Da kommt was auf uns zu
Wittenberg/MZ. - Die "schnuckeligen Tierchen" sind schließlich "in ausreichender Anzahl" vorhanden in der Elbe. Lehnert möchte das nicht kritisieren. "Wir wissen, wo wir wohnen", sagt er. "Die Wollhandkrabbe gehört dazu." Und er geht noch einen Schritt weiter. Auch diese Tiere "tun, auf ihre Art, etwas Gutes". Man muss das Ökosystem als Ganzes betrachten.
Wahrscheinlich wäre Ulf Lehnert ein bisschen weniger nachsichtig mit der Wollhandkrabbe, ginge er der Fischerei gewerblich nach. Eingewandert vor etwa 100 Jahren an Bord von Ozeandampfern aus dem Reich der Mitte hatte sich die Krabbe in Deutschland bekanntlich schon bald einen sehr schlechten Leumund erworben: Sie bediente sich ohne zu fragen aus den Reusen der Fischer; mit ihren Scherenhänden schnitt sie sich die Körbe einfach auf.
Jörg Flemmig, Berufsfischer in Priesitz, jedenfalls hat schon vor einiger Zeit vorgesorgt, indem er seine Reusen durch solche aus stabilerem, wenn man so will: Krabben-resistenten Material ersetzt hat. Dass er sich in seiner Arbeit nicht durch das Getier behindert fühlt, hat auch damit zu tun, dass es in hiesigen Breiten derzeit "nicht so massiv" auftritt. "Das schwankt über die Jahre", so Flemmigs Erfahrung.
Seitdem es mit der Wasserqualität der Elbe nach der Wende wieder ordentlich bergauf gegangen ist, erfreut sich das zwischenzeitlich dezimierte Neozoon allgemein wieder bester Gesundheit. Zwar zählt im Landkreis Wittenberg niemand die Population - obwohl das theoretisch vielleicht durchaus möglich wäre - andererseits gibt es auch keine Gründe dafür, dass es hier nun grundlegend anders sein sollte als anderswo in der Elbe oder in der Havel. "Die Tendenz ist - vielleicht - steigend", vermutet auch Ulf Lehnert, und er angelt immerhin seit 37(!) Jahren und ist zudem der Vorsitzender des Kreisanglerverbandes. "In den asiatischen Ländern soll die Wollhandkrabbe ja eine Delikatesse sein...", sinniert der Angler, er selbst kenne aber keinen, der die fremde Krabbe hier schon mal gekostet hat. Dass Lehnert die Wollhandkrabbe allenfalls zum Gaudium seiner kleinen Töchter mal an der Angel hat ("Für die Kinder ist das recht interessant") und umgehend zurück ins Wasser expediert, hat allerdings auch damit zu tun, dass er aus Prinzip nichts von dem isst, was er aus der Elbe holt. Zu präsent sind wohl noch die stinkenden Schaumkronen.
"Vielleicht", überlegt der Wittenberger Ulf Lehnert gleichwohl mit Blick auf verschiedene Geschmäcker, "entwickelt sich auch hierzulande noch ein Markt" für die Wollhandkrabbe, wie er in Medienberichten etwa bereits aus Hamburg und aus dem Brandenburgischen vermeldet wird. An der Wasserqualität sollte es ja bald nicht mehr liegen. Zwar dürfen Fische aus der Elbe nach wie vor nicht vermarktet werden, die - maximal - empfohlene Verzehrmenge für den Hausgebrauch nimmt indes stetig zu und liegt laut Lehnert mittlerweile bei zwei Kilogramm pro Monat.
Auch Berufsfischer Jörg Flemmig in Priesitz verkauft keine Fische aus der Elbe, sondern aus seinen Gewässern. Dem Fluss entnimmt er lediglich die Satzfische, was seine Kontakte zur Wollhandkrabbe naturgemäß ein bisschen einschränkt. Allerdings sei auch er schon mehrfach von asiatischen Gourmets angesprochen worden, ob er Krabben liefern könne. Könnte er. Theoretisch. Wenn es konstant genug davon gäbe. So gesehen, findet Jörg Flemmig, "könnten es ruhig ein paar mehr sein". Aus Fischermanns Feind wird Fischermanns Brot.