Wildvögel in Sachsen-Anhalt Millionenschäden durch Saatkrähen: Bauer fordert Abschussrecht – Biologe hält dagegen
Sie plündern Äcker und verschmutzen Friedhöfe: Saatkrähen und andere Zugvögel richten in Sachsen-Anhalt große Schäden an, denn die geschützten Tiere bleiben immer länger im Land. Wie umgehen mit den Wildvögeln? Schießen oder schützen? Wie Bauern und Biologen dazu stehen.

Halle/Zeitz/MZ - Fährt Christian Oehler in den nächsten Tagen wieder raus auf sein Maisfeld, wird er einen bangen Blick auf den Acker werfen. In den kommenden Tagen und Wochen sollen seine Jungpflanzen hier bei Rehmsdorf, gut fünf Kilometer östlich von Zeitz (Burgenlandkreis), ans Tageslicht dringen. Zumindest hofft Oehler das. Denn der Landwirt ringt seit einigen Jahren mit einem zahlenmäßig überlegenen Gegner: der Saatkrähe. „Die fallen in Heerscharen über das Feld her“, sagt Oehler.
Die Vögel rupften den Mais auf der Suche nach Würmern und Insekten aus der Erde. Für den Geschäftsführer der Agricola Agrargesellschaft bedeutet das den Verlust mehrerer Hektar – und damit auch Saatgut, Dünger, Ernte und bereits gezahlte Pacht. Wehren könne er sich dagegen nicht, sagt er. „Die Krähen sind schlau.“ Und vor allem: streng geschützt.
Verscheuchen klappt nicht: Saatkrähen sind clever
Die Zugvögel sind den Bauern in Sachsen-Anhalt schon lange ein Dorn im Auge. Doch in den vergangenen Jahren habe sich das Problem zugespitzt, sagt Olaf Feuerborn, Präsident des Landesbauernverbands und CDU-Politiker. „Es ist ein sehr relevantes Problem geworden“, so Feuerborn. Denn die Saatkrähen sind durch deutsches und EU-Recht geschützt. Erschießen darf man sie im Regelfall nicht, selbst für das sogenannte Vergrämen etwa mit Knallanlagen brauchen Landwirte eine Genehmigung. Und wirkungsvoll sind solche Maßnahmen oft ohnehin nicht.
Christian Oehler jedenfalls hat schon einiges probiert. Die Tiere nisteten in den hohen Pappel eines nahen Industriegebiets. Zum Fressen kommen sie auf seine Felder. Wie zu einem großen Büffet. Um sie davon abzuhalten, hat er große Säcke aufgestellt, die im Wind flattern. Hat die Vögel selbst vom Acker gescheucht. Vergebens. Die Krähen seien cleverer als etwa Gänse, merkten schon nach kurzer Zeit, dass ihnen keine Gefahr droht, so Oehler. Dem Bauer bleibt nur eins: „Man hofft, dass es nicht einen so großen Bereich betrifft.“ Aber er beobachtet, dass die Zahl der Krähen von Jahr zu Jahr zunimmt.

Das bestätigt auch Stefan Fischer von der Vogelschutzwarte in Steckby (Anhalt-Bitterfeld) des Landesamtes für Umweltschutz. Laut dem Biologen leben derzeit rund 5.000 Brutpaare in Sachsen-Anhalt – deutlich mehr als noch vor einigen Jahren. Grund dafür seien vor allem wärmere Winter. „Sie ziehen nicht mehr so weit“, sagt Fischer. In der Umgebung von Zeitz gebe besonders viele Saatkrähen, aber auch im Altmarkreis, Stendal oder Anhalt-Bitterfeld finden sich laut Fischer Kolonien mit hunderten Brutpaaren. Dort gebe es immer wieder Konflikte wegen geplünderter Felder, Lärm in Wohngebieten oder Kot auf Friedhöfen. Denn auch der Biologe weiß um die Schläue der Federtiere. Lautes Knallen? „Irgendwann stört sie das nicht mehr. Sie sind relativ merkfähig. “
Ortswechsel – von Zeitz im Landessüden ins nördliche Stendal. Kerstin Ramminger, Geschäftsführerin des Kreisbauernverbandes, kann hier eine lange Leidensgeschichte der Landwirte erzählen. Nicht nur Krähen, auch Gänse und andere Wildvögel zögen in der Region regelmäßig „in Formation“ über die Äcker und pickten das Saatgut aus der Erde. „Es ist das teuerste Vogelfutter der Welt“, sagt Ramminger.
Bis zu 300.000 Euro Schaden pro Betrieb: Bauern fordern Abschussgenehmigung
Und auch hier hätten die Bauern schon viel versucht. Sie haben etwa Ersatzflächen mit Erbsenpflanzen angelegt, um die Vögel wegzulocken. „Wir haben hier auch Landwirte, die fahren jeden Tag mit dem Auto um den Acker.“ In der Hoffnung, die Tiere zu verscheuchen. Aber nichts habe die Vögel fernhaltenkönnen. Der Verlust an Arbeitszeit, Dünger und Saatgut summiere sich je nach Betrieb auf bis zu 300.000 Euro im Jahr, so die Geschäftsführerin. „Und es gibt keine Entschädigung.“
Sachsen-Anhalts Landwirte fordern daher nun gemeinsam mit der CDU-Landtagsfraktion wirksame Gegenmaßnahmen – und verweisen auf das Nachbarland Niedersachsen. Hier dürfen die Vögel in manchen Regionen inzwischen erschossen werden. „Während Niedersachsen handelt, fehlt im Umweltministerium Sachsen-Anhalt eine klare Strategie“, meint Bauernpräsident Feuerborn.
Wir haben die Art allein aus ethischen Gründen zu erhalten.
Stefan Fischer / Biologe
Im Umweltministerium in Magdeburg gibt man sich hingegen zurückhaltend. Man beobachte die Entwicklung, sagt Ministeriumssprecher Matthias Stoffregen auf MZ-Anfrage. Er betont aber: „Es ist nicht auszuschließen, dass Abschüsse dazu führen können, dass das Sozialgefüge gestört wird und eine verstärkte Reproduktion nach sich zieht.“ Denn: In Sachsen-Anhalt habe es nach Genehmigung bereits einige Vergrämungsmaßnahmen gegeben. „Tatsächlich haben diese aber nicht immer zum gewünschten Ergebnis geführt“, so Stoffregen.
In manchen Fällen seien die Krähen einfach umgezogen oder hätten aufgrund der Störung sogar mehr Nachkommen ausgebrütet. Es bleibe daher abzuwarten, ob sich die in anderen Bundesländern erteilten Ausnahmegenehmigungen als gerichtsfest erwiesen und wie sich „Vergrämungsabschüsse“ auf die Population tatsächlich auswirken.
Biologe warnt vor Abschussrecht für Saatkrähen
Lästige Vögel abschießen? Davor warnt derweil auch Stefan Fischer. Er fürchtet dadurch eine Gefahr für die Population in Deutschland. „Wir haben die Art allein aus ethischen Gründen zu erhalten“, meint der Biologe. Zudem erfüllten sie eine wichtige Rolle im Ökosystem, dienten etwa als Beute für die seltenen Seeadler.
Er sieht dagegen auch im Verhalten der Bauern einen Teil des Problems. Denn Gänse und Krähen suchten sich meist weite Flächen mit kleinen Pflanzen, auf denen sie unkompliziert den Boden nach Käfern, Würmern und Körnen absuchen können. Landwirte könnten ihnen solche Flächen anbieten, um sie von ihren Nutzpflanzen wegzulocken. „Aber wir haben eine sehr monotone Nutzungsstruktur auf den Äckern. Da passt so ein Stoppelfeld gar nicht mehr rein.“ Und Fischer betont: Die Tiere seien eben Teil der Natur. „Wenn man in der freien Natur arbeitet, muss man mit den Bedingungen auch klarkommen.“
Wie viel Natur verträgt unsere Kulturlandschaft? Oder umgekehrt?
Das Gespräch mit Bauern und Biologen macht deutlich: Ob Wolf, Biber oder nun die Saatkrähe – die Wildtiere sind Teil eines alten, aber längst nicht ausgehandelten Konfliktes. Wie viel Natur verträgt unsere Kulturlandschaft? Und wie viel vom Menschen genutzter Lebensraum verträgt die Natur?
Die Bauern jedenfalls wollen sich trotzt ihrer Klagen nicht als Gegner der Wildtiere sehen. Er habe nichts gegen die Krähen, sei für den Naturschutz, betont Christian Oehler aus Rehmsdorf. „Aber man muss ehrlich sein: Der Schutz ist wichtig, aber was passiert, wenn die Population groß genug ist? Den Schuh will sich niemand anziehen.“ Beim Anblick seiner Felder wünscht er sich eine Jagdgenehmigung für die Saatkrähen – wie bei manchen seiner Kollegen im Nachbarland.