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Kemberger Stadtkirche "St. Marien" Kemberger Stadtkirche "St. Marien": Wo sich Altes und Neues verbinden

Von Karina Blüthgen 26.08.2015, 09:35
Bevor der Besucher in Kembergs Stadtkirche Cranach zu sehen bekommt, sieht er an der Empore einen Bilderzyklus. Er zeigt 35 Szenen aus dem ersten Buch Mose, entstanden sind sie im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts.
Bevor der Besucher in Kembergs Stadtkirche Cranach zu sehen bekommt, sieht er an der Empore einen Bilderzyklus. Er zeigt 35 Szenen aus dem ersten Buch Mose, entstanden sind sie im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts. Baumbach Lizenz

Kemberg - Wer die Kemberger Stadtkirche „St. Marien“ betritt, fühlt sich Wittenberg ganz nah. Nicht nur, weil auch in der Lutherstadt die Stadtpfarrkirche eine Marienkirche ist, sondern wegen der vielen Kontakte. Links vom Altar des Kemberger Gotteshauses findet sich ein Sakramentshäuschen aus Sandstein, gestiftet Ende des 15. Jahrhunderts von Kurfürst Friedrich dem Weisen. Martin Luther war 14 Mal in Kemberg und hat hier auch gepredigt. Und dann ist da noch das Altarbild von Lucas Cranach dem Jüngeren, dessen Schicksal den Kembergern noch heute zu schaffen macht.

Doch bevor der Besucher Cranach zu sehen bekommt, sieht er an der Empore einen Bilderzyklus. 35 Szenen aus dem ersten Buch Moses lassen den Betrachter an der Erschaffung der Welt und des Menschen teilhaben, an der Sintflut, Jakobs Segnung und dem Traum des Pharao. Entstanden sind sie im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts, die Namen der Stifter aus Kemberg, ihre Wappen und Zunftzeichen sind unter den Bildern dargestellt. „Das ist einmalig in hiesiger Gegend“, weiß Dieter Schröter vom Gemeindekirchenrat. Wer die Bilder geschaffen hat, ist unbekannt.

Es sind Bilder wie diese, welche die zwischen 1290 und 1340 gebaute Kirche „St. Marien“ in Kemberg prägen. Alte Wandmalereien gibt es zum Beispiel. Wer im Chorraum den Blick erhebt, sieht dort den Heiligen Andreas und die Heilige Barbara. „In der Mitte ist wahrscheinlich Maria im verschlossenen Garten dargestellt“, sagt Dieter Schröter. An der südlichen Seitenwand, teilweise verdeckt von der Mitte des 16. Jahrhunderts eingebauten dreistöckigen Empore, sind weitere, etwa 100 Jahre ältere Wandbilder mit Motiven zu Leben und Passion Christi zu erahnen. An einigen wurden 2008 Konservierungsmaßnahmen durchgeführt, sie teilweise von Salzablagerungen befreit.

Moderne trifft auch 16. Jahrhundert

Die Moderne findet sich in den im Jahr 2000 hergestellten neuen Chorraumfenstern, entworfen von Günter Grohs aus Wernigerode. Und im 2002 aufgestellten Altarkreuz, gestaltet von dem Österreicher Arnulf Rainer. Dazwischen ist Cranach. Wäre Cranach, wenn nicht 1994 ein Schwelbrand den Flügelaltar fast völlig zerstört hätte. Auch er überspannte Zeiten, die Doppelflügel zeigten Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament. Einen Eindruck gewinnt der Besucher, wenn er sich die verbliebenen Teile in der ehemaligen Sakristei ansieht: klimatisiert und allen Anforderungen der Restauratoren entsprechend. Es ist jetzt „ein Besinnungsraum, kein Museum“, erklärt Schröter, was die meisten Besucher dort empfinden. Doch es gibt darin nach wie vor Einsegnungen, beispielsweise zu goldenen Hochzeiten, weil die Paare vor dem Cranach-Altar getraut wurden.

Luther hat dieses Altarbild von Cranach, weil es erst nach seinem Tod geschaffen wurde, nie sehen können. Der Flügelaltar ist 1564 in Auftrag gegeben worden, und zwar von Matthias Wanckel, dem Schwiegersohn von Bartholomäus Bernhardi. Letzterer war ab 1518 Propst in Kemberg, er und Luther kannten sich schon aus der Erfurter Studienzeit. Bernhardi heiratete 1521 die Kemberger Bürgertochter Gertraud Pannier und begründete so die evangelische Pfarrfamilie. Bemerkenswert ist, dass Bernhardi nicht, wie andere verheiratete Geistliche vor ihm, für diese Entscheidung hingerichtet wurde. 1565 wurde das Altarbild aufgestellt. Ob Cranach dafür selbst nach Kemberg gereist ist, davon fehlt jede Kunde. Möglich wäre es bei solch einem großen Auftrag über 140 Gulden schon.

Der Schmerz über den Verlust dieses einmaligen Kunstwerks ist auch bei Dieter Schröter noch spürbar. Doch das Leben geht weiter. „Wir wollen zeigen, dass wir eine lebendige Gemeinde sind, dass wir das Neue und das Alte verbinden“, blickt er nach vorn. „Wenn auch nicht ganz freiwillig.“ Die Kirche sei immer Veränderungen unterworfen gewesen, erzählt er. Mal sei die Kanzel an eine andere Stelle gerückt worden, mal der von einem Engel getragene Taufstein mit Szenen aus dem Leben Jesu. „Wir sind eine lebendige Gemeinde“, bestätigt Marianne Arnold. Die Kembergerin, Jahrgang 1940, sorgt seit Jahrzehnten dafür, dass immer frische Blumen das Gotteshaus schmücken, das eine offene Kirche ist.

Dafür braucht es mehr Leute. „Wir haben eine dünne Personaldecke“, sagt Schröter, der fast immer in der Kirche zugegen ist. Drei Kirchenwächter und zwei, die auch Führungen anbieten, sorgen im Wechsel ehrenamtlich dafür, dass Besucher - je nach Wunsch - Informationen oder einen Platz der Stille vorfinden. Zwei Stellen als Ein-Euro-Jobber seien genehmigt, aber es finde sich niemand, bedauert Schröter. Einer der Kirchenwächter würde gern, aber er bekommt die Stelle nicht. Lebendige Gemeinde bedeutet für den Gemeindekirchenrat auch, Pfarrer Nathanael Schulz von zusätzlichen Aufgaben, etwa Denkmalschutz und der Öffentlichkeitsarbeit, weitgehend zu entlasten. „Dadurch kann er sich auf die seelsorgerische Arbeit konzentrieren“, setzt Schröter Prioritäten.

Eine gute Gelegenheit sich die Kemberger Kirche im Cranach-Jahr anzusehen, bieten Veranstaltungen. Die nächste ist am 23. August, ab 17 Uhr gibt das Ensemble Broken Consort ein Cranach-Konzert mit Musik aus der Zeit des Reformationsmalers. Am 12. September kommt der Gospelchor der Schlosskirche Wittenberg. Am 3. Oktober dürfen sich Besucher auf ein Theaterprojekt freuen: „Adams Schlange“, eine Koproduktion zwischen dem Anhaltischen Theater Dessau und dem Förderkreis Theater Provinz Kosmos e.V., begleitet von der Kantorei und den Bläsern aus Kemberg. (mz)

1994 fielen große Teile des Kemberger Cranach-Altars einem Schwelbrand zum Opfer. Was erhalten blieb - hier ein Flügel, der die Taufe Jesu zeigt -, wird in der Sakristei präsentiert. Ersetzt wurde der Flügelaltar von Lucas Cranach dem Jüngeren durch ein Kreuz des Österreichers Arnulf Rainer.
1994 fielen große Teile des Kemberger Cranach-Altars einem Schwelbrand zum Opfer. Was erhalten blieb - hier ein Flügel, der die Taufe Jesu zeigt -, wird in der Sakristei präsentiert. Ersetzt wurde der Flügelaltar von Lucas Cranach dem Jüngeren durch ein Kreuz des Österreichers Arnulf Rainer.
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