautet: „Die Daten für Ihre Anfrage müssen spezifisch zusammengetragen werden. Ich bitte um Verständnis, dass dies Zeit braucht.“ Den Schülern hilft das wenig. Bildungsminister Marco Tullner (CDU) hatte zu Beginn des Schuljahres von einer „angespannten Situation“ und landesweit von 550 offenen Stellen gesprochen.

Personal zu alt: Keine kurzfristige Lösung für Lehrermangel an Schulen

Für Wilmar Kabisch sind diese Probleme keine Überraschung. Bis vor fünf Jahren war er schulfachlicher Referent im Landesschulamt und für die Sekundarschulen im Burgenlandkreis verantwortlich. „An nahezu allen Schulen im Landkreis liegt das Durchschnittsalter über 50 Jahre. Diese Altersstruktur ist seit langem bekannt“, sagt Kabisch. Das Kultusministerium im Land habe es versäumt, in den Jahren 2013 bis 15 die bildungspolitischen Weichen zu stellen, heißt also vor allem die Studienplätze für Lehrer zu erhöhen. „Der heutige Kultusminister kann den Mangel nur noch verwalten“, so Kabisch.

Die Ausbildung der Lehrer dauert sieben Jahre, so werde es auch keine kurzfristige Lösung geben können. Kabisch sieht aktuell nur zwei Wege: Zum einen könnte man die Arbeitszeit der Lehrer erhöhen. Aufgrund der Überalterung der Pädagogen hält er das nicht für ratsam. „Aus meiner Sicht bleibt nur der ehrliche Umgang mit dem Mangel und eine vorübergehende Anpassung der Stundentafel“, fährt Kabisch fort. Kernfächer wie Mathe, Deutsch und Englisch sowie die Naturwissenschaften kämen dafür nicht in Frage.

„Wir haben akuten Lehrermangel" und die Lage wird sich weiter zuspitzen

Möglich sei dies aber in Wirtschaft, Technik und Hauswirtschaft. „In Sachsen-Anhalt haben wir in diesen Fächern höchstens ein Dutzend ausgebildete Fachlehrer. Das heißt, andere Lehrer müssen das Fach unterrichten. Diese fehlen dann wiederum in Fächern, die sie normalerweise unterrichten würden“, sagt Kabisch. Deswegen sei es ehrlicher, die Stundentafel um diese Fächer zu bereinigen. „Das allerdings ist eine politisch unbequeme Entscheidung“, so Kabisch.

„Wir haben akuten Lehrermangel, ziehen wir an der einen Seite der Tischdecke, so fehlt es am anderen Ende“, sagt der Mann aus der Elsteraue. In den nächsten Jahren dürfte sich die Lage weiter zuspitzen. So prognostiziert die Bertelsmann-Studie bundesweit einen Bedarf von 35.000 zusätzlichen Lehrern bis 2025 und die Kultusministerkonferenz der Länder spricht von 18.000 Lehrkräften in den nächsten zehn Jahren. (mz)