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Ferien auf der Insel Ferien auf der Insel: Was aus dem Projekt "Hiddensee" geworden ist

Von Andreas Richter 19.03.2017, 11:00
Manfred Rauner und Marlis Trommer blättern im Ordner mit Zeitungsausschnitten über die Kinderferienaktion „Hiddensee“.
Manfred Rauner und Marlis Trommer blättern im Ordner mit Zeitungsausschnitten über die Kinderferienaktion „Hiddensee“. Peter Lisker

Weissenfels - Marlis Trommer hat alles aufgehoben. Briefe, Zeitungsausschnitte, Fotos. Ein ganzer Ordner erinnert an ein Kapitel ihres Lebens, von dem die 80-Jährige sagt: „Das war eine schöne Zeit. Ich habe das gern gemacht“.

Wie vor mehr als einem Vierteljahrhundert alles begann, weiß sie heute noch genau. Es war 1990, die Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs. Marlis Trommer, damals leitende Fürsorgerin an der Weißenfelser Poliklinik, macht Urlaub auf der Insel Hiddensee. Dort reift die Idee, dass das gesunde Klima auch Kindern aus Weißenfels, der Stadt am Chemiedreieck mit seiner schlechten Luft, guttun könnte.

Manfred Rauner: „Wir hatten damals bei uns eine Luft, das kann sich heute gar keiner mehr vorstellen“

Marlis Trommer sucht und findet Partner: den Bürgermeister der Insel, den damaligen stellvertretenden Weißenfelser Bürgermeister Manfred Rauner. „Wir hatten damals bei uns eine Luft, das kann sich heute gar keiner mehr vorstellen“, erinnert der heutige Stadtrat. Kurzum: viele Kinder waren reif für die Insel.

Rauner ist sofort begeistert von der Hiddensee-Idee. Doch irgendwie muss Geld beschafft werden, denn allein können die Eltern die Ferien auf Hiddensee nicht bezahlen. Und so sind Marlis Trommer und Manfred Rauner eines Tages zur Sparkasse gegangen und haben ein Spendenkonto eröffnet. Mit Elan, vielen Ideen und mal auch ein bisschen hemdsärmelig sorgen die Initiatoren dafür, dass Geld in die Hiddensee-Kasse kommt.

Im Frühjahr 1992 steigt der erste Wohltätigkeitsball für das Projekt „Hiddensee“

Sie klopfen bei Sponsoren an, organisieren Weinabende, ein Konzert am Gymnasium. Im Frühjahr 1992 steigt der erste Wohltätigkeitsball. „Und das alles haben wir ohne Internet und Handy organisiert“, sagt Marlis Trommer heute mit einem Augenzwinkern. Und Rauner fügt hinzu: „Alles war einfacher. Wenn ich an die ganzen Genehmigungen heutzutage denke, hätte ich wohl keine Lust mehr.“

Im November 1990 fahren die ersten Vorschulkinder aus Weißenfels für zwei Wochen auf die Ostseeinsel. Untergebracht sind sie im Kindergarten in Vitte. Die Räume werden vorher mit Möbeln aus Ferienheimen eingerichtet, in die zu jener Zeit, da es fast alle nach Mallorca zieht, kaum einer hin will. Eine der ersten Fahrten endet im Schneesturm. „Wir mussten die Kinder mit Hilfe der Bundeswehr von der Insel holen“, erinnert sich Marlis Trommer.

In den ersten sechs Jahren verbringen 1.886 Vorschulkinder aus Weißenfels Ferientage auf Hiddensee

In den ersten sechs Jahren verbringen 1.886 Vorschulkinder aus Weißenfels Ferientage auf Hiddensee. Die Eltern bezahlen 250 Mark pro Kind. Pro Durchgang kommen rund 2 000 Euro Spendengeld hinzu. 1996 kommt der Geburtenknick an. Die Kosten steigen, die Räume in der Kita in Vitte können nicht mehr das ganze Jahr über ausgelastet werden. Doch die Aktion soll nicht sterben.

Die Initiatoren sehen sich nach einer kostengünstigeren Variante um - und werden im Kinder- und Erholungsheim im thüringischen Dittrichshütte fündig. Die Fahrtkosten werden deutlich geringer, die Kinder sind nur noch acht Tage weg. Die Aktion behält den Namen jener Insel, auf der alles begann. Marlis Trommer und ihre Helfer stellen noch einmal zehn Jahre lang erholsame Ferientage für Weißenfelser Kinder auf die Beine. Organisieren Wohltätigkeitsbälle und Musicalfahrten für Mitarbeiter städtischer Kindergärten, dank derer sich ein Hamburger Fuhrunternehmer großzügig engagiert.

Mittlerweile fahren Kinder nur noch alle zwei Jahre nach Dittrichshütte

2006 legt die Seniorin, die 2014 mit der Ehrenbürgerschaft der Stadt Weißenfels ausgezeichnet wird, die Aktion in andere Hände. Der Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) setzt ihre Arbeit fort. Längst ist die Luft in Weißenfels viel besser geworden. Doch „Hiddensee“ lebt noch immer - wenn auch auf kleiner Flamme.

Mittlerweile fahren Kinder nur noch alle zwei Jahre nach Dittrichshütte, berichtet Kerstin Jirsak, die sich jetzt beim DRK darum kümmert. 2007 waren es noch 255 Mädchen und Jungen, im vergangenen Jahr 51. Großzügige Spender halten zur Stange. Und Marlis Trommer ist zufrieden: „Es macht mich stolz, dass es die Ferien für Kinder nach so langer Zeit noch immer gibt.“ (mz)