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Umweltverschmutzung Umweltverschmutzung: Schwellen-Angst in Zschornewitz

Von Michael Hübner 17.02.2016, 17:07
Entlang der Grubenbahn - wie hier kurz vor Zschornewitz - werden Holzschwellen einfach entsorgt.
Entlang der Grubenbahn - wie hier kurz vor Zschornewitz - werden Holzschwellen einfach entsorgt. Alexander Baumbach

Zschornewitz - Steffen Eiling ist empört. Der Zschornewitzer dokumentiert  bei seinem Spaziergang mit seinem Hund - einem Boxer - den Umweltfrevel mit seiner Kamera. „Die Altschwellen der Grubenbahn zwischen Gräfenhainichen und Zschornewitz werden schlicht und ergreifend unmittelbar neben der Strecke entsorgt. So weit ich weiß, sind zumindest die Altschwellen aus imprägniertem  Holz Sondermüll, also sind sie fachgerecht zu entsorgen“, schreibt der Diplomingenieur und Chef eines gleichnamigen Büros an das Gräfenhainichener Rathaus unter der Überschrift „Ordnungswidrigkeiten“ und schickt die Fotos als Beweis gleich mit.

Es wächst Gras über die Sache

Es passiert nichts - es gibt noch nicht mal eine Eingangsbestätigung.  „Da wächst bald sprichwörtlich Gras über die Sache“, befürchtet der Mann im Gespräch mit der MZ. Die Schandflecke  gebe es schon etliche Jahre.  „Das ist  eine Riesensauerei“, schimpft er. Und die gibt es nicht nur bei Zschornewitz. Auch auf der Trasse zwischen Gräfenhainichen und Oranienbaum  finden sich problemlos  solche Schandflecke, erklärt auf MZ-Anfrage Walter Schwiersch. In seinem Jagdrevier gebe es mehrere Haufen - zum Beispiel bei Jüdenberg.

Bahnschwellen werden  ohne analytische Prüfung als „gefährlicher Abfall“ in der Altholzkategorie A IV eingestuft, erklärt das Wittenberger Landratsamt. Demnach  ist das Ablagern eine Ordnungswidrigkeit, die Schwellen müssen einer thermischen Behandlung, also einer Verbrennung, zugeführt  werden. Im Landratsamt Nordsachsen gibt es auch eine Regieanweisung  für den Umgang mit dieser Abfallform. Die Experten in Sachen Braunkohle gehen davon aus, dass bei Industriebahnen meist salzgetränkte Schwellen eingesetzt wurden. Zum Einsatz kamen bis 1990 vier Formen von Dohnalit. „Ein Schadaustrag in das Erdreich ist nicht zu befürchten“, heißt es auf der Homepage. Trotzdem rät ein Verantwortlicher  in Sachsen dringend zu einer Einzelfallprüfung im Zschornewitzer Revier.
Der Teufel steckt tatsächlich im Detail. In der DDR wird bis in die 60er Jahre das Holz ausschließlich teerölimprägniert zum Schutz gegen Witterung und Schädlingsbefall eingesetzt. Mitte der 50er Jahre wird die Grubenbahn gebaut. „Die Hölzer schwammen tagelang auf dem Schwellenplatz  in einer Art Badewanne im Teeröl“, erinnert sich der damalige Tagebauleiter Horst Richter.
In den 70er Jahren haben dann die Verantwortlichen  auf Betonschwellen umgestellt. Die wurden möglicherweise einfach drüber gelegt. Der Unterschied zwischen salz- und teerölgetränkt ist gravierend. Aus dem gefährlichen wird  lebensgefährlicher Abfall, aus einer Ordnungswidrigkeit eine Straftat. Und die Kosten für die Entsorgung explodieren. Bei teerholzbelasteten Hölzern  - dafür schreibt der Gesetzgeber eine Sonder-Abfallentsorgung vor -  muss eine Verbrennungsanlage mit speziellen Filtern gewählt werden.  Teeröle enthalten Benzoapyren, ein aus fünf Benzolringen bestehender polycyclischer aromatischer Kohlenwasserstoff, der laut einem Merkblatt des Kreises Dithmarschen als umweltgefährdend und für den Menschen als gesundheitsschädigend bekannt sei. „Insbesondere ist der Hautkontakt gefährlich. Er kann krebserregend sein“, heißt es auf der Homepage. Die Einschätzung wird im Bayerischen Landesamt für Umwelt geteilt. Teeröl wird als „krebserzeugend und erbgutverändernd“ eingestuft.  „Ferner sind Phenole und Kresole enthalten, die hautreizend wirken“, heißt es in München. Dithmarschen (Schleswig-Holstein) schaltet   nicht nur bei illegaler Entsorgung die Polizei  ein. Strafverfolgung wird auch jenen angedroht, die teerölbelastete Bahnschwellen privat - zum Beispiel als Zaunpfähle - nutzen. Es drohen  Geld- und Freiheitsstrafen.
Solche Ermittlungen  gibt es auch schon  in der hiesigen Region.  Ein einziger,  teerölgetränkter Mast - illegal entsorgt - hat zu einem Ermittlungsverfahren wegen umweltgefährdender Abfallbeseitigung  geführt.   An der Grubenbahn lagern derzeit - die Betonschwellen mit eingerechnet - wahrscheinlich  deutlich mehr als  eine Tonne. Doch die Hölzer sollen salzgetränkt sein, behauptet der Eigentümer der Bahn in einem nicht offiziellen Gespräch mit der MZ. Sein Beweis: Er sei hier der Experte! Trotzdem will er nie mit der Presse gesprochen haben und sichert aber die ordnungsgemäße Entsorgung zu. Der Geschäftsführer   selbst habe nach eigenen Angaben keinen Abfall abgelagert. Ganz im Gegenteil.  Der Mann aus Norddeutschland  hat nach eigenen Angaben  schon seit der Bahnübernahme  2011 größere Mengen abgefahren.  Stimmt das,    ist einer der Vorgänger der Verursacher. Zwei  dafür in Betracht kommende Unternehmen  sind  aber  inzwischen  insolvent.
Eiling zeigt der MZ am Dienstagnachmittag die Umweltsünden. An einer Stelle  kurz vor dem Ortseingang Zschornewitz liegt leichter Teergeruch in der Luft. „Hier spielen Kinder“, ist Eiling  entsetzt. Und viele Einwohner  gehen  mit ihren  Hunden Gassi. Die Tiere würden  an dem Holz schnüffeln. Doch das sei nicht problematisch, sagt Sven Engmann.  Beim Lecken oder Knabbern der Tiere an den Hölzern könne er aber keine Entwarnung geben. „Aber die  Dosis  macht das  Gift“, so der promovierte Tierarzt, der in seiner Gräfenhainichener Praxis keine erhöhten Krebsfälle bei Hunden registriert hat.

Für teerölbehandelte Bahnschwellen gibt es seit dem 1. Oktober 1991 ein Verwendungsverbot für den privaten Bereich. Darauf verweist Melanie Kaacksteen. Nach Einschätzung der Pressesprecherin des Kreises Dithmarschen (Schleswig-Holstein) werde die Einhaltung des Verbots durch Mitarbeiter des Fachdienstes Wasser, Boden und Abfall streng kontrolliert. „In der Vergangenheit sind aber nur wenige Fälle aufgetreten“, so Kaacksteen.

Im Verwendungsfall - zum Beispiel beim Schwelleneinsatz bei der Gartengestaltung - wird der Eigentümer zur umweltunschädlichen Entsorgung aufgefordert. „Ob ein Ordnungswidrigkeitenverfahren oder ein Strafverfahren eingeleitet wird, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab“, so die Pressesprecherin. Bei Vorsatz wird die Polizei eingeschaltet. Liege aber Fahrlässigkeit vor, und der Besitzer zeige Einsicht und Bereitschaft zur Entsorgung, werde auf ein Strafverfahren verzichtet. Im aktuellen Fall in Zschornewitz ist bis gestern Abend noch keine Entscheidung gefallen. Die Verständigung per Mail ist offensichtlich etwas problematisch. (mz/hü)

Im Klartext:  Diese Hölzer dürfen keinesfalls zum Bau eines Zwingers verwendet werden. Doch Lücken in den Abfallbergen zeigen, dass so manche nicht verrottete Schwelle offensichtlich eine Wiederverwendung gefunden hat - und augenscheinlich auch bei der  aktuellen Ertüchtigung  der Gleisstrecke.  Hier werden  neue Beton- und alte Holzschwellen verbaut.


Mail landet im Spam-Ordner


 Der Fall der illegalen Abfall-Entsorgung wird seit gestern nun doch noch  untersucht. Das Gräfenhainichener Ordnungsamt hat  die Eiling-Mail am Dienstag  an das  Landratsamt weitergeleitet. Für den Zeitverzug von mehr als einer Woche gibt es  eine simple Erklärung. Die elektronische Post sei zunächst im Ordnungsamt dem Spamfilter  zum Opfer gefallen.   Eilings   Post  landet also durch eine PC-Einstellung ungelesen im elektronischen Papierkorb.  Doch die Computerprobleme gehen weiter. Am Mittwoch  kann die Kreisverwaltung auf MZ-Anfrage zunächst den Eingang der Mail aus Gräfenhainichen nicht bestätigen. Die Heidestädter  haben ihre Post an die falsche Stelle geschickt.    Wenigstens eine Mail hat den Empfänger auf Anhieb erreicht. Eiling erhält  am Dienstag eine Eingangsbestätigung für seine Post. Der Mann wundert sich: „Muss man immer erst die Zeitung einschalten?“ (mz)

Der Zschornewitzer Steffen Eiling sagt: „Das ist eine Riesensauerei!“
Der Zschornewitzer Steffen Eiling sagt: „Das ist eine Riesensauerei!“
Alexander Baumbach