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Wittenberg Wittenberg: «Fibros» kämpfen an zwei Fronten

Von IRINA STEINMANN 19.11.2010, 19:03

WITTENBERG/MZ. - Ja, so war er. "Da haben Sie sich ja eine sch... Krankheit ausgesucht", hatte Engelbert Pennekamp zu ihr gesagt, als sie zu ihm kam, 2005, auf der Suche einer Selbsthilfegruppe. Gab's nicht in der Lutherstadt, die nächste saß in Magdeburg. Cornelia Wachholz saß in Wittenberg, die Diagnose kaum ein Jahr alt, allein. Er hätte da aber 'ne Idee, habe Pennekamp gesagt. "Ab morgen macht das Frau Wachholz." Sie nahm sich ein halbes Jahr Bedenkzeit. Dann sagte sie ja. Und Pennekamp, "der gute Mensch" des städtischen Sozialwesens, hatte eine ehrenamtliche Mitstreiterin mehr. Am 2. Juni 2005 gründete Cornelia Wachholz die Selbsthilfegruppe "Fibromyalgie". Warum? "Aus Egoismus."

Lange war es ein Kampf an zwei Fronten, den die "Fibros", wie Cornelia Wachholz sich und ihresgleichen nennt, führen mussten: Gegen die Schmerzen in Muskeln und Sehnen, gegen die Erschöpfung auch im Kopf, gegen all die anderen Symptome dieser "diffusen Krankheit", die manche Weichteilrheuma nennen - und gegen das Unverständnis der Umwelt. Ein gebrochener Arm ist was Reelles. Da weiß der Arzt, was er zu tun hat. Aber Fibromyalgie? "Du rennst von Arzt zu Arzt. Du merkst, dass in deinem Körper was passiert, was nicht sein soll. Du rennst gegen eine Wand und denkst am Ende selbst, du bildest dir was ein." Erst seit wenigen Jahren sei die Krankheit als solche anerkannt. Die Kassen zahlten, manche Patienten würden auch verrentet. Und "jeder Fibro darf einmal im Jahr für zehn Tage zur Nachbehandlung", in hiesigen Fällen zumeist nach Treuenbrietzen, laut Cornelia Wachholz die einzige Klinik weit und breit, die Fibromyalgie zu buchstabieren vermag.

Als Cornelia Wachholz den Aufruf startete zur Gründung der Gruppe, damals 2005, tat sich - nichts. Fibromyalgie? Hatte offenbar keiner in Wittenberg. Sie müssen die Symptome beschreiben, riet ihr Pennekamp. Das Telefon, erinnert sich Cornelia Wachholz, stand nicht mehr still. Irgendwann musst ihr Mann den Stecker ziehen. "Ich war nicht mehr alleine."

Die Wittenberger Selbsthilfegruppe Fibromyalgie ist heute eine reine Frauengruppe, das ist nicht gewollt, das hat sich so ergeben, nachdem der letzte Mann abgesprungen war. Mehr als 20 Frauen besuchen die monatlichen Treffen im Haus der Volkssolidarität (jeden letzten Mittwoch, 16 Uhr), um dort eines nicht zu tun: "Wir lecken nie Wunden." Manchmal kommt eine Ernährungsberaterin, manchmal eine Dame von der Verbraucherzentrale und oft eine Mitarbeiterin der Stadtbibliothek zur Lesung. Manchmal singen sie auch. Mit rund 45 "Fibros" zwischen Kemberg und Zahna, Elster und Seegrehna steht Cornelia Wachholz in Kontakt. Und jetzt erzählt die Vorsitzende noch die Geschichte mit dem Flummi. Wie sie sich - auf Anregung eines Coaches aus Hamburg, den die Wittenberger Stadtverwaltung regelmäßig zur Schulung der Selbsthilfegruppenleiter einlädt - im Kreis sitzend das Bällchen zuwarfen samt ihren Namen und es ihnen trotzdem lange Zeit nicht gelang, sich die Namen der anderen zu merken. Heute ist der Flummi im Kreisrund ein Indikator für gute und für schlechte Tage: Wer nicht reden mag, gibt ihn wortlos weiter. Nein, man sieht Cornelia Wachholz die Krankheit nicht an. Man sieht eine lebhafte Frau mittleren Alters, die halbtags als Textilverkäuferin arbeitet, Mutter eines erwachsenen Sohnes, verwitwet. Man sieht nicht, was es bedeutet, sich morgens beim Aufstehen nicht bewegen zu können. ("Wir haben das Gefühl, dass die Hände geschwollen sind. Sind sie aber nicht.") Wie Namen und Fakten, eben noch gewusst, wegrutschen aus dem Gedächtnis. Und man fühlt nicht, was es bedeutet, Sport machen zu müssen - gegen die Schmerzen, unter Schmerzen. Das gilt übrigens als das einzige Mittel. Weshalb Cornelia Wachholz auch hofft, mit ihrer Gruppe nach der Sanierung wieder die Schwimmhalle in Piesteritz nutzen zu können am Warmbadetag. "Wir sind die Warmduscher." Cornelia Wachholz grinst. Sie war früher mal Rettungsschwimmerin.

Als ihr Mann nach langer Krankheit starb in diesem Jahr, hat die 52-Jährige etwas zurückbekommen von ihrer Gruppe. Auch Helfer brauchen Hilfe. Manchmal, wenn's ein bisschen hart wird im Selbsthilfegruppen-Alltag, nimmt sie sich Pennekamps Bild vor Augen, eine Fotografie. Massiger Mann, schlabbrige Klamotten. Ein Macher, viel zu früh verstorben. "Hatten Sie das Glück, ihn kennenzulernen?" Auch Selbsthelfer brauchen Vorbilder.