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Parolen gebrüllt und Steine geworfen Angriff auf Simon-Rau-Zentrum

Der Verein in Weißenfels, der die Erinnerung an die ehemalige jüdische Gemeinde in der Stadt pflegt, ist zur Zielscheibe geworden. Was über den Täter bekannt ist.

Von Martin Schumann Aktualisiert: 09.10.2024, 22:42
Ein Streifenwagen steht neben dem Simon-Rau-Zentrum in der Weißenfelser Dammstraße.
Ein Streifenwagen steht neben dem Simon-Rau-Zentrum in der Weißenfelser Dammstraße. Archiv-Foto: Peter Lisker

Weißenfels - Nach den herausgerissenen Stolpersteinen in Zeitz (die MZ berichtete) schockiert ein weiterer mutmaßlich antisemitischer Angriff den Burgenlandkreis. In der Nacht zu Mittwoch sei es in der Dammstraße in Weißenfels zu einem Vorfall gekommen, bei dem Steine in Richtung des dort ansässigen Simon-Rau-Zentrums geworfen und antiisraelische Parolen gerufen worden seien. Dies bestätigte eine Polizeisprecherin auf MZ-Anfrage. Ein Anwohner habe gegen 2.40 Uhr, zunächst nur wegen nächtlicher Ruhestörung, die Polizei gerufen.

Bei einer Suche im Umkreis habe diese einen 17-Jährigen gestellt und identifiziert, der als mutmaßlicher Täter in Frage komme. Er sei in Begleitung einer weiblichen Person gewesen. Gegen ihn werde nun wegen des Versuchs der Sachbeschädigung ermittelt. Der aus Syrien stammende Tatverdächtige sei bisher nicht polizeilich in Erscheinung getreten. Dennoch könne ein politisches Motiv nicht ausgeschlossen werden, sodass der polizeiliche Staatsschutz die Ermittlungen übernommen habe, teilt die Polizei mit.

Zudem kündigte ein Polizeisprecher an, dem Schutz jüdischer Einrichtungen unter anderem mit verstärkter Streifenpräsenz Rechnung zu tragen.

Enrico Kabisch, Vereinsvorsitzender des Simon-Rau-Zentrums, zeigt sich bestürzt über den Angriff. Zum Glück sei augenscheinlich nichts beschädigt worden, die geworfenen Steine seien recht klein gewesen, gibt er auf MZ-Anfrage Auskunft. Über mögliche Motive könne er nur spekulieren. In den vergangenen Jahren ist dem Verein und seinen Mitgliedern mehrfach Antisemitismus begegnet. Als ein Beispiel nennt er antisemitische Verschwörungstheorien bei verschiedenen Kundgebungen im Burgenlandkreis. Diese Entwicklung beobachte er mit Sorge. „Was da teilweise auf Demos von sich gegeben wird, ist beängstigend.“

Die Landtagsfraktion der Partei Die Linke verurteilt den Angriff in Weißenfels, wie auch die Entfernung der Stolpersteine in Zeitz scharf und wirft der Landesregierung um Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) gleichzeitig vor, zu wenig gegen Antisemitismus und Rassismus in Sachsen-Anhalt zu tun. Eric Stehr, linker Stadtrat in Weißenfels, betont außerdem: „Was es jetzt braucht, ist ungebrochene Solidarität mit den Betroffenen und mehr lokale Initiativen gegen Rassismus und Antisemitismus.“

Auch Landrat Götz Ulrich (CDU) zeigt sich bestürzt. „Jüdisches Leben ist ein wichtiger Teil unserer eigenen Geschichte, auch hier im Burgenlandkreis. Dass daran erinnert wird, ist ein großer Verdienst des Simon-Rau-Zentrums in Weißenfels. Wenn nun auch diese Einrichtung angegriffen wird, am Jahrestag des Anschlags von Halle, erfüllt mich das mit Wut und Trauer zugleich. Ich hätte nie geglaubt, dass unter uns Antisemitismus wieder derart aufbricht. Umso wichtiger ist deshalb die Arbeit des Simon-Rau-Zentrums“, sagt der Chef der Naumburger Kreisverwaltung.

Seit der Gewalteskalation in Nahost mehren sich europaweit nicht nur Kritik am Vorgehen Israels, sondern auch Antisemitismus. Der Zeitpunkt der Tat fügt sich dabei in eine besorgniserregende Reihe von Terminen: Am 7. Oktober jährte sich der Hamas-Angriff auf Israel mit mehr als 1.100 Todesopfern zum ersten Mal. An diesem Tag wurde auch das Fehlen aller zehn in Zeitz verlegten Stolpersteine, die an deportierte und ermordete Juden erinnern sollen, bemerkt.

Der Terroranschlag von Halle erlebte am 9. Oktober seinen fünften Jahrestag. Im Jahr 2019 hatte an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, ein Attentäter vergeblich versucht, in die dortige Synagoge einzudringen und anschließend zwei Menschen erschossen.

Der Verein

Das Simon-Rau-Zentrum ist ein gemeinnütziger Verein, der sich die Erinnerung an die ehemalige jüdische Gemeinde in Weißenfels auf die Fahnen geschrieben hat. Dazu betreibt er eine Ausstellung in der Dammstraße und hat sich zum Ziel gesetzt, die einstige Synagoge in der Nordstraße als Erinnerungsort zu erhalten.

Simon Rau (1901 - 1972) war jüdischer Religionslehrer und Prediger in Weißenfels. 1939 floh er mit seiner Familie vor den Nazis und emigrierte in die USA.