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Klagewelle an Krankenhäusern  Klagewelle an Krankenhäusern : Kasse fordert Millionen

Von Daniel Salpius und Julius Jasper Topp 01.12.2018, 08:34
Paul-Gerhardt-Stift in Wittenberg
Paul-Gerhardt-Stift in Wittenberg Archiv/Kuhn

Wittenberg/Dessau - Die Klagewelle um Krankenhausabrechnungen hat auch das Sozialgericht Dessau-Roßlau erreicht. 97 Klagen aus dem Bereich Krankenversicherungsrecht sind allein im November bei dem Gericht eingegangen. „Sonst haben wir in diesem Bereich in Dessau durchschnittlich 26 neue Verfahren pro Monat“, sagte Thomas Harks, Sprecher des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt, auf Anfrage der MZ.

Auf Bundesebene laufen derzeit Gespräche zwischen Kassen, Bund und Krankenhäusern. Versucht wird, eine Einigung zu erzielen, die einen juristischen und verwaltungstechnischen Kollaps verhindert.

Unter Zeitdruck

Landesweit haben Krankenkassen Klagen gegen Krankenhäuser bei den Sozialgerichten eingereicht. Dabei geht es um Rückforderungen in Millionenhöhe. Die Kassen vermuten, dass die Krankenhäuser bei bestimmten Behandlungen mehr abgerechnet haben, als sie durften. Die Klageflut erklärt sich durch eine Gesetzesänderung zum Schutz der Krankenhäuser gegen Kassen-Rückforderungen, durch die ältere Forderungen ansonsten verfallen wären, und eine Entscheidung des Bundessozialgerichtes, das die Dokumentation von sogenannten Komplexbehandlung en in der geriatrischen Versorgung rückwirkend strenger fasste. Stichtag war der Tag der Gesetzesänderung am 9. November.

97 neue Verfahren seien an sich kein allzu großes Problem für das Dessauer Gericht, so Harks weiter. Die Krankenkassen hätten jedoch aufgrund des Zeitdrucks oft jeweils mehrere hundert Fälle zu Sammelklagen zusammengefasst. „Somit kommen wir in Dessau-Roßlau bislang auf 4.059 einzelne Abrechnungsstreitigkeiten.“ Und die müsse das Gericht auch einzeln klären.

Beim Sozialgericht Halle sind auf einen Schlag insgesamt 7000 Streitigkeiten anhängig. Das Sozialgericht Magdeburg hatte allein in der vorvergangenen Woche von Kassen 227 Sammelklagen angenommen.

Die AOK Sachsen-Anhalt erklärte: „Wir wollen diese Gerichtsprozesse nicht und hätten die Fälle gern in Ruhe mit den Krankenhäusern besprochen“, so Sprecher Sascha Kirmeß. „Durch eine Gesetzesänderung war eine Klage jedoch der einzige Weg, die Ansprüche im Namen unserer Versicherten geltend zu machen.“ Geklagt haben auch andere Kassen, darunter die IKK gesund plus. Ob Krankenhäuser tatsächlich mehr abgerechnet haben, als sie es hätten dürfen, wissen die Krankenkassen nicht - sie haben rein vorsorglich geklagt.

„Das ist eine erhebliche zusätzliche Belastung“, so der Sprecher. Wie man nun darauf reagiere und mit welchen Maßnahmen, müsse man noch sehen. „Wir sind dabei, die Klagen zu analysieren.“ In vielen Fällen seien die gleichen Fragen zu klären. Neben der Abrechnung von Behandlungen von Schlaganfällen gehe es besonders oft um geriatrische Behandlungen. In der vergangenen Woche schätzte Harks die Rückforderungen auf insgesamt 6,5 Millionen Euro.

Diese Klage war da noch nicht bekannt: Beim Wittenberger Paul Gerhardt Stift ist am Donnerstag eine Klageschrift der AOK Sachsen-Anhalt eingegangen, bestätigte der Geschäftsführer des Hauses, Henning Rosenberg, der MZ. Die Liste der Fälle, die die Kasse vor Gericht beanstandet, umfasse mehrere Seiten. Wahrscheinlich handele es sich um Hunderte Fälle.

Teils reichten die bis in das Jahr 2014 zurück. Man müsse nun jeden Einzelfall prüfen und dafür zunächst eine Taskforce aufstellen und an einer juristischen Verteidigung arbeiten. Insgesamt belaufe sich der Streitwert der Fälle auf 3,37 Millionen Euro. Bislang habe die Klinik nur die Klage der AOK erreicht. Ob weitere folgen, bleibe abzuwarten.

60 Prozent der behandelten Patienten seien bei der AOK versichert. Verklagt wird das Krankenhaus nun wegen jeder einzelnen geriatrischen Komplexbehandlung, die es von 2014 bis 2016 durchgeführt hat. „Das ist ein bürokratischer Wahnsinn“, sagt Rosenberg. Rund 20 Prozent dieser Fälle seien bereits vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen geprüft worden. Aus seiner Sicht versucht die ohnehin schon monetär gut aufgestellte Kasse mit der Klage weitere Gewinne zu erschließen. Er hofft, dass der Gesetzgeber einschreitet und eine Regelung findet.

Es sei nicht so, dass das Krankenhaus zu viel abgerechnet habe. Die strittigen Fälle hätten einen hohen Personal- und Dokumentationsaufwand. Man habe sich dort an die geltenden Bestimmungen gehalten, sagte er.

Die Klinik Bosse ist nach eigenen Angaben nicht von der Klagewelle betroffen. Die Komplexbehandlungen, um die es den Kassen geht, würden dort nicht angeboten, so eine Sprecherin. (mz)