Lizenz zum Fleischgenuss
Wittenberg/MZ. - "Die Fleischmafia" heißt der Film, der nach einiger technischer Umschweife aber schließlich doch noch vorgeführt werden kann, und er zeigt, was nicht stimmt im System zwischen Schwein und Schnitzel: Nichtkontrollierende Kontrolleure, hemmungslos ausgebeutete osteuropäische Arbeitskraft, vor allem aber Schlachthof-Multis und Fleischgroßhändler, die sich aufreizend ahnungslos gerieren - bis der Staatsanwalt kommt und Kisten mit belastendem Papier wegschleppt, während die eigentlichen Beweise, leider, leider, nun doch schon wieder aufgegessen sind...
Kaum ein Lebensmittelskandal hat die Verbraucher so sehr verunsichert wie das so genannte Gammelfleisch, das (seit) 2005 gleich tonnenweise ruchbar wurde. ARD-Journalist Adrian Peters hat den Film gedreht, er ist Autor des gleichnamigen Buches und eigentlich sollte er auch referieren an diesem Wochenende auf der Akademie-Tagung "Fleisch - Preis - Politik", die Landwirte, konventionelle und ökologisch wirtschaftende, Verbraucher(schützer) und Politiker an einen Tisch bringt und von Studienleiter Jörg Göpfert moderiert wird. Aber Peters ist für Wittenberg verhindert, ebenso der Vertreter von "foodwatch"; letzteren hält den Angaben zufolge - ausgerechnet - ein brandaktueller Skandal in Berlin: die illegalen Fleischmehl-Exporte. So verliert die Tagung einen Referenten - und gewinnt noch mehr an Brisanz. Etwa drei Dutzend Leute sind für das Wochenende in die Akademie nach Wittenberg gekommen, um darüber zu diskutieren, wie der Verbraucher mehr Informationen bekommen kann über ein Lebensmittel, von dem er, so er nicht strikt "Bio" einkauft, so gut wie nichts weiß. Ist es also sinnvoll und ist es machbar, für Fleisch eine Kennzeichnungspflicht einzuführen, so wie es sie bereits für das Ei gibt?
Angesichts geradezu unmoralisch anmutender Supersonderschleuderangebote in Supermärkten und der Tatsache, dass der Kunde kaum ein anderes Vergleichskriterium zur Hand hat als das Geld, rechnen zwei Landwirte vor dem Publikum einmal durch, wie der Preis eines Schnitzels vom Verkauf des Mastschweines bis zum Einkauf an der Fleischtheke zustande gekommt. Sie kommen am Ende zu sehr unterschiedlichen Preisen (das Öko-Schnitzel ist mit rund 14 Euro pro Kilogramm mehr als doppelt so teuer wie das "normale" beim Schlachter um die Ecke, während das Supersonderangebot im Supermarkt schon mal für lumpige 3,99 Euro zu haben ist), schließlich ist Dr. Lothar Oberländer Öko-Landwirt und Heinz Vierenklee vertritt als Geschäftsführer den - konventionellen - Regionalbauernverband Anhalt, doch sind sich beide einig, dass auf dem Fleischmarkt mit den Preisen Schindluder getrieben wird - unter Mittäterschaft des Verbrauchers. Oberländer: "Das Problem in Deutschland ist: Lebensmittel müssen billig sein. Wer sein Fleisch beim Discounter einkauft, will, dass es so ist wie im Film." Auch Vierenklee bedauert: "Das Portemonnaie entscheidet", nicht der Wert. Er ist skeptisch, ob ein neues Gütesiegel für Fleisch etwas bringen würde, während sich Bio-Bauer Oberländer dadurch durchaus einen "Gewinn für die Landwirtschaft insgesamt" vorstellt.
Während Experten wie Jan Bahlmann von der Uni Göttingen vor überzogenen Erwartungen an eine Fleischkennzeichnung warnen - immerhin soll es in Deutschland insgesamt bereits 32 Zertifizierungsprogramme geben - gleichzeitig aber an die mittelständischen Erzeuger appellieren, eine Qualitätsoffensive gegen die bis dato allmächtigen Fleischmultis zu starten, einigte sich die große Mehrheit der Tagungsteilnehmer schließlich am Sonntag auf eine Schlusserklärung, in der ein "obligatorisches, gesetzlich geregeltes" und EU-weit gültiges Fleischkennzeichnungssystem gefordert wird. Keine Einigung wurde hinsichtlich aller möglichen Kriterien erzielt. Artgerechte Haltung - hier "Tiergerechtigkeit" genannt - aber wollen alle aus ihrem Schnitzel herauslesen können, bevor sie lustvoll hineinbeißen. Im politischen Raum hat die Debatte gerade erst begonnen.