Prediger im Streit der Historiker
ALLSTEDT/MZ. - In der historischen Hofstube und in der barocken Schlosskapelle befassten sich rund 50 Historiker und geschichtlich interessierte Leute mit dem Leben und Wirken von Thomas Müntzer, der 1523 in der damaligen Ackerbürgerstadt Allstedt das Pfarramt übernommen hatte und hier sein Reformationsverständnis entwickelte. Müntzer zählt zu den umstrittensten Persönlichkeiten in der Geschichte Sachsen-Anhalts und auf dem "Prüfstand" der Historiker stand vor allem sein Wirken als Geistlicher, Lehrer und Reformator.
Müntzer, der vermutlich 1490 in Stolberg geboren wurde, war ein Zeitgenosse von Martin Luther und hatte sich nach einer Zeit als Lutheraner bald von den Lehren des Eisleber Professors entfernt und radikalere Visionen und Ansichten verfochten. Mit der Tagung sollte die überregionale Bedeutung Müntzers für die Zeit der Reformation und den weiteren Verlauf der Geschichte beleuchtet werden. Zudem galt es laut Cornelia Wewetzer, Referentin des Landesheimatbundes, darum, mögliche Wissensdefizite zu schließen und unterschiedliche Sichtweisen und Reflexionen zu debattieren. Im wissenschaftlichen Vortrag des Philosophen und Theologen Wolfram Tschiche wurde ein Bild Müntzers gezeichnet, das sich von der bisherigen Sichtweise auf den Reformator aus DDR-Zeiten freilich ein Stück entfernte und Müntzer nicht mehr nur holzschnittartig vereinfacht als Revolutionär darstellt. Tschiche hatte seinen Vortrag unter das Motto "Thomas Müntzer als Mystiker, Apokalyptiker und Revolutionär" gestellt. Und so entwickelte sich nach Fragen wie zu Müntzers Verhältnis zur Sexualität (er heiratete bekanntlich eine Nonne) oder ob er ein Ideologe der frühbürgerlichen Revolution war eine angeregte Debatte.
Mit den Antworten klang auch an, dass Geschichte immer ein Kampf der Begriffe sei. Rainer Böge, Chef des Allstedter Müntzer-Museums, brachte es auf den Punkt: "Wir haben uns versucht, der Person Müntzers zu nähern." Interessant auch seine Sicht auf das Wirken Müntzers: "Sein Leben und Wirken ist immer nur aus seiner Zeit selbst zu verstehen." Betrachte man alles aus heutiger Sicht, könnten sich historische Fehlinterpretationen ergeben. Eine solche Entwicklung gab es nicht nur zu DDR-Zeiten.
Ein wenig konnten die Tagungsteilnehmer dann eintauchen in die Zeit als Müntzer und Luther lebten. Denn ein Streitgespräch zwischen beiden Zeitgenossen mit dem Austausch der damaligen Argumente (nach Originalzitaten) könnte ein weiteres Defizit bei manch einem abgebaut haben. Den Ausklang der wissenschaftlichen Tagung besorgte übrigens der Pianist Arnulf Sokoll aus der Lutherstadt Eisleben mit einem Orgelkonzert. Sokoll ist Mitglied der Chopin-Gesellschaft.