Fassaden in Wittenberg Fassaden in Wittenberg: Junge Kunst an alten Mauern

Wittenberg - Sie waren wieder da – und haben Spuren hinterlassen. Farbenfroh und fröhlich, geschichtsträchtig und höchst gegenwärtig hat eine internationale Gruppe von Künstlern im Rahmen des Urban Art Festivals Kura auch in diesem Jahr wieder zu Spraydose und Malerrolle gegriffen, um Fassaden zu gestalten und die 2013 erstmals initiierte Stadtraumgalerie um einige Werke zu erweitern.
Der Verein Wbmotion engagiert sich nach eigener Beschreibung für Produktion und Förderung künstlerischer Ausdrucksformen. Seit 2007 haben die Wittenbergerin Tina Kraatz und ihr aus Portugal stammender Partner Filipe Pinheiro verschiedene künstlerische Projekte in der Stadt angeschoben und weiterentwickelt. Zu den Förderern gehören neben der Stadt unter anderem die Landeskulturstiftung sowie die Europäische Union. Wenn im kommenden Jahr das Reformationsjubiläum gefeiert wird, blickt der Verein auf zehn Jahre Arbeit zurück und zugleich über das Jahr 2017 hinaus. Anlässlich des Jubiläums ist die Herausgabe eines Buches geplant.
Zum Abschluss der diesjährigen Aktion, organisiert vom Verein WBmotion, hatten die jungen Kreativen aus Deutschland, Spanien, Portugal, Puerto Rico und Chile am Sonnabend zu einem Fest im Innenhof des Stadthauses eingeladen. Zwischen blumengeschmückten Tischen konnten Besucher Ausstellungsreihen der eingeladenen Künstler in Augenschein nehmen, die Entstehung einzelner Werke von den „Bandits“ live verfolgen und bei Workshops selbst aktiv werden.
Bei frühsommerlich sonnigem Wetter wurde indes nicht nur den Augen, sondern auch den Ohren Futter gegeben: Zwei Konzerte von Molrockk Dilemma und Damion Davis sorgten für einen klangvollen Abschluss. Zur Freude von Nicole Krüger. Die Center-Managerin des Wittenberger Einkaufszentrums war gleich nach der Arbeit ins Stadthaus gekommen und genoss die anregende Atmosphäre. „Ich bin dankbar für solche Ereignisse in der Stadt“, bekannte die Dessauerin gut gelaunt. Natürlich lebe die Stadt von ihrer Geschichte, aber eine frische und junge Gegenwart gehöre eben auch dazu. „Das ist einfach mal was anderes.“
Während im Stadthaus schon Feierlaune herrschte, waren einige Künstler noch mit der Vollendung ihrer Werke beschäftigt. Das Duo Herakut, bestehend aus Jasmin Siddiqui alias Hera und Falk Lehmann alias Akut teilen sich das A im gemeinsamen Künstlernamen und damit die Arbeit. Zumindest im Deutschen. Im internationalen Kontext steht der Buchstabe für die Kunst (Art). Ihr Arbeitsplatz ist - um es etwas pathetisch zu formulieren – die Welt. Bevor sie nach Wittenberg kamen, haben sie in Istanbul eine Fassade bemalt, die nächste Station heißt Chicago. In der Mittelstraße zaubern sie das Porträt eines jungen Mädchens auf eine Häuserwand und packen eine Portion „Geduld und Zuversicht“ in die Textbotschaft. Das könne die Region brauchen, findet Akut.
Den Entstehungsprozess dieses und weiterer Werke konnten Passanten in den vergangenen Wochen hautnah erleben und kommentieren. Wer im öffentlichen Raum arbeite, der setze sich natürlich ganz direkt dem öffentlichen Urteil aus, so Falk Lehmann, das sei hier durchweg positiv ausgefallen. „Wir waren angenehm überrascht über das Feedback“.
Bei aller Internationalität fällt auf, dass die Künstler in der Wahl ihrer Motive und Themen bewusst Bezüge zu ihrem Arbeitsort schaffen: In der Coswiger Straße ist ein zweites Katharinenportal entstanden, eine Tür, die Räume zwischen Vergangenheit und Gegenwart öffnet und mit Hilfe einer Leiter dazu einlädt, neue, alte Wege zu beschreiten. In der Kupferstraße prangt, in zarten Lettern und in englischer Sprache die 16. These Martin Luthers: „Hölle, Fegefeuer, Himmel scheinen sich so zu unterscheiden wie Verzweiflung, Fast-Verzweiflung, Gewissheit“. Das Zitat wird freilich ironisch ergänzt mit dem Kommentar der Künstlerin - eine dieser drei sei „etwas erträglicher“. Und in der Sternstraße greift ein Wandbild die Geschichte des Wittenberger Panzerdenkmals auf – aktualisiert und ironisiert. Über dem Panzer ist Siegmar Gabriel zu sehen. Er hält ein Banner mit der Botschaft „Nie wieder Krieg“. Als zunächst nur der Panzer zu sehen war, habe es böse Kommentare gegeben, so Tina Kraatz vom Verein WBmotion. Doch nach der Fertigstellung habe sich das Bild im wahrsten Sinne des Wortes gewandelt.
Insgesamt zeigen sich Kraatz und ihr Partner Filipe Pinheiro ausgesprochen erfreut über die Vielfalt der mittlerweile mehr als 20 Werke umfassende Stadtraumgalerie. Wittenberg investiere in sein Image als Kulturstadt. „Wir hoffen, dass wir mit unserer Aktion dazu beitragen können, dieses Image zu fördern“, so Pinheiro. Zwischen Berlin und Leipzig gelegen, sei die Stadt mehr als einen Stopp wert – unter historischen wie zeitgenössischen Aspekten. (mz)