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Einrichtung des Augustinuswerk Einrichtung des Augustinuswerk: Leben im Wittenberger Franziskushaus

Von Rainer Schultz 27.02.2014, 13:21

wittenberg/MZ - Es ist ein normaler Donnerstagvormittag im Franziskushaus.

Das Augustinuswerk wurde im November 1990 als ein ökumenisches Projekt mit 154 Mitarbeitern und Heimbewohnern gegründet. Heute sind es über 1 000. Das Augustinuswerk kümmert sich um Menschen mit Behinderung und pflegebedürftige Menschen. Es unterhält mittlerweile fünf Werkstätten (eine davon seit 2000 in Jessen) mit unterschiedlichen Bereichen, in denen rund 400 Menschen mit Behinderung beschäftigt sind. Zudem gibt es unter dem Dach des Augustinuswerkes unter anderem zwei Kindertagesstätten in Wittenberg sowie ein Altenpflegeheim in Bad Schmiedeberg.

Das Frühstück, das wie die anderen Mahlzeiten in kleinen Gruppen eingenommen wird, ist gerade vorüber, gleich trifft man sich in den einzelnen Therapieräumen. Die Bürotür öffnet sich und wie selbstverständlich wird in die Bonbonbüchse der Chefin gegriffen. „Das ist alles legitim“, meint Astrid Gaschler lächelnd.

Sie ist die Leiterin dieser Einrichtung des Augustinuswerks. Geistig behinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene haben hier im Franziskushaus ihr Domizil gefunden. Gegenwärtig sind es 71. Die älteste Bewohnerin zählt 73 Jahre. Gaschler freut sich über den Besuch der Presse. Schließlich steht man nicht jeden Tag in den Schlagzeilen. „Wir brauchen hin und wieder ein wenig Lobbyarbeit“, sagt sie rundheraus.

Körbe flechten

10 Uhr. Um Ergotherapeut Alexander Mucha haben sich sieben Hausbewohner an einem runden Tisch platziert: Es werden Körbe geflochten. Neben Peddigrohr sind Holz und Leder jene Werkstoffe, die unter seiner Anleitung verarbeitet werden. „Jeder Mensch - auch Behinderte - besitzen Fertigkeiten und diese werden hier gezielt eingesetzt“, so das Credo des jungen Mannes und man kann dieser These beim Hinschauen nur zustimmen. „Machst du ein Foto von mir? Komme ich dann auch in die Zeitung?“, fragt interessiert eine junge Frau. Simone Hoffmann, eine der Wohngruppenleiterinnen, agiert in der Kunstwerkstatt – eine Werkstatt, die ihren Namen zu Recht verdient. In ihrer Arbeitsgruppe haben sich Bewohner im Alter von 20 Jahren bis Mitte 50 versammelt. Künstlerisch gestaltete Filzprodukte entstehen, die schon mal ein Lob verdienen.

Großzügige Gestaltung

Beim Rundgang fällt immer wieder die großzügige Gestaltung des Franziskushauses auf. Da sind die individuellen Wohnbereiche, die eine Blickachse frei geben für den wunderbar gestalteten Garten mit seinen vielen Facetten, wie Klangspiele, einem Wasserbecken, aber auch den unzähligen Blumen- und Sträucherrabatten, dazu rollstuhlgerechte Wege. Vieles trägt die künstlerische Handschrift von Ulrike Kirchner.

Inmitten des Gartens steht ein schmuckes Holzhäuschen. „Das ist unser Kiosk“, verrät Astrid Gaschler. „Ein ganz wichtiger Treffpunkt.“ „Es ist schon fast wie ein tägliches Ritual dort hinzugehen“, sagt Catrin Loch, die zuständige Hauswirtschaftsteamleiterin. Der Riegel Schokolade oder die Flasche Apfelschorle werden dort gern gekauft. Schließlich ist es so etwas wie eine Übung für den Einkauf „dort draußen“. Assistiert wird Catrin Loch von der 63-jährigen Annemarie Neuendorf, einer Hausbewohnerin, die sichtlich stolz auf ihre Aufgabe ist.

Zuwendung heißt immer wieder das Zauberwort. Menschliche Wärme, die den Bewohnern hier zu Gute kommt. Sie alle wissen dies durchaus zu schätzen. Da darf man schon mal über den Kopf streicheln. Schließlich bedeutet das Franziskushaus für sie Familie, es ist ihr Zuhause. Ein Stück Privatsphäre, wie die Lieblings-CD und -DVD, aber auch das geliebte Kuscheltier in den eigenen vier Wänden darf nicht fehlen. Tagesschau und Wetter im TV werden oft gemeinsam angeschaut und bieten Gesprächsstoff.

Kommunikation mit Musik

Was aber, wenn es mit der Kommunikation nicht klappt, wenn Sprache versagt? „Über Klänge, über Musik erreichen wir die Leute immer. Musik weckt Aufmerksamkeit. Auch das Rhythmusgefühl ist bei vielen stark ausgeprägt“, weiß Astrid Gaschler aus ihrer Erfahrung zu berichten.

Aber es gibt da auch noch die Schwerstbehinderten. Physiotherapeut Thomas van Heerde versucht in seiner täglichen Arbeit bei diesen Menschen ein Stück „Restfunktionen“ und Mobilität zu erhalten und zu trainieren – ein oftmals schwieriges Unterfangen. Begeistert zeigt er sich vom „Snoezelen-Raum“.

Auf etwa 40 Quadratmetern sind im Snoezelen-Raum unterschiedliche beruhigend wirkende Elemente, wie Lichtquellen, Wasserspiele, und bequeme Sitz- und Liegemöbel angeordnet, die eine entspannte stimmungsvolle Atmosphäre schaffen – das Ganze durch leise, meditative Musikklänge untermalt. „Hier wird die Seele regeneriert“, beschreibt van Heerde euphorisch dieses Therapiemodell, das 1978 in den Niederlanden erfunden wurde.

Nordsee oder Ostsee?

Wohin geht es eigentlich dieses Jahr in den Urlaub? Eine Frage, über die der Heimbeirat befinden muss. Wie in einer guten Demokratie gehören dem Gremium auch einige der Hausbewohner an und deren Mitspracherecht hat Gewicht. Nordsee oder Ostsee lautet diesmal die spannende Entscheidung, die demnächst gefällt werden muss. Schon jetzt ist die Vorfreude groß.

Fasching wird übrigens am Samstag gefeiert – auch dies ein Höhepunkt.