Paul-Gerhardt-Stift Paul-Gerhardt-Stift: Gebündeltes Expertenwissen

Wittenberg - In der Werbung sind Menschen mit Kontinenzproblemen kein Tabu-Thema mehr, im Gegenteil. TV-Spots, in denen dynamische Zeitgenossen, vorzugsweise Frauen, ihre unerschütterliche Lebensfreude dank entsprechender Hilfsmittel in die Wohnzimmer tragen, hat wohl jeder schon mal gesehen.
Abgesehen davon, dass keineswegs nur Frauen betroffen sind, können diese Beiträge auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Inkontinenz noch immer zu den Tabuthemen gehört, über die allenfalls hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird.
Schlimmer noch: Wer jeden Gang vor die Haustür generalstabsmäßig planen muss, weil im Vordergrund immer die Frage steht, ob im Ernstfall eine Toilette in Reichweite ist, der wird sich irgendwann aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen.
Gegen jegliche Form von Tabuisierung richtet sich das neu gegründete Kontinenz- und Beckenbodenzentrum Lutherstadt Wittenberg. Angesiedelt ist es wie berichtet am evangelischen Krankenhaus Paul Gerhardt Stift, zur Einweihung am Mittwoch sind etliche Interessierte ins Klinik-Foyer gekommen.
„Tabu war gestern - heute geht es um Ihre Lebensqualität!“, lautet eine signalrot unterlegte Verheißung auf den Flyern, die ausgelegt sind.
Das Kontinenz- und Beckenbodenzentrum Wittenberg ist nach Auskunft von Martin Voss ab sofort arbeitsfähig. Voss, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Paul Gerhardt Stift, gehört mit der Oberärztin Andrea Tanase zu den Ansprechpartnern dieser interdisziplinären Sprechstunde (Sprechzeiten dienstags und donnerstags von 14 bis 15.30 Uhr, Anmeldungen unter Tel. 03491/50 37 01). Der Rat von Chefarzt Frank Volkert (Klinik für Urologie und Kinderurologie) und/oder von Fachärztin Steffi Bergmann kann mittwochs von 13 bis 15 Uhr eingeholt werden (telefonische Anmeldung unter 03491/50 33 00). Gemeinsam mit dem Oberarzt Daniel Küpper bietet Martin Stockmann, Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, im neu eröffneten Zentrum die proktologische Inkontinenzsprechstunde an - und zwar mittwochs zwischen 13.30 und 15 Uhr (Anmeldungen unter der Rufnummer 03491/50 27 52).
Bei www.pgdiakonie.de gibt es Infos zum Krankenhaus im Netz.
Verheißungsvoll wirkt auch, was die im Zentrum vereinten Experten über moderne Diagnostik sowie Möglichkeiten der Therapie in ihren Vorträgen mitteilen. Es geht zudem um Begriffsklärungen etwa im Blick auf die Ursachen, zu denen beim Mann beispielsweise neurogene Funktionsstörungen in Folge von Prostata-Operationen gehören können. Als Gastredner ist aus Berlin Jörg Neymeyer angereist, der Oberarzt in der Charite sei das, was er, Gastgeber Martin Voss, gerne wäre: sowohl Urologe als auch Gynäkologe.
Neymeyer stellt in einem Parforceritt zeitgemäße Operationstechniken und neue Materialien vor, und er definiert (zumindest im Zusammenhang mit bestimmten Befunden und Behandlungen) das Alter neu - wenn er von „alten Frauen“ spricht, dann meint er jene ab 90. Bis 75 (!) sei man jung.
Es liegt eben alles im Auge des Betrachters. Unstrittig ist (auch für Laien), dass es sich bei Blasenschwäche, Inkontinenz und Senkungsbeschwerden des Beckenbodens um komplexe Probleme handelt, auf die nach Auffassung von Voss interdisziplinär reagiert werden muss.
Voss ist Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Stift. Erste Überlegungen, ein Kontinenz- und Beckenbodenzentrum zu gründen, habe es bereits bei seinem Amtsantritt vor drei Jahren gegeben. Dass es sich hinzog, habe u. a. daran gelegen, dass man im Hinblick auf die anstehenden Aufgaben erst zertifiziert werden musste.
Was sie nun anbieten wollen, sei die gebündelte Expertise der verschiedenen Fachrichtungen, dazu gehören auch die Radiologie und die Physiotherapie. „Den Physiotherapeuten gebührt eine ganz wichtige Rolle“, so Voss, der zudem betont, dass die Zeiten, da „große Experten“ allein Entscheidungen trafen, lange vorbei seien. Nach seinem Selbstverständnis „sind Ärzte auch Kommunikatoren“. Die Patienten wird’s freuen. (mz)