Biosphärenreservat Mittelelbe Biosphärenreservat Mittelelbe: Erfolgsgeschichte in Grün

Oranienbaum - Von einem kleinen Gebiet zu einem länderübergreifenden Areal hat sich in den letzten vier Jahrzehnten das Biosphärenreservat Mittelelbe entwickelt. Im November 1979 wurde es als Unesco-Weltnaturerbe anerkannt. Über das Jubiläumsjahr, die Dürrejahre, jüngste Abholzungen im Gartenreich und die Entwicklung der Elbe sprach Ilka Hillger mit Guido Puhlmann, Leiter des Biosphärenreservates.
Überrascht Sie die Erfolgsgeschichte des Biosphärenreservates?
Guido Puhlmann: Tatsächlich kenne ich solch eine Genese eigentlich sonst nicht. Es gibt kein anderes Biosphärenreservat, das so systematisch und mit so vielen Entwicklungsschritten gewachsen ist, vor allem nicht in zwei verschiedenen Staaten. Die DDR gibt es nicht mehr, aber das Schutzgebiet. Die Idee ist auch über die Wende getragen worden. Insofern sind die 40 Jahre auch ein Werk von Generationen von Menschen, nicht nur in der Verwaltung, denn das Biosphärenreservat wird immer auch in der Region gelebt. Das ist eigentlich das Schöne und man kann optimistisch sein, dass die nächsten Generationen die Möglichkeiten nutzen, die dieses Unesco-Programm bietet.
Wie behält man bei der schieren Größe den Überblick?
Das ist nie leicht. Über fünf Bundesländer betreuen wir mehr als 400 Flusskilometer der Elbe, 300 davon sind hier in Sachsen-Anhalt. Das ist schon gewaltig und es kommen auch noch die Nebenflüsse hinzu. Wir sind in drei Landes- und Tourismusregionen unterwegs, haben kreisfreie Städte, viele Landkreise und die Landeshauptstadt im Boot. Allein die Vielfalt an Personen und Institutionen, mit denen man zusammenarbeiten muss, ist enorm. Das macht es interessant, aber die Gefahr, den Überblick zu verlieren, gibt es auch.
Können Sie an einem Tag das Biosphärenreservat bereisen?
Das wird knapp. Bei einem unserer größeren Projekte kurz vor Niedersachsen sitze ich sieben Stunden im Auto für einen zweistündigen Termin. Aber wir haben auch Außenstellen, in denen Kollegen vor Ort tätig sind. Ein Biosphärenreservat ist eine Vor-Ort-Geschichte. Gerade bei allen Fragen zum Fluss müssen wir direkt mit den Zuständigen in der Region im engen Kontakt sein.
Ist der Elbe-Ausbau nach diesen trockenen Jahren überhaupt noch ein Thema?
Das ganze Verhältnis Schifffahrt, Umwelt, Wirtschaft ist gelöst worden, als von 2013 bis 2017 das Gesamtkonzept Elbe erarbeitet wurde, das Bund und Länder beschlossen haben. Ich habe dabei die Naturschutzinteressen für alle Länder koordiniert und bearbeitet. Jetzt gibt es mit der Bund-Länder-Kommission eine Struktur, die dieses Konzept umsetzen soll. Damit ist ziemlich klar, wie wirtschaftliche und ökologische Interessen an der Elbe überein gehen können. Das ist gut definiert und muss jetzt gelebt und umgesetzt werden.
Wie gehen die verschiedenen Interessen überein?
Indem man vor Ort zu den bestimmten Fragen Lösungen findet. Dabei gibt es das Hauptthema Sohlerosion. Seit dem Elbausbau Ende des 19. Jahrhunderts tieft sich die Elbe stärker ein, als sie es natürlicherweise machen würde. In 100 Jahren ist das ein Meter und mit diesem sinkt auch der Grundwasserspiegel der Region. Nach 1990 ist dieses Problem auch öffentlich bekannter geworden, sechs Jahre später gab es dazu eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Aufstellung eines neuen Sohlstabilisierungskonzeptes, das 2009 beschlossen wurde und seitdem umgesetzt wird. In dieser Arbeitsgruppe vertreten wir als Biosphärenreservat das Land. Trockenjahre wie derzeit, aber auch Hochwasser sind für mich Erkenntnisfenster. Jeder, der hier lebt, bekommt mit, dass ein Problem besteht. Hochwasserschutz ist für uns wichtig, wir müssen aber auch genauso dafür zu sorgen, dass wir möglichst viel Wasser zurückhalten. Also Wasser halten, wenn es da ist, für die Zeit, wenn es nicht da ist. Das ist das, was jetzt ansteht. Leider sind unsere Graben- systeme so angelegt, Wasser möglichst schnell abzuführen, und das wirkt natürlich auch in Trockenheitsphasen. Da müssen wir sicher einiges intelligenter machen. Jetzt weiß das jeder, das sehe ich als Chance an.
Ein Winterhochwasser käme Ihnen gelegen?
Unbedingt. Wir hatten seit 2013 kein Hochwasser mehr. Ich würde mir wünschen, dass die Aue mal wieder komplett nass ist. Trotz dieser Situation ist es aber schön, dass wir mit dem Pilotprojekt Klöden als Modell gegen die Sohlerosion so weit sind, dass an die Realisierung zu denken ist. Als Land bringen wir für die Bereiche außerhalb des Flusses ein Naturschutzgroßprojekt auf den Weg, bei dem die Heinz-Sielmann-Stiftung Träger ist. Wir haben einen Antrag über 36 Millionen Euro gestellt mit einer Laufzeit von zehn Jahren und haben auch gute Aussichten, dass das 2020 genehmigt wird. 2022 werden wir dann dort ins praktische Arbeiten kommen. Das sind natürlich lange Zeiträume, aber es sind auch große Geschichten.
Wie sehen die Veränderungen dort aus?
Im Fluss werden die Buhnen kürzer und niedriger. Es wird eine Uferabgrabung geben - alles immer mit dem Ziel, die Energie, die der Fluss hat, von der Sohle wegzunehmen. Als Land wollen wir auch Altarme anschließen, damit Wasser möglichst früh aus dem Fluss rausgeleitet wird.
Haben die Dürrejahre bei Verhandlungspartnern ein Umdenken bewirkt?
Viele denken bewusster. Es gibt aber für diese Sachen leider keine einfachen und eindimensionalen Lösungen. Vieles ist nicht so einfach, wie es scheint. Gut ist, dass Politik und Gesellschaft das Thema aufgenommen haben, damit kommen dann auch die Beschlüsse und die entsprechenden Gelder in den Haushalten. Heute muss man beispielsweise niemanden mehr überzeugen, dass Deichrückverlegungen notwendig sind. Das war vor 20 Jahren noch ganz anders. Wichtig ist, dass man die Dinge angeht, und da sind wir gerade hier im Gartenreich mit dabei.
Wie wirken sich im Gartenreich die beiden Dürrejahre aus?
Über die endgültigen Auswirkungen, auch in der Tierwelt, können wir noch nicht viel sagen. Wir haben beobachtet, dass an den Krötenzäunen nur ein Bruchteil der Tiere wie in den Vorjahren war. Die Trockenheit hat den Bestand bei Kröten und Lurchen stark dezimiert. Eigentlich kommt die Natur mit beidem klar, mit Hochwasser und mit Trockenheit, aber für einzelne Arten kann es trotzdem problematisch werden.
Bäume zum Beispiel. Waren Sie im Vorfeld der jüngsten Abholzungen durch die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz einbezogen?
Wir wurden erst zu einem späteren Zeitpunkt hinzugezogen. Generell ist man ja deutschlandweit nicht ganz sicher, wie man mit der aktuellen Situation im Wald umgehen soll. Hier im Auenwald sind schon vor etlichen Jahren die Ulmen eingegangen, dann kam das Eschentriebsterben. Die Eiche ist die dritte Hauptsorte und steht nun auch vor Problemen. Das ist schon eine Zäsur.
Holt man kranke Bäume nun aus dem Wald oder lässt man sie drin?
Europaweit sind wir das Gebiet mit den meisten Spechten. Das lieg an dem Wald, wie man ihn hier vorfindet. Zwischen Wittenberg und Magdeburg stehen 80 Prozent der deutschen Hartholzwälder. Da haben wir eine besondere Verantwortung. In der Kernzone werden die Wälder nicht bewirtschaftet, Bäume bleiben also liegen. Im Moment ist das unkritisch. Außerhalb der Kernzonen haben wir natürlich auch ein Interesse daran, dass eine vorbildliche Forstwirtschaft passiert, im Sinne nachhaltiger Forstwirtschaft. Das beinhaltet auch, die Lebensräume für Käferarten und Spechte zu erhalten. Wir brauchen dafür viele Bäume unterschiedlicher Altersklassen und die Solitäreichen stehen ohnehin außer Diskussion.
Wie sind Sie bei den künftigen Forstarbeiten der Kulturstiftung eingebunden?
Es werden alle kranken Bäume angeschaut, da beteiligen wir uns mit. Unser Credo ist, so wenig wie möglich zu fällen, nur da, wo es um Verkehrssicherung geht oder wo Bäume die Quelle für einen großflächigen Schädlingsbefall sein könnten. Ich begrüße sehr, dass die Stiftung im Frühjahr eine neue Forststrategie angeschoben hat, die Anfang 2020 vorliegen soll. Da arbeiten wir auch fachlich zu und bringen unsere Argumente ein. Mit der Strategie gibt es eine neue Forsteinrichtung, also ein Programm, das sagt, was in den nächsten zehn Jahren auf den Flächen passieren soll. Deshalb ist es auch eine gute Entscheidung, in diesem Winter nur noch das zu machen, was notwendig ist. Ich denke, wir können hier beides: Lebensräume und den Hartholzbestand erhalten, aber mit dem Wald auch Einnahmen erzielen, die die Stiftung braucht.
Hat Sie die empörte Reaktion der Öffentlichkeit überrascht?
Eigentlich nicht, die Arbeiten fanden in einem der schönsten Waldstücke statt, zwischen Jagdbrücke und Leiner Berg. Da sind viele Leute unterwegs. Ich finde es grundsätzlich positiv, wenn die Menschen bewegt, was in und mit der Landschaft passiert. Alle, die da tätig sind, müssen damit umgehen und sich erklären, warum man was so oder so macht.
(mz)