Heimatkalender in Wittenberg Heimatkalender in Wittenberg: Peter Zollner erzählt von SKW-Geschichte

Wittenberg - Der Mix ist entscheidend, weiß Mario Dittrich. Der Wittenberger ist Inhaber des Drei Kastanien Verlags und gibt seit inzwischen 23 Jahren den Heimatkalender heraus. Mit Herzblut und Idealismus, das sieht man allein schon am Preis. Das Büchlein mit seinen 144 Seiten geht für sechs Euro über den Ladentisch: „Es muss für alle Bevölkerungsschichten erreichbar sein. Das ist mir wichtig.“ Oder es wird verschickt an die zahlreichen Fans außerhalb der Stadt, meist Ex-Wittenberger, die jetzt in Flensburg leben oder am Starnberger See. Dittrich packt alljährlich hundertfach kleine Päckchen.
Der Heimatkalender, den der Verleger sein „Steckenpferd“ nennt, ist längst eine Institution. Er erscheint in einer Auflage von 2000 Exemplaren und bietet sehr unterschiedliche Themen. Reformation gehört dazu, klar: „Aber auch das Volkstümliche. Sonst gibt es einen Rüffel.“ Das aktuelle Heft reicht von „Totschlägern und Hurentreibern - die Wittenberger Universität und Luthers Studenten“ (ein Text von Martin Treu) bis hin zu Erinnerungen an das Mitteldeutsche Landestheater (Ellen Lerche) oder der Geschichte: „Zwangsverpflichtet in die Sowjetunion - ein Leben zwischen Druck, Zwang und Empathie für Russland“ (Klaus-Jürgen Peuckert).
Der Stoff, sagt Mario Dittrich, geht nicht aus, obwohl das manch einer prophezeit hatte nach dem Tod des namhaften Heimatforschers Heinrich Kühne. Ganz im Gegenteil: „Ich muss immer wieder Texte ablehnen.“
Manchmal erscheinen sie auch in mehreren Teilen. Das trifft auf den Text zu, den Peter Zollner im aktuellen Heft beisteuert. Zollner, bekannt etwa als langjähriger Stadtrat der Linken und wegen seines bayerischen Dialekts, hat sich mit dem Stickstoffwerk beschäftigt, wohlgemerkt nicht mit SKW Piesteritz. Ausgangspunkt war ein Treffen alter Stickstoffwerker beim Neujahrsempfang. Da wurde beklagt, dass es zwar zahlreiche Veröffentlichungen zu dem wichtigen Wittenberger Chemiebetrieb gibt, zu wissenschaftlichen Spitzenleistungen beispielsweise: „Aber um Menschen, um die Geschäftsleitung und die Arbeiter, geht es kaum.“
Das will Zollner ändern und kann auf einen großen Fundus an Wissen zurückgreifen. Der aus München stammende Sohn eines Kommunisten, der im KZ Dachau interniert war, ist Anfang der 1960er Jahre in die DDR gekommen. Eine Woche nach dem Mauerbau begann er eine Lehre als Chemiefacharbeiter in Jena. Sein Bruder war auch schon in den Osten gegangen, hatte in Leipzig Journalismus studiert. Peter Zollner studierte in Merseburg, promovierte und kam in den 1970er Jahren zum Stickstoffwerk nach Piesteritz - als Abteilungsleiter Arbeitsökonomie bis 1990, später gehörte er zum Stickstoffwerk in Liquidation.
Seine Aufgabe war die Aufarbeitung der Archive - wovon er nun profitiert beim Verfassen einer Geschichte über die Entwicklung des Stickstoffwerks mit dem Fokus auf den sozialen Bereich und die Gewerkschaftsarbeit. Er schreibt detailliert über einstige Direktoren und Professoren ebenso wie etwa über Arbeitsbedingungen - vor dem Hintergrund der jeweiligen politischen Situation. In den Vorbemerkungen heißt es unter anderem: „In Piesteritz haben viele qualifizierte und motivierte Menschen in harten und schwierigen Zeiten, von Krieg und Kriegsvorbereitung, aber auch in guten und glücklichen Tagen gearbeitet, geforscht und gelebt.“ Teil eins bezieht sich auf die Zeit bis 1945, Teil zwei erscheint im nächsten Jahr. (mz)