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Gastbeitrag Stadtkirchenpfarrer Johannes Block Gastbeitrag Stadtkirchenpfarrer Johannes Block: Reformationstag 2018 in Wittenberg

Von Dr. Johannes Block 30.10.2018, 07:47
Stadtkirchenpfarrer Johannes Block
Stadtkirchenpfarrer Johannes Block Thomas Klitzsch

Wittenberg - Der Pfarrer an der Stadtkirche Wittenberg, Johannes Block, hat einen Rückblick auf den Reformationssommer 2017 und einen Ausblick auf den Weg der Kirche im 21. Jahrhundert verfasst, der in der Oktoberausgabe der Fachzeitschrift „Pastoraltheologie“ erscheint. An dieser Stelle gibt die MZ einen Auszug wieder zur „zahlenbasierten Information und Meinungsbildung“.

Rückblick: Der Reformationssommer in Wittenberg

Das Reformationsgedenken im 21. Jahrhundert wurde in Wittenberg auf einmalige Weise gefeiert – ohne bisheriges Vorbild. Rund eine halbe Million Menschen haben im Sommer 2017 Wittenberg besucht. Hinzu kamen circa 120000 Teilnehmer des Abschlussgottesdienstes des Deutschen Evangelischen Kirchentages Berlin-Wittenberg auf den Elbwiesen. Am Abend zuvor nahmen 20000 Personen an der Lichternacht mit Brüdern der Kommunität Taizé teil.

Als ein Publikumsmagnet erwies sich das Panorama „Luther 1517“, das im ersten Jahr (seit November 2016) 400000 Eintritte zählen konnte. Knapp 300000 Menschen erwarben ein Ticket für die „Weltausstellung Reformation“ und 86000 Menschen kamen zu den Konzerten und Kulturveranstaltungen auf der Schlosswiese vor der Kulisse der Schlosskirche. Ein weiterer Anziehungspunkt mit fast 80000 Besuchern war die Ausstellung zeitgenössischer Kunst „Luther und die Avantgarde“ im ehemaligen Gefängnis.

Johannes Block, Jahrgang 1965, ist seit 2011 Pfarrer an der Wittenberger Stadtkirche und Privatdozent für Praktische Theologie an der Universität Leipzig. Der promovierte Theologe ist auch als Buchautor in Erscheinung getreten, etwa erschien 2017 von ihm „Wittenberger Worte“.

Geprägt war der Reformationssommer von vielen jungen Menschen. 220 Volunteers – davon 40 aus dem Ausland – haben ein Jahr in Wittenberg gelebt und ihren Freiwilligendienst verrichtet. Sie waren das Rückgrat von Weltausstellung und Konficamps. In den Konficamps kamen 12000 Konfirmanden zusammen. Daneben fand das Bundeslager des Verbands Christlicher Pfadfinder mit 4300 Teilnehmern statt.

Im Kirchenkreis Wittenberg haben Gemeindepädagogen, Kirchenmusiker und Pfarrer ihre Erlebnisse und Erfahrungen im Reformationssommer bilanziert. Vor allem zwei Erfahrungen wurden hervorgehoben: die vielfältigen Begegnungsmöglichkeiten in einer gut besuchten Stadt und die öffentliche Präsenz kirchlichen Lebens im Raum der Kommune und der Kultur.

Belebte und heitere Stadt

Der Stadtraum wurde zum Festraum. Trotz vieler Rückfragen und Kritikpunkte sollte man den Wittenberger Reformationssommer vor allem als ein Fest wahrnehmen, das den Alltag transzendiert. Der letzte Maßstab eines Festes ist nicht seine äußere Vollkommenheit und Perfektion, sondern seine Zeichenhaftigkeit, die über das Alltägliche hinausweist. Quer zu den Funktionsräumen einer Stadtgesellschaft – Verwaltung, Politik, Gewerbe, Industrie, Tourismus, Gastronomie, Kirche, Kultur, Vereine – hat sich durch die Vorbereitung und Feier eines großen Jubiläums ein gewisses Wir-Gefühl ergeben. Die gemeinsam gemeisterte Herausforderung, die Welt zu Gast in einer Kleinstadt zu empfangen, zu beherbergen und zu verköstigen, verbindet die unterschiedlichen Wittenberger Funktionsräume.

Auf öffentlichen Plätzen

Morgen- und Abendgebete auf öffentlichen Plätzen oder der Torraum Spiritualität mit begehbaren Spiegelflächen haben existentielle Fragen in das allgemeine Bewusstsein gerückt. Die öffentlichen spirituellen Angebote ließen sowohl Konfessionslose als auch Kirchenmitglieder aus ihren jeweiligen Nischen und Vorurteilen herauskommen. Kirchenmitglieder gewannen eine neue Selbstverständlichkeit, sich in der Öffentlichkeit als Christen zu bekennen.

Mit Gottesdiensten, Konzerten und zahlreichen Veranstaltungen erinnern evangelische Christen in Wittenberg und Umgebung sowie auch in Anhalt zum Reformationstag an die Veröffentlichung von Martin Luthers 95 Thesen am 31. Oktober 1517 in Wittenberg (siehe dazu auch www.reformationstag.de). Die Mitteldeutsche Zeitung hat einige Angebote aus dem Programm zusammengetragen.

In Wittenberg gibt es auch in diesem Jahr von 11 bis 19 Uhr ein historisches Marktspektakel. Sowohl in der Stadt- wie auch in der Schlosskirche können wie berichtet Festgottesdienste besucht werden (10 Uhr sowie in der Schlosskirche zusätzlich 11.30 Uhr).

Zu den weiteren Offerten gehört um 12 Uhr im Malsaal der Cranach-Stiftung der Vortrag „Sagen was ist - Luthers Wortmacht gegen die Machtworte der Zeit“ von Friedrich Schorlemmer.

Zeitgleich beginnt im Cranach-Haus Markt 4 eine Kuratorenführung durch die Ausstellung „Cranachs Welt“. Um 13 und 15 Uhr kann in der Katholischen Kirche im Rahmen des 13. Wittenberger Renaissance-Musikfestivals das Konzert mit Lorenz Duftschmid „Good again“ (Tobias Hume und die Gambe) besucht werden (Programminfos siehe www.wittenberger-renaissancemusik.de).

16 Uhr bietet Stadtkirchenpfarrer Johannes Block im Bugenhagenhaus „Luther für Einsteiger. Schlaglichter aus dem Leben und Werk des Reformators“. Begleitet wird er von Michél Kautzsch am Klavier. In der Schlosskirche beginnt um 17 Uhr das große Fest der Lieder und um 18.30 Uhr startet in der Stadtkirche ein Festkonzert, dabei die Wittenberger Kantorei, Solisten und Orchester unter der Leitung von Heike Mross-Lamberti „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn vortragen.

Die Evangelische Landeskirche Anhalts ehrt traditionell am 31. Oktober zehn Ehrenamtliche aus Kirche und Diakonie in Anhalt für ihr langjähriges Engagement. Die „Anhalter Kreuze“ werden in diesem Jahr in einem Gottesdienst in der Kirche St. Nicolai Coswig verliehen, der um 14 Uhr beginnt. In einem weiteren Festgottesdienst am Reformationstag wird um 14 Uhr die Röver-Orgel in der Evangelischen Kirche Riesigk bei Wörlitz wieder in Dienst genommen.

Ein besonderes Reformationskonzert findet unter dem Titel „Kyrie und Gloria“ um 17 Uhr in der Johanniskirche Dessau statt. Bereits am Dienstag, 30. Oktober, kann in der Stadtkirche von Wittenberg um 18 Uhr der Gründungsgottesdienst vom Forum Reformation besucht werden.

Bei www.wittenberger-reformationsfest.de und www.lutherstadt-wittenberg.de sind weitere Informationen auch im Internet abrufbar.

Auch die Erfahrung, dass es bei kirchlichen Veranstaltungen konfessionell nicht gebundene (Zaun-) Gäste geben darf und geben soll, weitete den Horizont. Vor allem durch Konzerte und Kunstausstellungen wurde kirchliches Leben im Raum der Kultur hör- und sichtbar.

Ausblick: Kirche auf dem Weg

Nach dem gefeierten Jubiläum richtet sich der Blick nach vorne: Welche Impulse gehen 500 Jahre nach der Reformation von Wittenberg aus? In ausgewählten Perspektivsätzen soll vom Wittenberger Reformationssommer auf den Weg der Kirche im 21. Jahrhundert geblickt werden.

Kurze Wege

Der überschaubare Stadtraum mit kurzen Wegen und persönlichen Netzwerken trug zum Erfolg der Wittenberger Reformation bei. Eine Weltausstellung in einer Kleinstadt bot sich als ein Begegnungsraum ohne längere Distanzen an. Kirche baut sich aus kleinen Gruppen und Einheiten. Zum Weg der Kirche gehört, dass man sie „von Angesicht zu Angesicht“ erlebt.

Heimatgefühl und Identität

Die hohen Besuchszahlen in den Lutherstätten haben gezeigt, dass Menschen nach authentischen Orten der Geschichte und Tradition suchen. An Erinnerungsorten bilden sich Gedächtnis, Heimatgefühl und Identität. Zum Weg der Kirche gehört, dass man sie durch Bauwerke, an Erinnerungsorten und durch beispielhafte Figuren erlebt.

Soziologische Größe

Der Reformationssommer mit einem vielfältigen Programmangebot, mit Arbeitsmöglichkeiten für Wittenberger Bürger und mit Besucherströmen, die den Wirtschaftsstandort Wittenberg aufwerten, hat zu einem Imagewandel der Kirche in der Bürgerschaft geführt. Zum Weg der Kirche gehört, dass sie von der Mehrheit der Bevölkerung nicht als geistliche, sondern als soziologische Größe erlebt wird.

Prägende Figur

Martin Luther ist eine epochale Figur, die das kirchliche, kulturelle und nationale Bewusstsein prägt. Zugleich kommt es darauf an, Martin Luther als konfessionellen Streiter zu entmythologisieren und als ökumenischen Kirchenvater zu entdecken, der menschliche Grundfragen wie Anerkennung („Rechtfertigung“), Leistung („Ablass“), Angst („Sünde“) oder Gewissheit („Glauben“) anspricht. Zum Weg der Kirche gehören eine Emanzipation von der Figur Martin Luthers und eine breitenwirksame Hinwendung zu den von ihm aufgeworfenen Existenzfragen.

Über den Zaun schauen

Während des Reformationssommers wurden zahlreiche Veranstaltungen mit Eventcharakter angeboten. Großveranstaltungen senken die Hemmschwelle für ein kirchlich ungeübtes Publikum: Das Eintauchen in der Menge erlaubt eine Teilnahme aus der Distanz. Zum Weg der Kirche gehören Großveranstaltungen, die zwischen kirchlichen und kirchenfernen Teilnehmern Begegnungen am Rand ermöglichen – gewissermaßen über den Zaun.

(mz)