Quedlinburg Quedlinburg: Abschied von den Frühstverstorbenen
quedlinburg/MZ. - Sie liegen sich in den Armen, halten Blumen in der Hand und lassen ihren Gefühlen freien Lauf: Tränen fließen. Am Samstagvormittag hatten drei Eltern- und ein Großelternpaar auf dem Quedlinburger Friedhof St. Servatii einen schweren Gang vor sich. Sie nahmen Abschied von ihren Kindern bzw. Enkeln. Dabei hatten die kleinen Wesen nicht einmal das Licht der Welt erblicken können. Bei dieser Bestattung handelte es sich nämlich um "still geborene Kinder", also eine Trauerfeier für Frühstgeborene, die tot zur Welt gekommen sind.
Die erste Bestattung dieser Art fand auf dem Kindergrabfeld auf dem St. Servatii im Jahr 2009 statt. Dieses Seelsorgeprojekt ist eine Kooperation des Quedlinburger Klinikums Dorothea Christiane Erxleben und der Evangelischen Kirchengemeinde Quedlinburg. Vor drei Jahren hat sich eine entsprechende Arbeitsgruppe gebildet, die aus Ärzten, Hebammen sowie Krankenschwestern besteht. Initiator war Klinikseelsorger Pfarrer Matthias Zentner. "Es war ein intensiver Arbeitsprozess. Wir mussten sehen, wie alles gut zusammenpasst. Dann ist ein Gemeinschaftswerk entstanden, bei dem die unterschiedlichen Kompetenzen zusammengeflossen sind", sagt er. Hintergrund: Kinder mit einem Gewicht von unter 500 Gramm sind nicht bestattungspflichtig, weiß der Klinikseelsorger.
"Dahinter stecken zwei Ideen: Wir versuchen, mit diesem Ritual die Eltern zu trösten, außerdem bekommen die kleinen Lebewesen eine würdige Beerdigung", sagt Zentner. In den alten Bundesländern gibt es diese Form der Bestattung übrigens schon seit langer Zeit. Die Teilnahme an der Trauerfeier ist freiwillig. Zentner schreibt die Eltern an, um sie einzuladen. So ist vorher unklar, wie viele Betroffene den Weg zum Friedhof finden. Manche nehmen laut Zentner lieber an einem anderen Tag Abschied und besuchen allein das Grab, um unter sich zu sein. Selbst Betroffene, die nicht mehr in der Region leben, kommen immer wieder an diesen Ort der Trauer zurück.
Diese Beerdigung hat mittlerweile auf dem St. Servatii im Jahr zwei feste Termine: der Sonnabend vor dem Muttertag und der Sonnabend vor dem Totensonntag, der auch Ewigkeitssonntag genannt wird. Meist ist eine Krankenschwester der gynäkologischen Station bei der Bestattung dabei, da sie die Frauen im Klinikum mit begleitet hat.
Die verstorbenen Kinder werden im Quedlinburger Klinikum aufbewahrt. Pro Beerdigung handelt es sich um 20 bis 30 dieser Todesfälle. Sie befinden sich in einem kleinen weißen Sarg und werden am Tag der Abschiednahme mit einem Bestattungswagen in die Kapelle gefahren.
Das Kindergrabfeld, welches mit Steinplatten und der Aufschrift "Unsere Sternenkinder" samt Beerdigungsdatum versehen ist, befindet sich gleich neben dem Ort, wo die bestattungspflichtigen Kinder mit einem Gewicht von über 500 Gramm ihre letzte Ruhe gefunden haben.