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Quedlinburger Amtsgericht Quedlinburger Amtsgericht: Schlichtung statt Strafe

Von Paula Dietze und Bruno nisser 06.05.2014, 20:29

Quedlinburg/MZ - „So etwas habe ich noch nie erlebt“, stellt Richterin Antje Schlüter zu Beginn einer kuriosen Verhandlung im Quedlinburger Amtsgericht mit Blick auf eine „ganz spannende Konstellation“ fest. Zwei Familien hatten sich gegenseitig Körperverletzung und Beleidigung vorgeworfen. Beide Taten ereigneten sich im Dezember 2012 fast zeitgleich und wurden nun auch parallel vor Gericht verhandelt. Der Ursprung dieser Verfahren aber lag in einem Nachbarschaftsstreit, der das Amtsgericht schon ein Jahr zuvor beschäftigt hatte: Begonnen haben soll alles mit unterschiedlichen Auffassungen zum Verschließen der Haustür in dem Wohnhaus in Quedlinburg, in welchem beide Familien damals lebten; genaueres wurde aber während der Verhandlung nicht bekannt. Letztlich führte dies alles zu der ungewöhnlichen Konstellation, dass es nun zwei Verfahren mit je einem Angeklagten gab, wobei der Nebenkläger in einen Fall der Angeklagte im Gegenverfahren war.

In Deutschland landen pro Jahr etwa eine halbe Million Nachbarschaftsstreitigkeiten vor Gericht. Diese Verfahren werden oftmals wegen Banalität eingestellt.

Einen ähnlichen Fall wie jetzt vor dem Amtsgericht Quedlinburg gab es vor circa zwei Jahren in Useriner Mühle bei Neustrelitz. Dort sollte ein Mann bei Vorbereitungen für ein Fest durch seinen Nachbarn mit einem Radlader angefahren worden sein. Der Fahrer behauptete jedoch, dass er mit einem Stein beworfen worden sei.

Die häufigsten Gründe für Auseinandersetzungen zwischen Nachbarn sind Lärm- und Geruchsbelästigung, das Nichteinhalten der Grundstücksgrenze in Bezug auf die Bepflanzung und eine Belästigung durch Haustiere. Oft landen solche Konflikte vor Gericht, weil die Parteien nicht miteinander reden, um Lösungen zu finden. 

Beide Parteien hatten vor der Verhandlung der Richterin gegenüber erklärt, eigentlich nur endlich Ruhe voreinander haben zu wollen. „Ich weiß nicht so recht, was ich mit dieser Aussage anfangen soll. Auch bei Strafgerichten gibt es eine Grenze. Und die endet dort, wo die Menschlichkeit anfängt“, erklärte die Richterin und wandte sich direkt an die Angeklagten. „Ich kann Sie ja schlecht an die Hand nehmen und aufpassen, dass Sie sich nicht über den Weg laufen.“

Auch Oberstaatsanwältin Eva Vogel fand deutliche Worte: „Solch ein Verhalten steht mir bis zum Hals. Ich bin aber überzeugt, dass in jeder Sache ein Funken Wahrheit steckt. Sonst hätte ich die Anklagen nicht erstellt.“

Verfahren eingestellt

Ein Strafgericht sei nicht für die Schlichtung von Nachbarschaftsfehden zuständig, machte Antje Schlüter deutlich. Natürlich könnte zu beiden Anklagen verhandelt, könnten Zeugen gehört und Urteile gesprochen werden. „Nach jetzigem Aktenstand ist eine Verurteilung im Rahmen des Möglichen“, machte die Richterin den Angeklagten deutlich. „Ich kann Sie bestrafen, aber davon hätten Sie gar nichts.“ Dies, gab Antje Schlüter zu bedenken, würde wohl nur dazu führen, dass sich die Situation weiter verschärfe.

Deshalb schlugen sie und die Oberstaatsanwältin vor, beide Verfahren einzustellen, um der Sache nicht noch mehr Zündstoff zu geben. Voraussetzung: Beide Angeklagten erklären, künftig Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit und die Ehre gegenseitig zu unterlassen, sich aus dem Weg gehen und zu ignorieren. Dem stimmten beide Familien zu.

Auf eine Anhörung der Zeugen wurde verzichtet. Die beiden Verfahren wurden mit Zustimmung der Prozessbeteiligten eingestellt.