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Weißenfels Weißenfels: Streifzug durch die Geschichte

Von CORNELIA FUHRMANN 13.09.2010, 17:55

WEISSENFELS/MZ. - Im Jahr 1933 verließ Alfred Scheyer zusammen mit seiner Mutter und Großmutter Weißenfels und Deutschland. Scheyers waren Juden und als solche im damaligen Deutschen Reich nicht willkommen. Gerade einmal 19 Jahre alt war der Junge gewesen, als er Richtung Palästina aufbrach. "Mein Vater und meine Großmutter Franziska haben mir viel erzählt von ihrer Zeit in Weißenfels. Ich habe Fotos ihrer alten Heimat und ihres Zuhauses gesehen", erzählt Aharon Scheyer. Der 60-Jährige aus Tivon, nahe der israelischen Hafenstadt Haifa, besuchte am Wochenende zusammen mit seiner Frau Rachel (57) und seinen Kindern Tal (31), Omer (27) und Nir (22) die Saalestadt und unternahm damit eine Reise in die Vergangenheit der Familie.

Tief berührt hatte ihn vor allem der "Stolperstein", der zu Ehren seines verschollenen Verwandten Walter Scheyer vor dessen letztem Wohnsitz in der Weinbergstraße 7 verlegt wurde. "Es ist sehr aufwühlend und aufregend zugleich, hier in Weißenfels zu sein und zu sehen, wo meine Vorfahren gelebt haben", sagte Aharon Scheyer. Sein

Vater habe immer nach Weißenfels kommen wollen, doch die Mauer verhinderte dies. 1977 starb Alfred Scheyer, ohne seinen Geburtsort noch einmal gesehen zu haben.

Für die jungen Leute, die ihren Großvater nie kennengelernt haben, war es eine wichtige und bewegende Erfahrung. "Die Geschichte unserer Familie interessiert uns, auch, weil der Holocaust und die Judenvertreibung im Unterricht und im Leben in Israel allgegenwärtig sind", sagte die 31-jährige Tal, die zwei Jahre nach dem Tod des Großvaters zur Welt kam. Sie und ihre Brüder Omer und Nir, die zum ersten Mal in Deutschland waren, hatten sich zuvor das Holocaust-Denkmal in Berlin angesehen und lernten auf dem Streifzug durch Weißenfels mehr über die Herkunft ihrer Familie.

Ein Wermutstropfen war allerdings der Besuch eines Hauses in der Nordstraße, in welchem sich früher die Synagoge der jüdischen Gemeinde befunden hatte. Eine Gedenktafel am Haus, auf der auch Walter Scheyer vermerkt war, fehlte. "Wir haben sofort Anzeige bei der Polizei erstattet", sagte Enrico Kabisch vom Simon-Rau-Zentrum, der die Familie begleitete. Das zeige aber auch die Aktualität der jüdischen Problematik.

Zum Abschluss besuchte die Familie das Grab von Aharons Großvater, Martin Scheyer, auf dem jüdischen Friedhof. "Ein sehr bewegender Moment", sagte Kabisch, den es immer wieder erstaunt, wie groß das Interesse jüdischer Familien an ihrer Vergangenheit ist. "Es haben andere Familien solch ein Schicksal einfach nicht erleben müssen", vermutete er als Hintergrund.

Zustande gekommen war der Kontakt durch ein Filmprojekt von Enrico Kabisch und der Historikerin Katharina Krüger des Simon-Rau-Zentrums in Weißenfels, die auf der Suche nach Zeitzeugen und Nachfahren nach Israel gereist waren. Der mit Mitteln aus dem lokalen Aktionsbündnis finanzierte Dokumentarfilm soll Ende des Jahres fertiggestellt sein.