Umweltverschmutzung Umweltverschmutzung: Schwellen-Angst in Zschornewitz

Zschornewitz - Steffen Eiling ist empört. Der Zschornewitzer dokumentiert bei seinem Spaziergang mit seinem Hund - einem Boxer - den Umweltfrevel mit seiner Kamera. „Die Altschwellen der Grubenbahn zwischen Gräfenhainichen und Zschornewitz werden schlicht und ergreifend unmittelbar neben der Strecke entsorgt. So weit ich weiß, sind zumindest die Altschwellen aus imprägniertem Holz Sondermüll, also sind sie fachgerecht zu entsorgen“, schreibt der Diplomingenieur und Chef eines gleichnamigen Büros an das Gräfenhainichener Rathaus unter der Überschrift „Ordnungswidrigkeiten“ und schickt die Fotos als Beweis gleich mit.
Es wächst Gras über die Sache
Es passiert nichts - es gibt noch nicht mal eine Eingangsbestätigung. „Da wächst bald sprichwörtlich Gras über die Sache“, befürchtet der Mann im Gespräch mit der MZ. Die Schandflecke gebe es schon etliche Jahre. „Das ist eine Riesensauerei“, schimpft er. Und die gibt es nicht nur bei Zschornewitz. Auch auf der Trasse zwischen Gräfenhainichen und Oranienbaum finden sich problemlos solche Schandflecke, erklärt auf MZ-Anfrage Walter Schwiersch. In seinem Jagdrevier gebe es mehrere Haufen - zum Beispiel bei Jüdenberg.
Bahnschwellen werden ohne analytische Prüfung als „gefährlicher Abfall“ in der Altholzkategorie A IV eingestuft, erklärt das Wittenberger Landratsamt. Demnach ist das Ablagern eine Ordnungswidrigkeit, die Schwellen müssen einer thermischen Behandlung, also einer Verbrennung, zugeführt werden. Im Landratsamt Nordsachsen gibt es auch eine Regieanweisung für den Umgang mit dieser Abfallform. Die Experten in Sachen Braunkohle gehen davon aus, dass bei Industriebahnen meist salzgetränkte Schwellen eingesetzt wurden. Zum Einsatz kamen bis 1990 vier Formen von Dohnalit. „Ein Schadaustrag in das Erdreich ist nicht zu befürchten“, heißt es auf der Homepage. Trotzdem rät ein Verantwortlicher in Sachsen dringend zu einer Einzelfallprüfung im Zschornewitzer Revier.
Der Teufel steckt tatsächlich im Detail. In der DDR wird bis in die 60er Jahre das Holz ausschließlich teerölimprägniert zum Schutz gegen Witterung und Schädlingsbefall eingesetzt. Mitte der 50er Jahre wird die Grubenbahn gebaut. „Die Hölzer schwammen tagelang auf dem Schwellenplatz in einer Art Badewanne im Teeröl“, erinnert sich der damalige Tagebauleiter Horst Richter.
In den 70er Jahren haben dann die Verantwortlichen auf Betonschwellen umgestellt. Die wurden möglicherweise einfach drüber gelegt. Der Unterschied zwischen salz- und teerölgetränkt ist gravierend. Aus dem gefährlichen wird lebensgefährlicher Abfall, aus einer Ordnungswidrigkeit eine Straftat. Und die Kosten für die Entsorgung explodieren. Bei teerholzbelasteten Hölzern - dafür schreibt der Gesetzgeber eine Sonder-Abfallentsorgung vor - muss eine Verbrennungsanlage mit speziellen Filtern gewählt werden. Teeröle enthalten Benzoapyren, ein aus fünf Benzolringen bestehender polycyclischer aromatischer Kohlenwasserstoff, der laut einem Merkblatt des Kreises Dithmarschen als umweltgefährdend und für den Menschen als gesundheitsschädigend bekannt sei. „Insbesondere ist der Hautkontakt gefährlich. Er kann krebserregend sein“, heißt es auf der Homepage. Die Einschätzung wird im Bayerischen Landesamt für Umwelt geteilt. Teeröl wird als „krebserzeugend und erbgutverändernd“ eingestuft. „Ferner sind Phenole und Kresole enthalten, die hautreizend wirken“, heißt es in München. Dithmarschen (Schleswig-Holstein) schaltet nicht nur bei illegaler Entsorgung die Polizei ein. Strafverfolgung wird auch jenen angedroht, die teerölbelastete Bahnschwellen privat - zum Beispiel als Zaunpfähle - nutzen. Es drohen Geld- und Freiheitsstrafen.
Solche Ermittlungen gibt es auch schon in der hiesigen Region. Ein einziger, teerölgetränkter Mast - illegal entsorgt - hat zu einem Ermittlungsverfahren wegen umweltgefährdender Abfallbeseitigung geführt. An der Grubenbahn lagern derzeit - die Betonschwellen mit eingerechnet - wahrscheinlich deutlich mehr als eine Tonne. Doch die Hölzer sollen salzgetränkt sein, behauptet der Eigentümer der Bahn in einem nicht offiziellen Gespräch mit der MZ. Sein Beweis: Er sei hier der Experte! Trotzdem will er nie mit der Presse gesprochen haben und sichert aber die ordnungsgemäße Entsorgung zu. Der Geschäftsführer selbst habe nach eigenen Angaben keinen Abfall abgelagert. Ganz im Gegenteil. Der Mann aus Norddeutschland hat nach eigenen Angaben schon seit der Bahnübernahme 2011 größere Mengen abgefahren. Stimmt das, ist einer der Vorgänger der Verursacher. Zwei dafür in Betracht kommende Unternehmen sind aber inzwischen insolvent.
Eiling zeigt der MZ am Dienstagnachmittag die Umweltsünden. An einer Stelle kurz vor dem Ortseingang Zschornewitz liegt leichter Teergeruch in der Luft. „Hier spielen Kinder“, ist Eiling entsetzt. Und viele Einwohner gehen mit ihren Hunden Gassi. Die Tiere würden an dem Holz schnüffeln. Doch das sei nicht problematisch, sagt Sven Engmann. Beim Lecken oder Knabbern der Tiere an den Hölzern könne er aber keine Entwarnung geben. „Aber die Dosis macht das Gift“, so der promovierte Tierarzt, der in seiner Gräfenhainichener Praxis keine erhöhten Krebsfälle bei Hunden registriert hat.
Für teerölbehandelte Bahnschwellen gibt es seit dem 1. Oktober 1991 ein Verwendungsverbot für den privaten Bereich. Darauf verweist Melanie Kaacksteen. Nach Einschätzung der Pressesprecherin des Kreises Dithmarschen (Schleswig-Holstein) werde die Einhaltung des Verbots durch Mitarbeiter des Fachdienstes Wasser, Boden und Abfall streng kontrolliert. „In der Vergangenheit sind aber nur wenige Fälle aufgetreten“, so Kaacksteen.
Im Verwendungsfall - zum Beispiel beim Schwelleneinsatz bei der Gartengestaltung - wird der Eigentümer zur umweltunschädlichen Entsorgung aufgefordert. „Ob ein Ordnungswidrigkeitenverfahren oder ein Strafverfahren eingeleitet wird, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab“, so die Pressesprecherin. Bei Vorsatz wird die Polizei eingeschaltet. Liege aber Fahrlässigkeit vor, und der Besitzer zeige Einsicht und Bereitschaft zur Entsorgung, werde auf ein Strafverfahren verzichtet. Im aktuellen Fall in Zschornewitz ist bis gestern Abend noch keine Entscheidung gefallen. Die Verständigung per Mail ist offensichtlich etwas problematisch. (mz/hü)
Im Klartext: Diese Hölzer dürfen keinesfalls zum Bau eines Zwingers verwendet werden. Doch Lücken in den Abfallbergen zeigen, dass so manche nicht verrottete Schwelle offensichtlich eine Wiederverwendung gefunden hat - und augenscheinlich auch bei der aktuellen Ertüchtigung der Gleisstrecke. Hier werden neue Beton- und alte Holzschwellen verbaut.
Mail landet im Spam-Ordner
Der Fall der illegalen Abfall-Entsorgung wird seit gestern nun doch noch untersucht. Das Gräfenhainichener Ordnungsamt hat die Eiling-Mail am Dienstag an das Landratsamt weitergeleitet. Für den Zeitverzug von mehr als einer Woche gibt es eine simple Erklärung. Die elektronische Post sei zunächst im Ordnungsamt dem Spamfilter zum Opfer gefallen. Eilings Post landet also durch eine PC-Einstellung ungelesen im elektronischen Papierkorb. Doch die Computerprobleme gehen weiter. Am Mittwoch kann die Kreisverwaltung auf MZ-Anfrage zunächst den Eingang der Mail aus Gräfenhainichen nicht bestätigen. Die Heidestädter haben ihre Post an die falsche Stelle geschickt. Wenigstens eine Mail hat den Empfänger auf Anhieb erreicht. Eiling erhält am Dienstag eine Eingangsbestätigung für seine Post. Der Mann wundert sich: „Muss man immer erst die Zeitung einschalten?“ (mz)
