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Schifffahrt Schifffahrt: Käpt'n auf der Reeperbahn

Von JULIA KLABUHN 20.08.2010, 16:40

Halle/MZ. - Es ist kurz vor fünf Uhr nachmittags, als Detlef Furchheim mit seinem "Traumschiff" den Anlegeplatz erreicht. Der 56-Jährige manövriert den 20 Meter langen Kahn routiniert an den Steg. "Na, sind wir nicht pünktlich?", sagt der Kapitän nach einem Blick auf die Uhr. Pünktlich, das will Furchheim dieser Tage nicht nur wegen der Fahrgäste sein, an diesem Tag 35 Senioren aus dem thüringischen Apolda. Pünktlich will er auch sein, weil er an diesem Nachmittag noch zur Reeperbahn will. Die liegt in Weißenfels und ist Furchheims zweites Schiff. Am Sonntag soll es beim Sachsen-Anhalt-Tag getauft werden.

Bis dahin ist auf dem Ausflugsschiff viel zu tun. Von neun Uhr morgens bis nachts um zwölf werde derzeit gearbeitet. Damit die "Reeperbahn" fahrtüchtig ist, wenn Verkehrsminister Karl-Heinz Daehre mit der Sektflasche kommt. Ob das schlanke Schiff den Aufprall einer Flasche übersteht, werden Furchheim und seine Crew allerdings nicht ausprobieren. Eine Beule im Schiff ist dabei nicht die Sorge der Saaleschiffer. Splitterndes Glas bei Schiffstaufen ist aus einem anderen Grund in der Phantasie ahnungsloser Landratten besser aufgehoben, als in der Realität: Wegen des Naturschutzes. "Es sollen doch keine Glasscherben ins Wasser geraten", sagt Furchheim. Der Sekt wird also nur gen Bug geschüttet, nicht geworfen.

Eine kleine Runde wird Furchheim mit dem Minister und der "Reeperbahn" anschließend drehen. Für die Besucher des Sachsen-Anhalt-Tags ist dagegen das "Traumschiff" im Dienst. So wie auch an diesem Nachmittag. Zweieinhalb Stunden vor dem Anlegemanöver in Weißenfels sind die Passagiere in Uichteritz an Bord gegangen. Die älteren Damen und Herren steigen über leere Bierkästen an Bord.

Drinnen im Unterdeck lotsen Furchheims Lebensgefährtin Sandra Grunert und Kellnerin Simone Hoffmann die Gäste zu den Tischen, balancieren Kaffee durch den engen Gang zwischen den Tischen, rücken die Kuchenteller zurecht. Dann hat Detlef Furchheim seinen ersten Auftritt. "Herzlich willkommen auf dem Traumschiff, dem einzig wahren Traumschiff, das andere ist nur eine Fernsehserie", klärt Furchheim seine Passagiere auf.

Er ist jetzt Captain Fu, trägt Tressen am weißen Hemd, eine Kapitänsmütze und ist sichtlich in seinem Element. "Wer hat denn gesagt, dass Sie schon essen sollen? Wir haben doch die ganze Fahrt über Zeit", fragt er mit gespielter Strenge. "Wer glauben Sie, hat hier auf dem Schiff das Sagen?"

Das "Traumschiff" legt ab. Langsam nimmt es gegen die Strömung der Saale Fahrt auf in Richtung Leißling. "Es ist ein wunderschöner Arbeitsplatz. Etwas besseres hätte mir nicht passieren können", sagt Simone Hoffmann. Sie ist eine der Angestellten von Furchheim und Grunert. Dass ihr Arbeitsplatz geschaffen werden konnte, hat sie der Ausdauer ihres Chefs zu verdanken.

Jahrelang hatte Furchheim versucht, im thüringischen Roßleben einen Anlegeplatz einzurichten. "Ich bin an den Behörden gescheitert", sagt Furchheim. Aber er sei mit dem "Wasservirus" infiziert gewesen. "Freunde von mir haben ihre Gaststätte an Land aufgegeben und ein Restaurantschiff eingerichtet, davon war ich begeistert", sagt Furchheim. Ein Wassersportreffen führte Furchheim schließlich nach Weißenfels und zu den damals verlassenen Anlegestellen am Bahnhof. Eine Anfrage bei der Stadtverwaltung, ob die Stege wieder in Betrieb genommen werden können, führte zu einer für Furchheim ungewohnten Gegenfrage. "Wie können wir Ihnen helfen?, haben die gefragt." Furchheim war begeistert vom Entgegenkommen der Behörden.

Just auf der Rückfahrt von Weißenfels nach Roßleben entdeckte Furchheim in Freyburg sein "Traumschiff". Damals hieß das Schiff noch nicht so. Den Namen habe es bekommen, weil mit dem Ausflugsboot ein kleiner Traum wahr geworden sei. Jedenfalls für die männliche Hälfte des Existenzgründerduos. "Ich bin eigentlich ein wenig wasserscheu", sagt Grunert. Wenn sie aber an Bord arbeite, sagt die 36-Jährige, denke sie gar nicht daran, dass sie sich auf dem Wasser befindet. Außerdem hat die Existenzgründung ihre Arbeitslosigkeit beendet.

Grunert hat zwei Ausbildungen, als Restaurantfachfrau und als Kauffrau im Reisebüro, aber auf dem Arbeitsmarkt kein Glück. "Mein Hauptantrieb für die Existenzgründung war es, mein eigener Chef zu sein", sagt Grunert. Nach anfänglichem Zögern hat sie Furchheim deshalb bei dem Vorhaben Saaleschiff unterstützt. Ebenso wie Freunde und Bekannte. "Das Schiff musste ja erst wieder fahrtauglich werden. Maschinen, Heizung, Warmwasser, Theke, alles haben wir selbst gemacht", erzählt Furchheim.

Ohne die Hilfe hätte das nicht geklappt. Bevor aber die Arbeit beginnen konnte, galt es, die Banken zu überzeugen. Ein halbes Jahr habe es gedauert, die Finanzierung zu regeln, es habe viele Bedenken gegeben, ob die Geschäftsidee trägt. Und dass er knapp zwei Jahre nach Start den Betrieb schon erweitern kann hat auch Furchheim damals nicht geglaubt. "Die Gründung hat viel besser geklappt, als gedacht." Anfangs musste der Saalekapitän allerdings Lehrgeld zahlen. Ein Betrieb nach festem Fahrplan funktionierte ebenso wenig wie Schleusen- und Weintouren. Es gebe einfach zu wenig Touristen in Weißenfels. Seitdem das "Traumschiff" aber Charter-Touren fährt, rentiert es sich.

Die rettende Idee war die Musik. Seemannslieder mit Captain Fu. Wenn Erdbeer- und Schokoladentorte auf den Tischen den Bier- und Weingläsern Platz machen, übernimmt Grunert das Steuer. "Deutschlands einzigen weiblichen Autopiloten" nennt Furchheim sie, wenn die Gäste fragen, wer das Schiff lenkt, während er zum Akkordeon greift. Er meint das charmant, daran würde keiner der Passagiere zweifeln. Schon gar nicht die älteren Damen, die schon beim ersten Lied ganz hingerissen von ihrem Kapitän sind. "La Paloma" singt Captain Fu zum Aufwärmen.

Bei "Junge komm bald wieder" singen die ersten Gäste mit. Wenige Lieder später wird zum Rhythmus geklatscht und geschunkelt. Jetzt ist es Zeit für die nächste Verwandlung: Captain Fu tauscht die Kapitänsmütze mit der Schiebermütze und spielt sich als Hans Albers und mit einer sehr gefühlvollen Interpretation von "Auf der Reeperbahn" in die Herzen der Senioren.

"Viele unserer Passagiere sind schon drei oder vier Mal mit uns mitgefahren, immer wieder bringen sie neue Gäste mit", sagt Furchheim. Die Idee Schifffahrten mit Konzerteinlagen zu verbinden, war ein Glücksfall. Ein Zufall war es jedoch nicht. Denn Musik ist schon seit Jahrzehnten Furchheims Beruf. "Ich bin Musikant, kein Musiker", sagt er bescheiden. In der DDR war er mit einer mobilen Disko unterwegs. Diskotheker sei damals ein streng reglementierter Beruf gewesen, mit Vorspielen vor Prüfungskommissionen und festgelegten Stundensätzen je nach Berufserfahrung. Nach 18 Jahren habe endlich "Profi" im Berufsausweis gestanden, Honorare waren jetzt frei verhandelbar. "Das war 1988, kurze Zeit später konnte sich jeder drei CDs kaufen und als DJ auflegen", sagt Furchheim.

Mit der Schifffahrt hat der musikalische Kapitän jedoch eine neue Marktlücke gefunden. "Die Reeperbahn wird von Merseburg aus von uns gefahren." Eine weitere Anfrage liege vom Geiseltalsee vor. "Sobald da Ausflugsschiffe fahren dürfen, bringen wir die Reeperbahn hin, für Merseburg finden wir dann eine andere Lösung." Sprich, ein drittes Schiff. Dass Furchheim auch für dieses einen ungewöhnlichen Namen aussucht, gilt als gesichert. "Das ist die beste Werbung. Mehr haben wir nicht gebraucht, um bekannt zu werden."