Stadtkirche St. Marien in Wittenberg Stadtkirche St. Marien in Wittenberg: Schmährelief "Judensau" bringt Unesco in Kritik

Wittenberg - Die Fronten sind verhärtet. Der Streit um das Spottbild an der Wittenberger Stadtkirche geht hinter den Kulissen unerbitterlich weiter. Daran konnte die Verhandlung am Amtsgericht Anfang Mai nichts ändern. Das Interesse war riesengroß. Es gab Meinungsbekundungen vor dem Gotteshaus und vor dem Gerichtsgebäude. Im Haus selbst musste sogar in einen größeren Raum umgezogen werden, damit die Besucher auch Platz finden.
Richter Thomas Tilch verwies nach 13-minütiger Verhandlung die Zivilklage an das Landgericht Dessau. Mit einem Streitwert von 10.000 Euro seien die Richter dort für die Klage von Michael Dietrich Düllmann zuständig, die der Bonner gegen die Evangelische Stadtkirchengemeinde erhoben hat.
Düllmann und sein Anwalt Hubertus Benecke sehen im Schmährelief von 1305 den Tatbestand der Beleidigung erfüllt und fordern die Beseitigung des Reliefs.
Höhere Gerichtskosten
Darüber will das Landgericht zügig entscheiden. Eine Terminierung im Mai scheitert aber zunächst an einer Geld-Frage. Mit der Erhöhung des Streitwertes, so Gerichtssprecher Frank Straube, erhöht sich auch der Gerichtskostenvorschuss. Genau dieser Differenzbetrag sei zunächst nicht eingegangen. Das sei laut Benecke inzwischen am 5. Juni geschehen. „Ich rechne mit einer Verhandlung im September“, so Straube.
Die Stiftung Leucorea und die Evangelische Stadtkirchengemeinde haben eine Vortragsreihe initiiert. Nach dem Auftakt mit Hunderten Gästen geht es am 21. Juni um die historische Sicht des Reliefs. Am 15 August wird in der Leucorea die juristische Perspektive beleuchtet. Zum Abschluss wird am 12. September die Frage debattiert: Entsorgung von Geschichte aus dem Geist der politischen Korrektheit? Beginn ist jeweils 19.30 Uhr.
Auf die nächste Instanz bereiten sich beide Seite intensiv vor. Die Stadtkirchengemeinde plant drei Vorträge. „Ich werde prüfen, ob die Justiz in Dessau beeinflusst werden soll“, sagt Benecke dazu. Dabei geht es um einen Abend in der Leucorea. Ein Jura-Professor wird die rechtliche Seite des Spottbildes beleuchten.
Vom Lügen-Kartell und Luther
Aktiv ist allerdings auch Düllmann. Beneckes Mandant hat einen Offenen Brief an die Deutsche Unesco-Kommission nach Bonn geschrieben. Darin bittet er um Aufklärung über das Vergabeverfahren für den Welterbe-Titel für die Lutherstätten. Er wirft dem Gremium dabei die Verletzung der Prüf- und Sorgfaltspflicht vor.
„Welche mächtigen Luther-Lobbyisten mögen da am Werk gewesen sein?“ so Düllmann, der seine Schlussfolgergungen zieht: „Offensichtlich haben wir es hier mit einem gigantischen Verschweige-Kartell, mit einem Lügen-Kartell aus Politik, Kirche und Kultur, aus Medien und Tourismus-Industrie zu tun.“
Düllmann sieht auch Luthers Rolle kritisch. Das Gift des Reformators gegen die Juden wirkte „400 Jahre später in der Nazi-Zeit und kostete sechs Millionen Juden das Leben“.
Schelte erhält auch die MZ - für die Schlagzeile „Welterbe-Status in Gefahr?“ Für Düllmann ist das Satzzeichen falsch gewählt: „Diese Frage kann mit ja beantwortet werden.“ Die Aberkennung eines solchen Titel ist aber in der Geschichte der Welterbekonvention seit 1972 erst zweimal bei über 1.000 Welterbestätten passiert.
Allerdings hat die Unesco tatsächlich bisher nichts vom Spottbild gewusst. „Im Nominierungsdossier ist das Spottbild nach unserer Übersicht nicht genannt“, so die Sprecherin Katja Römer zu den Ereignissen von 1996. „Ob es die Gutachter bei ihrem Besuch der Stätte mit den lokal Verantwortlichen diskutiert haben, können wir nicht zurückverfolgen.“
Wichtig ist aus Sicht der Deutschen Unesco-Kommission, dass die mit diesem Spottbild verbundene Historie offen und kritisch thematisiert wird und die Stadtkirche als Ort der Erinnerung an die Reformation und an Luther mit all seinen Facetten dient. Eine klare Haltung gegen jeglichen Antijudaismus muss damit einhergehen. (mz)