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Burgenlandkreis Burgenlandkreis: Elektriker wird durch die Wohnungssuche zum Wirt

Von UTA KUNICK 18.10.2010, 18:16

MANNSDORF/MZ. - Bernd Tille staunte nicht schlecht, als kürzlich ein Traktor vor dem Gasthof "Zur Weintraube" vorfuhr. Beladen mit Frauen und Männern vom Mannsdorfer Geschichtsclub und einer rustikalen Bank. Die Sitzgelegenheit aus witterungsbeständigem Holz hat inzwischen einen würdigen Platz auf dem Hof der Tilles gefunden. Sie ist ein Jubiläumsgeschenk der Clubmitglieder an die Tilles, denn die Familie führt den Gasthof seit nunmehr vier Jahrzehnten.

Dass Bernd Tille, gelernter Elektriker, einmal eine Gaststätte übernehmen wird, hätte er sich niemals träumen lassen. Doch manchmal kommt es anders als man denkt. "Wir haben damals händeringend nach einer Wohnung gesucht", erzählt der heute 64-Jährige. Damals schrieb man das Jahr 1970. Tochter Solveig war fast ein Jahr alt und die junge Familie wohnte in Mannsdorf im elterlichen Haus, wo es ziemlich beengt zuging. Wohnungen waren zu jener Zeit Mangelware. Als im Ort das Haus mit der Gaststätte zum Verkauf stand, weil sich der Wirt in den Ruhestand begeben wollte, überlegten Bernd und Karin Tille nicht lange. Sie griffen zu. In der Dorfkneipe pulsierte das Leben. Sie war Treffpunkt für alle. Hier wurden Kohlenkarten ausgetauscht, Versammlungen abgehalten, die Renten ausgezahlt. Und das sollte auch weiter so bleiben. So lautete eine Bedingung des Kaufvertrags. Zwei Jahre lang führte Bernd Tille, der als Anlagenfahrer im Tagebau in Profen sein Geld verdiente, die Gaststätte nebenbei. Dann hängte er seinen Beruf an den Nagel und war nur noch für den Gasthof da.

"Aus dem Dorf half eine ältere Dame mit ", plaudert Bernd Tille. Trude Myrhe kam jeden Tag vorbei und schälte für die Küche einen Sack Kartoffeln. Die über 70-Jährige suchte im Alter nach einer Betätigung und freute sich darüber, dass sie helfen konnte und gebraucht wurde. Mehr als 300 Portionen gingen jeden Mittag raus. "Bis zur Wende haben wir viele Betriebe ringsherum versorgt", sagt Bernd Tille und führt als Beispiel die Tierproduktion und die Pflanzenproduktion der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft an. Die Mannsdorfer Gaststätte war und ist noch heute bekannt für ihren guten Mittagstisch mit gut-bürgerlicher Küche. Die Rezepte für die typisch deutschen Gerichte wurden im Laufe der Jahre überliefert. Anni Tschauder gab sie an Schwiegertochter Karin weiter, die heute noch die Gäste bekocht. Geführt wird die Gaststätte, die in den 1990er Jahren einen Anbau erhielt und über vier gemütliche Doppelzimmer verfügt, inzwischen von Tochter Solveig.

"Ich habe mir viel von meinem Vater abgeguckt", erzählt die gelernte Hotelfachfrau, die ohne mit der Wimper zu zucken ein Wildschwein ausnimmt und zubereitet. "Das war für mich früher unvorstellbar", sagt sie. Auch Ehemann Jörg Katzwinkel-Tille bringt sich in dem Familienbetrieb ein. Als "Mädchen für alles" übernimmt er den Lieferservice, den die Gaststätte außer Haus mit anbietet, sorgt dafür, dass immer genügend Getränke da sind und bedient am Tresen. Eine Kellnerin hat der Familienbetrieb eingestellt und einen Koch. "Putzteufel" Michaele Mengel steht auf Abruf bereit, wenn in der Pension Betten bezogen werden müssen, Wäsche anfällt und andere Arbeiten zu erledigen sind.

"Familienfeiern und Mittagstisch sind nach wie vor unsere Stärken", sagt Solveig Tille, die 2009 bei der Preisverleihung zum Zeitzer Michael einen Sonderpreis erhielt: den Unternehmerinnenpreis. Fischgerichte gehen gut, die handgemachten Rouladen, aber auch Steaks und Schnitzel. Das Essverhalten habe sich allerdings verändert, resümiert die Chefin. So bevorzuge mancher Gast zum Fisch Bratkartoffeln anstelle der gekochten. Selbst Kartoffelsalat mit Paprika und Rosenkohl wurde schon bestellt. Für Solveig Tille kein Problem: "Der Gast ist König. Und dem muss es schließlich schmecken."