Evangelisches Predigerseminar Evangelisches Predigerseminar: Festgottesdienst in der Schlosskirche Wittenberg
Wittenberg - Mit einem Festgottesdienst in der Schlosskirche hat das Evangelische Predigerseminar Wittenberg am Freitagnachmittag sein 200-jähriges Bestehen gefeiert.
Unmittelbar im Anschluss nahm die Ausbildungseinrichtung für den Pfarrersnachwuchs von vier ostdeutschen Landeskirchen sein größtes Geschenk entgegen: den neu gebauten Südflügel des Schlosses, wo die jungen Vikare künftig wohnen werden.
„Tausend Meter können ganz schön lang sein“, hatte Gast Reiner Haseloff mit Blick auf die Distanz zwischen dem früheren Domizil Augusteum und dem neuen Standort samt Schlosskirche in seinem Grußwort augenzwinkernd geseufzt.
„Luther brauchte für den Weg 15 Minuten, wir haben vier Jahre gebraucht“, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident. Vor gut vier Jahren war das Seminar aus seinem alten Haus ausgezogen, fortan lernte man das Wort „Interim“.
Wobei die reine Bauzeit, wie Architekt Ulrich Junk später dann doch ebenso augenzwinkernd klarstellte, gerade mal zwei Jahre betragen hat; zuvor hatten lange die Archäologen das Wort, denn man baute schließlich auf einer askanischen Burg.
Christine Bourbeck, Namensgeberin des Südflügels, wurde 1894 im ostfriesischen Hage geboren, wo ein Platz nach ihr benannt ist. Die Theologin war die erste Leiterin eines Predigerseminars: Von 1952 bis 1961 leitete sie das Vikarinnenseminar am Johannesstift in Berlin-Spandau, eine der ersten Institutionen dieser Art. Bourbeck war selbst beruflich zunächst als Lehrerin gestartet, später war sie maßgeblich an der Erarbeitung des Pastorinnengesetzes von 1962 beteiligt. „Christine Bourbeck zählt zu den ,vergessenen Theologinnen’ des vergangenen Jahrhunderts“, heißt es in einer Buchvorstellung der „Theologischen Literaturzeitung“ 2003. Sie „gehört zu einer größeren Gruppe von theologisch gebildeten Frauen, deren Leben und Wirken erst im letzten Jahrzehnt der Öffentlichkeit neu bzw. erstmals zugänglich gemacht wurde. Verschiedene in Göttingen, Wuppertal, Münster und Marburg beheimatete Forschungsprojekte haben sich um die ,Sichtbarwerdung’ dieses Personenkreises bemüht“, um Bourbeck speziell die Wissenschaftlerin Heike Lipski-Melchior, aus deren Sammlung das Foto von Bourbeck im Band „Gehrock, T-Shirt und Talar“ zum 200. Geburtstag des Wittenberger Predigerseminars stammt. Lipski-Melchior veröffentlichte 2002 das Buch „Christine Bourbeck - ein Porträt“ (Ev. Verlagsanstalt Leipzig, 288 S.). Bourbeck starb 1974. Das Wittenberger Predigerseminar hat ihr am Freitag auch einen Vortrag gewidmet. (mz/irs)
Die Geschichte des Südflügels
Die Geschichte des Südflügels des Schlosses, dessen Abriss nach schweren Kriegsschäden 1813 kaum länger zurückliegt als der Beginn des Seminarbetriebs in Wittenberg, hat dem modernen Bau einen interessanten Keller beschert: Inmitten der alten Mauerreste und auf knirschendem Kiesboden, in dieser außergewöhnlichen Kapelle werden die jungen Geistlichen künftig ihre Andachten feiern - wenn sie dies nicht gerade in ihrer Ausbildungskirche tun, der Schlosskirche.
Die war am Freitag zum Festgottesdienst zwar nicht bis auf den letzten Platz besetzt, doch neben der hohen Geistlichkeit (und der „werdenden“, wie Haseloff Lacher einheimsend formulierte) spiegelte die Festgemeinschaft das Bild der gesamten beteiligten Stadtgesellschaft wider.
Einen „geschichtlich einmaligen Moment“ nannte der CDU-Ministerpräsident die Gründung des Predigerseminars 1816/1817, das die Wittenberger bekanntlich ein wenig über den Verlust ihrer Uni hinwegtröstete.
Nun stellte der Umzug dieser kirchlichen Ausbildungseinrichtung ins Schloss eine „wichtige Etappe“ dar, für - in dieser Reihenfolge - „Stadt, Land, Kirche und Gesellschaft insgesamt“.
Die Ziele, die sich die vier beteiligten Landeskirchen mit ihrem Predigerseminar gesteckt haben, sind auch heute ambitioniert: „Ein gelingendes Miteinander im Unterschiedlichen, das lernt man im Predigerseminar“, so formulierte es EKM-Landesbischöfin Ilse Junkermann in ihrer Predigt - nicht ohne damit der vielfach auf Erfolg und Leistung und auch Ausgrenzung programmierten bundesdeutschen Gesellschaft eins überzubraten.
Der Stempel „Annahme verweigert“, sagte Junkermann in einem vielleicht etwas gewagten Päckchen-Gleichnis (Päckchen=ankommende Vikare), würde im Seminar niemandem aufgedrückt.
Christine Bourbeck als Namenspatronin
Punkt 17.48 Uhr war es dann soweit: Der Auszug der Festgesellschaft aus der Schlosskirche erreichte, über den recht aufgeräumten Schlosshof hinweg, den Südflügel.
Ohne Widrigkeiten enthüllt wurde das Namensschild (siehe „Erste Leiterin eines Predigerseminars“). Und wie die drei Könige aus dem Morgenland überreichten vier Landesbischöfe ihre Geschenke fürs neue Haus: Glocke und Leuchter, Kreuz und Bibel; die Gegenstände wurden von den Vikaren schon wenig später in die Keller-Kapelle getragen.
Die beeindruckte im Übrigen auch einen nicht unbekannten Absolventen und „Studieninspektor“ des Seminars in den 1950ern, den früheren Erfurter Propst Heino Falcke. Das ganze Haus gefalle ihm.
Da ist er nicht allein. Vergessen scheint das Gemäkel an der Architektur des Baus. „Nicht schlimm“ findet ihn auf Anfrage Friedrich Schorlemmer. Immerhin. „Respektvoll zurückgenommen und doch eigenständig“, sieht Altbürgermeister Eckhard Naumann (SPD) das Versprechen erfüllt. Am Abend konnte sich die Öffentlichkeit selbst ein Bild machen. (mz)