Geschichte Reise durch 99 Jahre für Martha Schneider in Wittenberg
Martha Schneider hat ein Büchlein schreiben lassen. Viele Episoden geben einen Einblick in ihr Leben.
Wittenberg - Sie habe so viel erlebt, sie könnte davon ein Buch schreiben. Diesen Satz hat Martha Schneider schon viele Male in ihrem Leben gesagt. Wie wohl so manche Seniorin, die ein hohes Alter erreicht. Doch die fast 100-Jährige hat es mit Hilfe ihrer Tochter Christel und einer ihrer Enkelinnen jetzt wahr gemacht.
Ein dicker Wälzer ist es zwar nicht geworden, denn die 99-Jährige hat nicht ihr ganzes Leben Revue passieren lassen, wie sie eingangs erklärt. Aber viele Episoden und einige Fotos finden sich auf nunmehr 54 Seiten einer heftgroßen Broschüre, gedruckt in der Wittenberger Elbe-Druckerei.
Ein Büchlein, das ihren Kindern, Enkeln, Urenkeln und Ururenkeln erzählt, was sie geprägt hat, diese Martha Schneider, die am 27. Januar 1922 in Jeßnitz geboren wurde und eigentlich den schönen Namen Margarete tragen sollte. „Aber der Standesbeamte war nicht richtig bei der Sache und hat was verwechselt. Plötzlich hieß ich Martha wie meine Mutter“, heißt es in den Erinnerungen Seniorin, die dann einfach Martchen genannt wurde.
Beispielhafte Episoden
Viele Episoden aus der Kindheit folgen, die Martha Schneider als eine glückliche bezeichnet: „Meine Mutter nähte mir schöne Kleider. Ich bin mit den kleinen Tieren aufgewachsen, verkostete auch mal Schweinefutter“. Die auch einen Einblick in Familienverhältnisse und ein arbeitsreiches Leben auf dem Land im Bitterfelder Raum vermitteln, wenn Marta zum Beispiel über ihre Großeltern und Eltern berichtet.
1928 eingeschult, war Martchen eine gute Schülerin und: „Da ich eine gute Handschrift hatte und schnell von Begriff war, half ich in der Schmiede aus und schrieb Rechnungen“. Von der akkuraten Handschrift zeugen noch heute die Heftchen, die sie später mit 14 Jahren in der staatlich anerkannten Haushaltsschule „Marthahaus“ in Halle führte.
Ihre Ausbildung dort „beinhaltete Kochen, Saubermachen, Nähen, haushälterische Buchführung, Säuglings- und Kinderpflege. Wir hatten sehr viel Sport, zumeist Gymnastik“. Nach einem Jahr kehrte Martha zur Familie zurück und war dann für die noch sehr kleinen Geschwister verantwortlich. Von Waschtagen und vom Brotbacken erzählt sie, von den vielen Pflichten, aber auch vom Tanz auf dem Dorf.
Der Leser erfährt dann aber auch von den Einschnitten, die der Zweite Weltkrieg mit sich brachte, dass für Martha Richard die Liebe ihres Lebens wurde, aber aus dem Krieg nicht zurückkam und seinen Sohn, der 1943 geboren wurde, nie kennenlernte. Anhand der Familiengeschichte, die in anschaulich, lebendig beschrieben ist, wird Zeitgeschichte deutlich.
Dieses Prinzip zieht sich auch weiter durch das Büchlein. Martha heiratet einen gelernten Fleischer, der 1949 aus russischer Gefangenschaft kommt, zwei Töchter werden geboren. 1966 stirbt ihr Mann nach einem Unfall. „Ich hatte keine Arbeit und musste allein für drei Kinder, Haus, Hof, Garten und Feld sorgen“, blickt sie zurück. Beim örtlichen Braunkohletagebau wird sie daraufhin Streckenläufer, später Sicherheitsposten, bleibt noch sieben Jahre nach Rentenbeginn als Küchen- und Reinigungskraft im Betrieb.
Kleine Lesung
Inzwischen lebt die 99-Jährige im Senioren- und Pflegezentrum „Am Lerchenberg“ in Wittenberg. Dort wird am Sonnabend dieses Wochenendes ihre Tochter Christel für die Heimbewohner aus dem Büchlein lesen und Martha Schneider wird singen, denn Musik hat immer eine große Rolle in ihrem Leben gespielt. „Ich fühle mich wieder jünger und vergesse meine Schmerzen. Was kann es Schöneres geben!“ (mz)