Gastronomie Gastronomie Kreis Wittenberg: So schwierig ist es für die Branche Personal zu finden

Wittenberg - Die Lage ist kritisch. Das bestätigen mehrere Gastronomen aus dem Kreis Wittenberg. Viele von ihnen sind auf der Suche nach Mitarbeitern im Service und in der Küche. Nach der MZ-Veröffentlichung über den Rückzug des Pächters des Piesteritzer Hofes und der (vermutlich vorübergehenden) Schließung des Hauses wird das Thema Personalsituation in der Branche diskutiert.
Und nicht nur da - auf der MZ-Wittenberg Facebookseite haben sich zahlreiche Leser zu Wort gemeldet und unter anderem niedrige Löhne und problematische Arbeitsbedingungen dafür verantwortlich gemacht, dass es den Gastronomie-Unternehmen so schwer fällt, motivierte Mitarbeiter zu finden.
Dass sich die Situation im Jahr des Reformationsjubiläums eher verschärfen denn verbessern dürfte, fürchtet Wittenbergs Dehoga-Chef Olaf Dähne. Er habe schon von verschiedener Seite gehört, dass es schwer sei, Personal zu finden - insbesondere „Leute, die auch bereit sind zu arbeiten“. Kontakt hat Dähne bereits mit dem Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit aufgenommen, ein Treffen ist vereinbart.
Dass die Agentur für Arbeit bei Veranstaltungen in Vorbereitung des Reformationsjubiläums Wege aufgezeigt hat, um der Personalmisere zu entkommen, sagt Patrick Balschun, der Pressesprecher der Agentur für Arbeit auf Anfrage der MZ. Dass Fachkräfte fehlen, sei der Behörde bewusst. Er spricht von Minijobs, um „Stoßzeiten abzudecken“: „In Wittenberg gibt es Vermittler, die sich darum kümmern.“ Über Minijobs könnten auch Langzeitarbeitslose herangeführt werden, so Balschun. Er plädiert dafür, darum zu werben, dass sich der Ruf verbessert. Durch das Aufzeigen von Perspektiven etwa oder durch das Öffnen von Türen - um zu zeigen, „dass so ein Beruf Spaß machen kann“. Balschun wirbt außerdem bei den Unternehmen darum, Ungelernten und Migranten eine Chance zu geben. Manche Jobs in der Gastronomie seien Anlerntätigkeiten. Er verweist darauf, dass die Agentur für Arbeit über verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung verfügt: etwa Eingliederungszuschüsse oder das anteilige Finanzieren von Bildungsmaßnahmen. (mz/mac)
„Es ist tatsächlich schwierig, ausgebildetes Fachpersonal zu finden“, bestätigt Ulf Töpfer, Betriebsleiter im Brauhaus, die Aussagen seines Kollegen vom Piesteritzer Hof, Emilio Sorrentino. Der Job gehöre derzeit nicht zu den begehrten Ausbildungsberufen.
Das Unternehmen, das für den Betrieb zweier Gaststätten und des Hotels gegenwärtig knapp 50 Männer und Frauen beschäftigt, will aufstocken - nicht zuletzt mit Blick auf 2017: „Wir brauchen bestimmt noch zehn fest angestellte Mitarbeiter.“ Auch deshalb, „weil wir nicht der Meinung sind, dass Wittenberg nach 2017 einen Abbruch der Besucherzahlen erlebt“.
Konkurrenz außerhalb der Gastronomie
Die zehn Stellen zu besetzen, das wird nicht leicht. Da gibt sich Ulf Töpfer keinen Illusionen hin. Jobs werden ausgeschrieben, soziale Netzwerke bei der Suche genutzt. „Wenn hier ein Koch auf dem Markt ist, dann wird der umworben“, beschreibt der Gastronom die Situation in Wittenberg und fügt hinzu: „Es ist aber noch nicht so, dass Leute von anderen Unternehmen abgeworben werden.“
Überhaupt liege die Konkurrenz eher außerhalb der eigenen Branche. Das zumindest sagt Michael Pirl, Chef des Hotels „Zum Stein“ in Wörlitz. Soll heißen: Nicht wenige Mitarbeiter verabschieden sich aus der Gastronomie, weil sie keine Lust mehr haben auf Arbeit am Abend und an den Wochenenden. „Das ist unser Problem.“ Das bedeutet, dass der Mitarbeiterstamm, bei Pirl sind es immerhin rund 80 Leute, pfleglich behandelt werden muss: „Wir haben über die Jahre hinweg gutes Personal gewonnen und müssen sehen, dass es bei uns bleibt.“
Dass das Gehalt klar über dem Mindestlohn liegt, gehört dazu. „Wer gute Leute haben will, muss anständig zahlen.“ Bei größeren Unternehmen ist es allerdings auch einfacher, die Arbeit zu verteilen. Pirl, der einräumt, dass auch der „Stein“ Mitarbeiter sucht im Service und in der Küche, ist es am liebsten, über Ausbildung in die Zukunft zu investieren. Allerdings ist es bei Azubis wie bei Fachkräften: Sie sind rar.
Image im Gastgewerbe verbessern
Ähnlich wie im „Stein“ setzt auch die Alte Canzley in Wittenberg darauf, den Stamm an Mitarbeitern ans Haus zu binden. Zum Beispiel über das Gehalt: „Wir zahlen deutlich mehr als den Mindestlohn“, sagt Geschäftsführerin Doreen Schwarze. Das Hotel und Restaurant gegenüber der Schlosskirche, wo gerne schon mal Königinnen empfangen werden, sucht ebenfalls Personal: ein bis zwei Köche und eine Servicekraft.
Wenn es nicht gelingt, die Mitarbeiter aufzutreiben, muss 2017 womöglich der einen oder anderen Gruppe abgesagt werden, fürchtet Schwarze: „Oder wir reduzieren das Angebot auf der Speisekarte.“ Sie plädiert dafür, am Image der Gastronomie zu feilen: „Viele wollen geregelte Arbeitszeiten und sehen die Vorteile der Branche nicht.“ Welche das sind? „Unter anderem die Abwechslung. Man lernt ständig neue Menschen kennen.“
Dass das nicht so überragend gute Image in der Tat ein Problem darstellt, bestätigt ein bekannter Wittenberger Gastronom, der ungenannt bleiben möchte: „Wir müssen inzwischen weit über Mindestlohn zahlen, um überhaupt noch Leute zu finden“, berichtet er, der seit Monaten Personal sucht. Er fügt hinzu: „Wenn ich dann die Zahl der Arbeitslosen sehe, verstehe ich die Welt nicht mehr.“ Bisweilen melden sich Leute, die aber den Job nicht ernst nehmen, am Wochenende frei haben wollen und zu spät zur Arbeit kommen. „Das ist ein riesiges Dilemma.“ (mz)