1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wittenberg
  6. >
  7. Diskussion über "Judensau": Diskussion über "Judensau" an Stadtkirche Wittenberg bleibt ohne Ergebnis

EIL

Diskussion über "Judensau" Diskussion über "Judensau" an Stadtkirche Wittenberg bleibt ohne Ergebnis

Von Corinna Nitz 30.01.2017, 17:43
Kam aus England zu einem „Talk am Turm“ in der Evangelischen Akademie in Wittenberg: Richard Harvey (2. v. l.)
Kam aus England zu einem „Talk am Turm“ in der Evangelischen Akademie in Wittenberg: Richard Harvey (2. v. l.) Thomas Klitzsch

Wittenberg - Eigentlich wollte er gar nichts sagen, erklärt Johannes Höhne später. Doch dann hält es den selbstständigen Handwerker und Christen aus Wittenberg nicht auf seinem Platz. „Die Judensau ist ein widerliches Spottbild und gehört abgenommen“, sagt er laut und bietet an, eine Abnahme mit 10.000 Euro zu sponsern.

Es ist Freitagabend, der 27. Januar, Holocaustgedenktag, und in der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in Wittenberg läuft der „Talk am Turm“ auf seinen Höhepunkt zu. Aufhänger ist die Gedenkkultur an der Stadtkirche im Angesicht des 1988 im Pflasterbereich auf dem Kirchplatz errichteten Mahnmals und dem aus dem 14. Jahrhundert stammenden Schandmal am Südostgiebel des Sakralbaus.

Soll Spottbild von Stadtkirche Wittenberg ab ins Museum?

Dessen Abnahme wurde in der Vergangenheit immer mal wieder gefordert, zuletzt hatte der britische Theologe Richard Harvey 2016 mit einer Online-Petition ein breites mediales Echo hervorgerufen. Harvey, messianischer Jude, sitzt am Freitag auf dem Podium, umgeben von drei Übersetzerinnen - und geladenen Experten. Das Sandsteinrelief nennt Harvey „eine antisemitische Beleidigung an meinem Volk“. Von seinem Wunsch, es abzunehmen und an einem anderen Ort in einem historischen Kontext erklärend zu präsentieren, rückt er nicht ab.

Fast zweieinhalb Stunden diskutierten am Freitagabend Podiumsteilnehmer und Besucher der Gesprächsreihe „Talk am Turm“ in der Evangelischen Akademie in Wittenberg über die „Judenverspottung“ an der Stadtkirche sowie eine „Zwischenbilanz zur Gedenkkultur an der Stätte der Mahnung“, an der wie berichtet ebenfalls an diesem 27. Januar der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wurde. Johannes Block, Pfarrer an der Stadtkirche und Kooperationspartner beim „Talk“, betonte: „Im Jahr des Reformationsjubiläums zeigt diese Veranstaltung, dass Wittenberg sich auch den dunklen Seiten der Reformation stellt.“

Das Schlusswort in der Akademie hatte Wittenbergs Bürgermeister Jochen Kirchner (parteilos): Er sei „persönlich stark betroffen beim Anblick der Schmähplastik“, dennoch sei er dafür, dass sie bleibt, das Mahnmal dito. „Aber wir müssen das weiterentwickeln und Schülern das Thema nahe bringen“, betonte er.

An die intensive Auseinandersetzung mit dem schwierigen Erbe an der Stadtkirche hatte der einstige Vorsitzende des Gemeindekirchenrats Friedemann Ehrig in seinen einführenden Worten erinnert. Die Beschäftigung mit dem Schandmal und mit der Frage, was ihm entgegengesetzt werden könnte, führte 1988 zu dem von dem Bildhauer Wieland Schmiedel geschaffenen bronzenen Mahnmal auf dem Kirchplatz (die MZ berichtete mehrfach). Damals habe man auch den Rat des Vertreters einer jüdischen Gemeinde eingeholt, dieser habe unter Hinweis auf das mittelalterliche Spottbild am Südostgiebel der Stadtkirche gesagt: „Das Relief sei heute allein unser Problem“, so Ehrig. (mz/cni)

Doch steht er damit nicht allein, einige der zahlreich erschienenen Besucher teilen seine Auffassung. Ein Pfarrer etwa, der aus Leipzig angereist ist, betont: „Nach Auschwitz ist der Verbleib der Judensau an einer Kirche undenkbar.“ Er zitiert das Grundgesetz, Artikel eins, die Würde des Menschen ist unantastbar. Gilt das auch für Juden?, fragt (wohl mehr rhetorisch) der Theologe, der sich an seinen Talar einen gelben Stern geheftet hat und weiter erklärt: „Die Welt schaut 2017 nach Wittenberg. Das Luther-Jubiläum verdient einen mutigen Schritt.“

Wie der aussehen könnte, auch dazu gibt es an diesem Abend konkrete Vorschläge, einer lautet: Bringt das Sandsteinrelief ins Museum und erklärt es. Dass man nicht alles ins Lutherhaus geben könnte, findet der Vorsitzende des Gemeindekirchenrates (GKR) der Stadtkirche, Jörg Bielig, der zudem Sätze sagt wie diesen: „Glauben Sie, dass irgendjemand auf die Idee käme, Auschwitz abzubauen?“

GKR-Mitglied Christiane Hennen hat es so formuliert: Wenn Dinge, „die andere unerträglich finden“, abgenommen werden sollten, „dann müssten wir auch das Epitaph ,Weinberg des Herrn’ entfernen“. Das Cranach-Werk in der Stadtkirche ist bekanntlich eine Polemik gegen das Papsttum, respektive gegen die Katholiken und jedenfalls weit entfernt von einem ökumenischen Bild. Kunsthistorikerin Hennen erklärt ansonsten, dass der Gemeindekirchenrat zwar „nicht absolut homogen“ sei, aber „einer Meinung“ wenn es um den Verbleib der Schmähplastik an der Außenfassade der Kirche „auch in Kombination mit dem Mahnmal“ geht.

Allerdings „muss es noch mehr kommuniziert werden“. Hennen zufolge sei ein Schild in Arbeit, auf dem erklärt werde, „dass Luther gemeint ist als Bekämpfer der Juden“. Aufgestellt werden solle das Schild neben dem Mahnmal. Zudem „sollte eine noch ausführlichere Publikation in Angriff genommen werden“. Bislang gibt es einen Flyer, den die Gemeinde herausgegeben hat und dessen Inhalt sich mit den Informationen auf der Website der Kirche deckt.

Unwidersprochen bleiben an diesem Abend Meinungsäußerungen aus dem Publikum von Seiten des Podiums nicht. Ulrich Hentschel, Pfarrer i. R. und ehemaliger Studienleiter für Erinnerungskultur an der Akademie der Nordkirche, sagt: Anders als Juden sind Katholiken keinem geplanten Massenmord ausgesetzt gewesen.

Marcus Funck, der einige Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung „Topografie des Terrors“ war und am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin tätig ist, stört der „Alleinvertretungsanspruch einzelner“: „So findet man keine gemeinsame Lösung, wo doch ein gemeinsames Interesse besteht“. Im Übrigens „ist Erinnerungsarbeit ein ständiger Prozess“. Was sie nie war? „Konfliktfrei.“

Das dürfte auch der denkmalpflegerische Umgang mit dem Spottbild an der zum Unesco-Weltkulturerbe gehörenden Kirche nicht sein, über das Landeskonservatorin Ulrike Wendland vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt sagt: „Wir sollten ein Bild, das 700 Jahre alt ist, nicht eins zu eins lesen.“

Ist Debatte um Spottbild „Judensau“ in Gang gesetzt?

Soweit, so gut. Und nun? Was tun mit den Optionen, die am Ende des Abends im Raum stehen? Ein Abend, über den Stadtkirchenpfarrer und Kooperationspartner Johannes Block sagt, er solle dem Meinungsaustausch und der Meinungsbildung dienen. Dass alles „völlig ergebnisoffen“ war, betont später Alf Christophersen gegenüber der MZ.

Locker und doch mit dem gebotenen Ernst, vor allem diplomatisch hat der stellvertretende Akademiedirektor und Studienleiter die Veranstaltung moderiert. Es sei eine Debatte in Gang gesetzt worden, sagt er, nun müsse man abwarten.

Um an dieser Stelle auch noch einmal auf Johannes Höhne zurückzukommen: Der bekräftigt am Wochenende auf Nachfrage sein Angebot, eine Abnahme des Sandsteinreliefs finanziell zu unterstützen.

Die Judenverspottung sei für ihn als gläubigen Menschen auch eine „Gottesbeleidigung“. Höhne kann sich ein „Event“ vorstellen, zu dem auch Vertreter des Judentums eingeladen werden sollten und bei dem das Relief abgenommen sowie anschließend ins Lutherhaus gebracht wird. (mz)