Auf Ersatzrädern bis in den Garten
GOSECK/MZ. - GOSECK / MZ- In den Gedanken Ulli Hoffmanns ist der alte und verwitterte Straßenbahnwagen, der seit einiger Zeit auf seinem Grundstück in Goseck steht, schon fertig. Die Holzbretter fürs Dach und den Boden liegen bereit. Irgendein Voreigentümer hatte schon mal versucht, die Seitenwände mit dünnen Paneelen zu verkleiden. Nun sollen auch diese ersetzt werden.
Es war Liebe auf den ersten Blick, als der 47-Jährige den Wagen am Naumburger Stadtrand gesehen hat. Später bekam er die Telefonnummer des Eigentümers heraus. Der hatte das alte Stück mal erworben, um den Fuhrpark der Naumburger Straßenbahngesellschaft vergrößern zu helfen. Pech war nur, dass die Spurbreite nicht identisch war.
Ein Problem wurde es, das tonnenschwere Gefährt auf Hoffmanns Wiese hinter dem Haus zu transportieren. Der Wagen stand nämlich auf einem Hänger, dessen Reifen keine Luft mehr hielten. Ein Bauer half mit Ersatzrädern. Nach dem Transport galt es, die Straßenbahn mittels Wagenheber und Kanthölzern sicher abzustellen. Die ganze Aktion dauerte elf Stunden, konnte sich der Gosecker aber auf Jens Meier, Jochen Lorbeer und Ecki Ziegler verlassen.
Inzwischen hat Hoffman das Fahrgestell entrostet und mit Rostumwandler gestrichen, so dass es wieder schwarz aussieht. Er zeigt auf kreisrunde Öffnungen in den Stirnseiten, hinter denen die Karbidlampen leuchteten, und auf das Gestänge, mit dem die Bremsen betätigt wurden. "Durch Bügel an der Decke dürften die Seile für die Signalglocken gelaufen sein", mutmaßt Ulli Hoffmann. Er schätzt das Alter des Straßenbahnwagens auf mindestens 80 Jahre. Unklar ist auch, ob er mal als Pferdebahn genutzt wurde. Der 47-Jährige nennt es ein "schönes Sammlerstück, das es wert ist, erhalten zu werden". Und schon jetzt schwärmt er davon, bei einem Glas Wein auf einer Bahnhofsbank im Wagen zu sitzen und den Blick talwärts bis Weißenfels schweifen zu lassen.
Ulli Hoffmann ist in der Landwirtschaft groß geworden, war nach der Wende als Entwicklungshelfer in Nepal und Afghanistan und bekommt immer mal wieder Besuch aus aller Herren Länder. Er ist freiberuflich, bietet Bildungsveranstaltungen an und gibt entwicklungspolitische Seminare. Seine freie Zeit nutzt er, um Haus und Hof mit einem Hang zur Nostalgie zu gestalten. So steht in seiner Küche ein alter Kohlenherd. Ein kleines Nebengebäude hat er mit alten Ziegeln gedeckt und drinnen alte Dielung und Türen eingebaut. "Mit neuem Material wäre doch alles nur halb so schön geworden", sagt er. "Immerhin haben die Dinge, die von Menschen schon benutzt wurden, eine Seele."
Was die Leute zum Straßenbahnwagen auf der Wiese sagen? "Natürlich fragen sie und manche haben mir sogar einen Prellbock und Schienen angeboten. "Die müssen es nicht sein, aber auf alten Holzschwellen sollte der Wagen schon stehen." Bis zum Winter sollen Dach und Wände fertig und die Fenster verglast sein. Dann nämlich soll die Straßenbahn erst einmal als Lager für eine Jurte dienen, die aus der Mongolei stammt und die jetzt nebenan auf der Wiese steht.