«In Vino Veritas» «In Vino Veritas»: Dort hätte auch Luther gern gegessen
Wittenberg/MZ. - Und nach derben Sprüchen von der Kanzel wäre dem Reformator wohl spätestens hier die Erkenntnis gekommen: "Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang." In Vino veritas - im Wein liegt die Wahrheit!
Nichts davon muss der Besucher heutzutage dort vermissen. Gute Weine aus aller Welt liegen in einem dunkelbraunen Holzregal, das neben der Bar eine Wand des Gastraumes einnimmt. An interessanten Gesprächspartnern mangelt es übrigens auch nicht. Zuweilen stellt sich sogar auch dieser oder jener unterhaltsame Prediger ein. Überraschung - am frühen Abend jedoch, Einlass ist 17 Uhr, sind die Frauen in Überzahl. Vielleicht deshalb, weil der Wirt bei Kerzenschein ab und an die Musikanten aufspielen lässt.
Klassiker, keine Experimente
Wo das Luther-Wort von Wein, Weib und Gesang als Richtschnur dient, so der erste Eindruck, da kann in punkto Gastronomie wohl nichts schief gehen. Seit fast zehn Jahren jedenfalls behauptet sich das Restaurant am historischen Holzmarkt. Daran dürfte auch die Küche ihren Anteil haben.
Zunächst eine Kleinigkeit am Rande, wichtig für alle, die ihre Brille vergessen haben. Die Schrift der verschiedenen Karten ist auch ohne Lesehilfe zu erkennen. Dicke Wälzer - Fehlanzeige: Auf wenige Blätter passt, was den Gaumen erfreuen soll. Teil eins - es sind gerade mal zwei Suppen und drei Salate im Angebot. Echte Klassiker eben, keine Experimente. Da kann die Wahl nicht schwer fallen: Entweder die Creme aus frischen Karotten und Ingwer oder die feine Tomatensuppe mit frischen Kräutern und gehobeltem Parmesan (je 5,80 Euro). Egal, wie die Entscheidung auch ausfällt, man wird nicht enttäuscht. Für den kleinen Hunger empfiehlt sich der alpenländisch anmutende Wintersalat. Geröstete Walnüsse, diverse Früchte und warmer Ziegenkäse ergeben einen Mix, der keine Reue aufkommen lässt.
Ein harmonischer Geschmack bleibt in Erinnerung, genau so wie der umsichtige Service. Vor dem Hauptgang nimmt sich der junge Kellner für ein, zwei Minuten die Zeit, um auf Fragen neugieriger Gäste zu antworten. Das ist Altstadt-Romantik inklusive Stadtteilführer. Wie sonst würde man erfahren, dass das Gestänge vor dem Fenster ein Rest der mittelalterlichen Wasserleitung ist.
Teil zwei widmet sich den Vorspeisen. Den Anfang könnte beispielsweise ein Wachtelbrüstchen (11 Euro) machen. Kompliment an den Koch, der offenkundig etwas vom Braten versteht. Das von Natur aus zarte Fleisch ist auch auf dem Teller zart. Ob da die gebratene Leber der Brandenburger Landente mithalten kann, die auf Feldsalat nebst hausgemachten Apfel-Sellerie-Chutney ihren Platz findet? Auch das Naschen zu zweit kommt auf die Vormerkliste für den nächsten Besuch im "In Vino Veritas". Wer das Ensemble (19 Euro) aus Oliven, Tomaten, Spargel, Artischocken, Pilzen, Peperoni, Serrano-Schinken, französischer Salami und Käse ausprobieren will, muss dafür Zeit mitbringen.
Ein großes Kapitel für sich: der passende Wein. Bei 100 Sorten ist es auch für den Liebhaber keine Schande, um sachkundige Beratung zu bitten. Dieser Wunsch wird prompt erfüllt. Man muss sich nur zu zügeln wissen. Denn die Verführung ist groß. Sonst endet die Offerte womöglich in einer grandiosen Weinreise über mehrere Kontinente - gewiss ein Abenteuer, aber auch nicht ganz ungefährlich für Ungeübte.
Wahrscheinlich würde die Verkostung mit einem Pinot Grigio (Schoppen 5,90 Euro) beginnen, den nicht nur ein Kanzlerkandidat beschwört, sondern in Wittenberg auch diese, aber auch jene schöne Tischnachbarin gerne trinkt. Die Marke Andrea di Pec stimmt fröhlich und unbeschwert, denn dieser Wein besticht durch ungewöhnlich fruchtigen Geruch und ein frisches Aroma, das unaufdringliche Anklänge von Limonen in sich trägt. Die strohgelbe Farbe des Weins wiederum bildet einen hübschen Gegensatz zum dunklen Rot der Dekoration. Blumig der Santa Cristina aus Umbrien. Nach Mandeln und Birnen entfalten sich die Sinne, wenn sich der Firriato aus Sizilien im Glas spiegelt.
Beim Rotwein ist sicher ein geografischer Wechsel nicht verkehrt, etwa auf die andere Seite des Mittelmeeres, nach Spanien. 24 Monate in Eichenholzfässern und mehr als fünf Jahre in der Flasche gelagert, so kommt der Baron de Ley aus dem Rioja-Traditionsweingebiet daher. 90 Prozent Tempranillo, der Rest Sauvignon-Trauben und einen Spitzen-Kellermeister, das führt geradezu zur Gran Reserva.
Ja, so eine Flasche bitte - aromatisch intensiv, aber weich im Abgang. Kurzum empfehlenswert. Erst recht, wenn dazu jetzt der Teil 3 auf den Teller kommt: als Hauptgang ein schönes Stück Ruppiner Bio-Lamm (18,50 Euro), nachweislich nicht aus der industriellen Tierhaltung. Das auf den Punkt gegrillte Fleisch, das den Lammgeschmack nur ganz dezent vermittelt, schont Zähne und Kau-Muskeln. Dazu Preiselbeeren und Parmesan im Mix, abgestimmt mit scharfen Chili-Fädchen. Diese bereiten einen Hauch feuriger Freude auf der Zunge.
Sanfte Kompositionen mit Fisch
Andere, vor allem sanfte geschmackliche Kompositionen erwarten den Gast, der Fisch bestellt. Auf alle Fälle ein Erlebnis, ob Fläminger Bachsaibling mit Kräutern und getrockneten Aprikosen, Müritz-Wels mit Pinienkernen oder Garnelen im Weißwein-Knoblauch-Sud, der sich glücklicherweise als wahrlich zurückhaltend erweist. Küssen ist danach durchaus erlaubt!
Was mancher zurecht als Mangel empfinden dürfte, ist das schmale Angebot an Vegetarischem. Zwei Gerichte - Spaghetti Sicher wie das Amen in der Kirche: Martin Luther hätte das "In Vino Veritas" in Wittenberg nicht links liegen gelassen. Schließlich steht das alte Gemäuer nur einen Katzensprung von der Stadtkirche entfernt, quasi am Heimweg. Und nach derben Sprüchen von der Kanzel wäre dem Reformator wohl spätestens hier die Erkenntnis gekommen: "Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang." In Vino veritas - im Wein liegt die Wahrheit!nach Art des Hauses oder die Schupfnudelpfanne (12,50 Euro) - wirken da etwas dürftig. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Volksweisheit, wonach aller guten Dinge drei sein sollen, an Aktualität.
Schwieriger dürfte ein Problem zu lösen sein, das sich nach den Worten von "In-Vino-Veritas"- Inhaber Jens Klyscz aus der über 100-jährigen Konstruktion des Altbaus ergibt: Der Gang zur geräumigen, zweifellos recht gut ausgestatteten Toilette ist in dem ehemaligen Fabrikgebäude eine echte Himmelsleiter. Junge Leute, die gut zu Fuß sind, werden das kaum verstehen. Aber für ältere Herrschaften dürften 22 Stufen bis zum Ziel einige zu viel sein.