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Natur Natur: Wildes Leben rund um Serno

Von Ilka Hillger 22.02.2016, 07:34
Fünf Wolfswelpen konnte Heiko Anders im Frühjahr 2014 kurz hinter der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt fotografieren.
Fünf Wolfswelpen konnte Heiko Anders im Frühjahr 2014 kurz hinter der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt fotografieren. Archiv/Heiko Anders

Serno - Er darf bleiben, aber bitte in Maßen. Die Willkommenskultur für den Wolf ist verhalten. Das kristallisierte sich am Ende eines Abends im Sernoer Dorfgemeinschaftshaus heraus, zu dem der Heimat- und Traditionsverein des Ortes eingeladen hatte. Dabei legte der Verein großen Wert darauf, die breite Palette der von der Wiederansiedlung des Wolfes Betroffenen auf dem Podium abzubilden. Förster, Jäger, Landwirt und Fachmann vom Landesamt für Umweltschutz waren ebenso vertreten wie mit Heiko Anders ein Naturfotograf und bekennender Wolfsbefürworter. Dazu gut 170 Zuhörer im Saal, die mit dem Rudel Göritz-Klepzig in direkter Nachbarschaft zum Wolf leben.

Die erste Stunde des mit „Der Wolf im Fläming“ überschriebenen Abends gehörte Heiko Anders. In seinem Bild- und Filmvortrag „Wildes Leben 2.0“, zeigte er die aktuellsten Fotos und Videos seiner Arbeit in den Wäldern von Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg. Seit vielen Jahren verbringt der Betreiber einer Ferienanlage in Sachsen seine freie Zeit in der Natur.

Ausgerüstet mit Kamera, 600-mm-Objektiv, Camouflage-Anzug und Tarnumhang harrt er stundenlang aus, um Wildtiere – bevorzugt Wölfe – zu fotografieren. Er kennt nahezu alle Rudel der drei Bundesländer und ist mit seiner Arbeit ein Partner für die Mitarbeiter im Wolfsmonitoring geworden, das die Länder betreiben. Mit Fotografien der Göritzer und Coswiger Welpen sei ihm der Nachweis für den Nachwuchs an diesen Standorten gelungen, erzählte er und zeigte die faszinierenden Aufnahmen der jungen Wölfe dem Sernoer Publikum. Das war der erste emotionale Teil des Abends. Anders präsentierte Material und Geschichten aus der Sicht eines absoluten Befürworters der Rückkehr der Wölfe.

Seit 2008 sind in Sachsen-Anhalt Wölfe auf natürlichem Wege wieder heimisch geworden. Seitdem wird ihr Bestand durch ein intensives Monitoring des Landesamtes für Umweltschutz gemeinsam mit Kooperationspartnern überwacht. Im Landkreis Wittenberg sind die Rudel Göritz-Klepzig, Hoher Fläming, Coswig, Oranienbaumer Heide, Glücksburger Heide und Annaburger Heide aktiv. Für den Berichtszeitraum 2014/15 ließen sich in Göritz-Klepzig sieben Tiere nachweisen, es wurden keine Übergriffe auf Nutztiere verzeichnet. Über das Rudel Hoher Fläming mit dem Territorium nördlich von Jeber-Bergfrieden bis nach Brandenburg ist noch wenig bekannt. Man geht von fünf Tieren aus. Zwei Wölfe werden sicher für das nördlich von Coswig angesiedelte Rudel aufgeführt. Ein Wolfspaar ist für die Oranienbaumer Heide nachweisbar, drei Tiere leben in der Glücksburger Heide, in der Annaburger Heide sind es zehn.

Der komplette Bericht des Monitorings 2014/15 steht auf der Internetseite des Landesamtes unter http://www.lau.sachsen-anhalt.de.

Die puren Fakten lieferte im Anschluss Martin Trost, verantwortlich für den Naturschutz im Landesamt für Umweltschutz. Gerade hat seine Behörde den Bericht zum Monitoringjahr 2014/2015 vorgelegt, das im vergangenen April endete. Alle Zahlen und Erkenntnisse, gesammelt und ausgewertet von etlichen Partnern, flossen in das umfangreiche Papier ein. Es benennt für den Berichtszeitraum sieben Rudel, zwei territoriale Wolfspaare und einen territorialen Einzelwolf in Sachsen-Anhalt. Beginnend mit dem ersten sachsen-anhaltischen Wolfsrudel in Altengrabow 2008/2009 und 46 Hinweisen zeigte Trost auf, wie rasant sich seitdem die Population entwickelte. Im aktuellen Bericht werden 1 846 Hinweise benannt.

In Göritz sei der erste Nachweis 2011/12 gelungen, Welpen stellten sich ein und der Verdacht, dass nicht nur dieses eine Rudel im Fläming heimisch wurde. „Es sind drei Rudel“, so Trost. Im Hohen Fläming und in Coswig kamen Wolfspaare und später Welpen hinzu, der jüngste Nachweis sind die Welpen des Coswiger Rudels von 2015. „Das Interessante ist vor allem die geringe Entfernung der drei Rudel voneinander“, hob Martin Trost die Besonderheit dieser Ansiedlungen hervor. „Dies resultiert vor allem aus dem hohen Wildbestand“, sagte er. Und weil es den auch andernorts im Land gibt, glaubt der Fachmann: „Im Harz und in der Dübener Heide ist mit weiteren Rudeln zu rechnen, wir sind noch nicht am Ende angelangt“.

Also noch mehr Wölfe in Sachsen-Anhalt. Wie wirken sich der Ist-Zustand und die Prognose aus? Das Podium im Anschluss an die beiden Referate sollte im Dorfgemeinschaftshaus Antworten geben. Nils Schumann, Leiter des Forstreviers Göritz, konnte fast ausnahmslos Gutes berichten. „Seit der Wolf da ist, hat sich hier viel geändert“, erklärte er. Vor allem der Wildverbiss sei stark zurückgegangen. „Aus Sicht der Förster ist das ein Gewinn für die Waldbewirtschaftung“, so Schumann. Er habe in seinem 3 400 Hektar großen Revier 120 junge Baumkulturen mit Metallzäunen zu sichern. 100 Kilometer Zaun seien verbaut, ein Kilometer kostet 7 000 Euro. Mit dem Wolf lassen sich diese Kosten auf lange Sicht minimieren. Für die Jäger sprach Gerhard Paul, Vorsitzender der Jägerschaft Mittlere Elbe-Fläming. Er stellte eine maximale Wolfszahl für das Land von 90 Tieren in den Raum, die der Landesjagdverband für vertretbar hält. Eine Grundlage für diese Berechnung nannte er nicht. Meinhardt Heinrichs, dem Chef der Firmengruppe Stackelitz, dürfte die Wunschzahl der Jäger schon zu viel sein, denn er sieht Landwirte, die auf natürliche Tierhaltung setzen, in der Not „Wie viel Wolf verträgt die Region? Ich bin da eher zwiespältig“, meinte er. Trotz gefördertem Elektrozaun als Schutz gegen den Wolf überlege sein Unternehmen, die Damwildhaltung aufzugeben. „Der Wolf ist da, er geht auch nicht wieder weg. Wir müssen mit ihm umgehen und einen Konsens des Zusammenlebens finden“, sagte Heinrichs.

Abschussquoten können dies nicht sein, machten Trost und Anders klar. Dagegen spreche EU-Recht und nicht zuletzt das Verhalten der Wölfe. „Der Ökologie des Wolfes ist es völlig egal, was der Mensch will. Merzt man ein Rudel aus, übernehmen die Nachbarrudel“, mahnte Anders. Förster Schumann sprach von einer Illusion, wenn man sich heile Wälder mit hohem Wildbestand ausmale. „Das ist völlig unnatürlich und hochgezüchtet“, sagte er und kritisierte damit die Jagdstrategien früherer Jahrzehnte. Letztlich hat man mit der Duldung und Förderung des hohen Wildbestandes im Fläming dem Wolf einen überaus reich gedeckten Tisch bereitet. Dass Fehler gemacht wurden, räumte denn auch Gerhard Paul ein. Erst in den letzten Jahren habe man die Abschusszahlen erhöht.

„Der Wolf hilft nur bei der Regulierung auf ein gesundes Maß“, wusste auch Landwirt Meinhardt Heinrichs. Die Arbeit wird der Wolf den Jägern nicht wegnehmen. „Jäger wird man immer brauchen, denn es ist noch genug Schwarzwild da“, beruhigte Gerhard Paul. Das konnte manchen trösten, bei anderen blieb Skepsis. (mz)

Heiko Anders fand in Serno für seinen Vortrag „Wildes Leben 2.0“ ein großes Publikum.
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Thomas Klitzsch
Heiko Anders fand in Serno für seinen Vortrag „Wildes Leben 2.0“ ein großes Publikum.
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Thomas Klitzsch