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Lucas-Cranach-Preis Lucas-Cranach-Preis: Die Ausgezeichneten stellen sich vor

Von Irina Steinmann 30.11.2017, 10:47
Petra Schütze organisiert den Wittenberger Töpfermarkt.
Petra Schütze organisiert den Wittenberger Töpfermarkt. Thomas Klitzsch

Wittenberg - Als die MZ anruft, reicht Johann Dorschner den Hörer sofort weiter. „Da sprechen Sie mal besser mit meiner Frau“, sagt er. Und damit wird diese Geschichte wie im Vorjahr die von drei Preisträgerinnen. Wobei Johann Dorschner trotzdem nicht unterschlagen werden darf, die Dorschners bekommen den Lucas-Cranach-Preis der Stadt Wittenberg schließlich als Ehepaar. Weil sie sich seit 1968 mit Inbrunst um Igel kümmern.

Familie Dorschner: Seit 1968 Adoptivfamilie für Igel

Etwa 120 Mitglieder zählt ihr Verein der Igelfreunde, in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus. Es ist ein Verein ohne festes Domizil und deshalb, sagt Ingrid Dorschner, hätten sie sich, bei aller Freude, auch ein bisschen „gewundert“, nun derart ausgezeichnet zu werden: Zuvor hätten sie sich „ziemlich verlassen und links liegen gelassen gefühlt“, sagt die 83-Jährige, die mit ihrem drei Jahre älteren Mann über Jahre, ach was, Jahrzehnte die „Igelstation“ am Neumühlenweg betrieb.

Hunderte, nein, eher Tausende Igel wurden so über die zahllosen Winter gerettet oder weil sie verletzt oder krank waren. 2013 war dort Schluss gewesen, aus verschiedenen und auch aus Altersgründen, Frau Dorschner hat zwei Schlaganfälle überstanden.

Bis zu 80 Anrufe - pro Tag

Weshalb die Arbeit heute „weitgehend am Telefon“ stattfindet (03491/61 27 76). Rund um den Igel gibt es jede Menge zu beraten, oft mehrmals am Tag die selbe Pflege-Familie, so Ingrid Dorschner, an manchen Tagen sind es „bis zu 80 Anrufe“. Einmal im Monat, jeden ersten Dienstag, 18 Uhr, trifft sich der Verein der Igelfreunde im „Grauen Wolf“, einem Traditionsgasthof an der Wittenberger Puschkinstraße.

Und, sagen Dorschners, es sei keineswegs so, dass es nicht Neumitglieder gebe. Ingrid Dorschner berichtet etwa von einem Studenten, der nachts drei winzige mutterlose Igelchen von der Straße auflas und sie jetzt sehr vermisst - weil sie Winterschlaf halten.

Es seien in diesem Herbst wieder „sehr viele kleine Igel“ gewesen, die menschlichen Beistand brauchen, berichtet Ingrid Dorschner, die von Igeln wie von Kindern spricht und die einzelnen Tiere, wie sie versichert, selbstverständlich auseinanderhalten kann.

Dass es nicht jedermanns Sache ist, nachts alle zwei Stunden aufzustehen, um Tierbabys aufzupäppeln, kann sie verstehen, theoretisch. „Man muss Liebe dazu haben“, sagt sie. Wie jene Familie in Apollensdorf, Vereinsmitglieder auch sie, die jedes Jahr Dutzende winziger Igelchen durchbringen.

Selbst haben Ingrid und Johann Dorschner in diesem Jahr keine stachligen Gäste. Es kamen aber welche zum Fressen, als sie noch vor Kurzem auf ihrem Wochenendgrundstück wohnten - es kam übrigens auch ein Marder an den Futtertopf, so Frau Dorschner, und Waschbären, die ganze Menagerie. Sie haben niemanden weggeschickt.

Petra Schütze: Wenn Ton Flügel bekommt

„Ich glaube, da steckt Herr Winkelmann dahinter“, kommentiert Petra Schütze die Auszeichnung für sich als Initiatorin und Organisatorin des Wittenberger Töpfermarkts, der in diesem Jubiläumsjahr selbst Silberjubiläum feiern durfte. Schütze windet sich ein bisschen angesichts der Bitte um ein Interview. „Ooh, muss das sein?“, fragt sie zurück.

Sie stehe „nicht so gerne im Mittelpunkt“. Aber doch, Frau Schütze, das muss jetzt mal sein. Wenn man seit 1993 einen Markt mit heute 88 Teilnehmern organisiert, der in Mitteldeutschland (mindestens dort!) seinesgleichen sucht. Bewerbungen gibt es seit Jahren mehr als Plätze und Neue können nur aufgenommen werden, „wenn jemand abspringt“.

Ein ständiger Wechsel wäre auch gar nicht gut für den „riesengroßen Kundenkreis“, der häufig ja seinen Bestand um noch fehlende Stücke ergänzen möchte.

Es sei aber recht eigentlich gar kein Markt, sondern „eine einzige große Töpferei“, findet Petra Schütze, die zu DDR-Zeiten Technische Keramik studiert hatte und später bei einem Töpfermeister das lernte, was man in ihrer Gräfenhainichener Werkstatt und natürlich auch auf dem Wittenberger Töpfermarkt bewundern und kaufen kann.

Keramik zum Benutzen, Teller und Tassen und am liebsten in diesem leuchtenden Grün, obwohl diese Farbe ziemlich tricky sei, weil das dafür zuständige „Kupferoxid schwer in den Griff zu bekommen ist“.

Gar kein Grün ist allerdings in dem Gesamtkunstwerk erhalten, mit dem sich die am Markt beteiligten Töpfer 2017 bei der Lutherstadt bedankt haben. Sie schufen 95 Scheiben unterschiedlicher Größe in Blau, Bräunlich und hellen Tönen, die in wenigen Wochen an einer Wand im Neuen Rathaus einen Platz finden sollen - jede einzelne verziert mit einem Fisch-Motiv und angeordnet wie eine „Welle, die hineinschwappt“ - die Lutherstadt ist auch Stadt an der Elbe.

Auch 2018 wird es wieder einen Töpfermarkt geben, längst ist die Veranstaltung Ende September ein fester Termin im Veranstaltungskalender. Viel Arbeit kommt damit auch wieder auf Petra Schütze zu. Viel Arbeit? „Man bekommt fast Flügel, weil man es so gerne macht“, sagt sie, da bemerke man „die ganze Energie gar nicht, die man reinsteckt“.

Jutta Brinkmann: Kleine Stadt, große Künstler

Jutta Brinkmann erwischt die MZ am Glühweinstand des gerade eröffneten Wittenberger Weihnachtsmarktes. Nicht auf der Trinker-Seite, nein, Brinkmann schenkt ein für den guten Zweck und ihre Rotarier. Dass ehrenamtliches Engagement im Doppel- oder gar x-Pack anzutreffen ist, kommt öfter vor und es trifft eben auch auf die Vorsitzende der Stiftung Christliche Kunst zu, für letztere Tätigkeit ist sie jetzt ausgezeichnet worden.

„Ich bin eher ein stiller Arbeiter“, behauptet Brinkmann bescheiden, doch dieser stillen Arbeit verdankt Wittenberg seit 2001 das Gedeihen einer Sammlung moderner - religiöser - Kunst, die ihresgleichen sucht in einer Stadt dieser Größe. Das gilt auch für die Sonderausstellungen, jene etwa, die es im Jubiläumsjahr 2017 gab zu Barlach und Kollwitz, und jene derzeit laufende unter dem von Luthers These 44 inspirierten Titel „Denn durch die Liebe wird der Mensch besser“. Durchs Ehrenamt auch, möchte man hinzufügen.

Nach wie vor sei es so, dass sich Wittenberg-Besucher wundern über die Schätze, all die Picassos, Chagalls, Kandinskys und Baselitz’, die sie hier eben „nicht vermuten“, wie Brinkmann sagt. Andererseits bestückt die Stiftung aus ihrer Sammlung längst Ausstellungen andernorts, Anfang nächsten Jahres etwa in Ludwigshafen und ebenfalls 2018 auch in Münster, anlässlich des Westfälischen Friedens - im kommenden Jahr wird es 400 Jahre her sein, dass der Dreißigjährige Krieg Deutschland und Europa aufs Grässlichste verwüstete.

In Wittenberg selbst wird es auch 2018 wieder eine große Ausstellung der Stiftung Christliche Kunst geben. Die werde, wie Brinkmann verspricht, Erinnerungen an die erfolgreiche Schau „Luther und die Avantgarde“ wiedererwecken, an der ihre Stiftung nicht beteiligt war, die aber einen ähnlichen Ansatz verfolgte: 25 zeitgenössische dänische Künstler haben sich mit dem Thema Reformation auseinandergesetzt.

Diese Wanderausstellung unter Schirmherrschaft von Königin Margrethe II. sei Dänemarks staatlicher Beitrag für 2017 gewesen, so Brinkmann, sie wurde „noch nie in Deutschland gezeigt“ und wäre auch eher an Orten wie der Hamburger Kunsthalle zu erwarten gewesen - jetzt aber von Mai bis September in Wittenberg.

Seit gut einem halben Jahr residiert die Stiftung Christliche Kunst im südlichen Teil des Wittenberger Schlosses. Dieses Domizil ist wie berichtet als Interimslösung gedacht, bis Ende 2019. Sie würde sich aber freuen, sagt Jutta Brinkmann, wenn sie dort länger bleiben könnten. Der Standort sei besser als der frühere im Alten Rathaus. Übrigens nicht nur wegen der Abwesenheit vom Weihnachtsmarkt. Wo Jutta Brinkmann auch in diesem Jahr wieder Glühwein verkauft für den guten Rotary-Zweck.

Wohin mit dem Hund?

Vergeben wird der Lucas-Cranach-Preis der Stadt Wittenberg zum Neujahrsempfang am 5. Januar im Stadthaus. Alle Ausgezeichneten haben angekündigt, ihn persönlich entgegenzunehmen. Ingrid Dorschner hat indes noch ein kleines Problem: „Wäre das möglich, einen Hund mitzubringen?“ Die Hundedame sei schon 15 Jahre, also ruhig, eher klein. Und aus dem Tierheim. Es muss nicht immer Igel sein. (mz)

Großes Herz für Igel: Johann und Ingrid Dorschner
Großes Herz für Igel: Johann und Ingrid Dorschner
Archiv/Dix
Jutta Brinkmann in der Ausstellung
Jutta Brinkmann in der Ausstellung
Klitzsch